Die poröse Stadt
Wie bereitet man Megacitys auf den Klimawandel und extreme Wetterbedingungen vor? Das Beispiel Bangkok zeigt: Es geht nur mit der Natur, nicht gegen sie.

Es gehört in Bangkok schon seit Jahren zum Alltag, dass man nach einem Monsunregen in der Innenstadt durch knietiefes Wasser stapft. Normal ist das aber nicht. Und es war auch keineswegs immer schon so, dass die pittoresken Hüttenviertel entlang der Kanäle, die Bangkok einst zum «Venedig des Ostens» machten und die die Touristen gerne von motorisierten Drachenbooten aus betrachten, von jedem zweiten Regenguss in eine Kloake verwandelt werden.
Die Landschaftsarchitektin Kotchakorn Voraarkhom ist in dieser Stadt aufgewachsen. Als Kind lebte sie in einem der unzähligen Reihenhäuschen, die in Bangkok weniger das Vorstadtidyll europäischer Städte symbolisieren als vielmehr das beengte Leben in einer Megacity. Wenn sie aus der elterlichen Küche nach draussen trat, stand sie nicht in einem Vorgärtchen, sondern auf einer belebten Hauptverkehrsstrasse. Die sich bei Regen eben in einen Strom verwandelte. Schon während ihres Studiums überlegte sie, warum diese Fluten gerade in Bangkok so heftig sind. «Wir leben dort nicht mehr mit den Jahreszeiten und der Natur», sagt sie. «Mag sein, dass wir mal das Venedig des Ostens waren. Aber wir haben unsere Infrastruktur zerstört.»
Drogenkönige und Elefanten
Die Gründe für das Problem seien gleichzeitig die Gründe für den Aufstieg der Stadt, erklärt sie mit ein paar Skizzen im Notizbuch des Reporters, nachdem sie im vergangenen April ihr Konzept von der «porösen Stadt» auf dem Ideenfestival der Ted Conference in Vancouver präsentierte. Bangkok liegt im Delta des Mae Nam Chao Phraya, eines Stroms, der sich aus Flüssen speist, die im Goldenen Dreieck entspringen, jenem sagenumwobenen Dschungelgebiet zwischen Thailand, Laos und Burma, in dem die Drogenkönige und Elefanten leben und die Stämme der Kayan.
Der Chao Phraya schwemmte Sedimente nach Süden, die das Ackerland im Delta zu einer der fruchtbarsten Gegenden Asiens machten. So kamen die Bauern, die das Land zähmten, gefolgt von den Königen, die sich Paläste auf künstlichen Inseln errichteten, die Städter, die entlang der immer zahlreicheren Kanäle siedelten, die Touristen, für die Hotelburgen gebaut wurden und dann noch die 15 Millionen, die aus dem einstigen Fischerdorf eine Megalopolis machten. Es reicht schon ein Abend auf den Stadtautobahnen, um zu erahnen, dass den Sümpfen hier etwas abgetrotzt wurde, das sie sich eines Tages zurückholen könnten. Erschwerend hinzu kommt die Geografie. Im Norden ragen Berge auf, die immer noch mehr Wasser ins Delta spülen. Im Süden drückt der Golf von Siam den Ozean durch einen Trichter, der an den Südspitzen Singapurs und Vietnams beginnt und an dessen Spitze Bangkok liegt.
Weil die Menschen nicht nur den Sumpf, sondern auch die Kanäle mit Beton versiegelt haben, weil sie achtspurige Stadtautobahnen, Industrieanlagen, Wohnviertel und eine mächtige Skyline gebaut haben, drückt das Wasser bei Regen aus vier Richtungen in die Stadt: Aus den Bergen im Norden, aus dem Meer im Süden, aus den Wolken von oben und aus dem Grundwasser von unten. Der Monsun prasselt auf die betonierte Stadt wie auf eine Tischtennisplatte. Das Wasser kann nicht versickern. Und wenn das Hinterland überschwemmt, kann so ein Hochwasser auch dauern. 20 Milliarden Kubikmeter Wasser mussten nach dem grossen Regen von 2011 aus dem Delta in den Ozean geleitet werden. Direkt durch die Stadt.
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Bangkok mag ein Extremfall aus Klima, Geografie und Bauboom sein. Das macht es aber auch zum exemplarischen Studienobjekt. Kotchakorn Voraarkhom war in ihrer Kindheit Augenzeugin der selbst gemachten Katastrophe. «Früher gab es immer noch die Kanäle, es waren nicht alle Strassen zubetoniert», erklärt die 39-Jährige. «Das Wasser konnte fliessen. Doch weil wir immer eine landwirtschaftliche Gesellschaft waren und Landschaft eine Selbstverständlichkeit war, dachte niemand daran, die Landschaft Bangkoks zu erhalten.»
So gibt es heute kaum Parks oder Grünflächen. Genau da setzt Voraarkhom mit ihrer Arbeit an. Der Architekturwettbewerb zum 100-Jahr-Jubiläum der Chulalongkorn-Universität war für sie und ihr Büro Landprocess der Durchbruch. Ein Stück Land der Universität sollte in einen Park verwandelt werden. «Grüne Infrastrukturen wie Stadtparks sind nicht nur Erholungsflächen», sagt sie. «Sie garantieren das Überleben einer Stadt.»
Sie designte einen knapp 45'000 Quadratmeter grossen urbanen Wald, in dessen Zentrum eine Grünfläche ist, die sich wie eine Rampe in den Boden absenkt. Am Ende dieser Rampe befindet sich ein Reservoir, in das Wasser abfliessen kann. Rings um die Grünfläche stehen Bäume, die ebenfalls Wasser absorbieren und die Luft reinigen.
«Die Mönche haben viel Geld»
Am 26. März 2017 eröffnete Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn den Chulalongkorn-University-Centennial-Park. «Das war seit dreissig Jahren der erste Park, der in Bangkok eingeweiht wurde», sagt Voraarkhom. Und es war nur ein Anfang: «Dieser Park ist im vollen Bewusstsein gebaut worden, was er für die Menschen von Bangkok in 100 Jahren tun kann. Wenn sich das Klima wandelt, unsere Dürren noch trockener, unsere Regenfälle noch heftiger sein werden.» Sie spricht da nicht im Konjunktiv. «Dieser Park ist ein erster Schritt auf dem Weg zur porösen Stadt. Denn nur mit diesem Konzept kann eine Stadt wie Bangkok überleben.»
Nun ist Land teuer in einer Megacity und wird immer teurer. 45'000 Quadratmeter in einem der besten Viertel kann selbst ein Konzern nicht einfach so begrünen, wenn ihm die Aktionäre im Nacken sitzen. Deswegen zählt Kotchakorn Voraarkhom auf die traditionellen Institutionen ihres Landes. Auf das Königshaus, das Rathaus, die Mönche.
Für den Chollapratarn-Rangsarit-Tempel hat sie nun einen Park gebaut, der als Musterfall für andere Tempel dienen soll. «Die Mönche haben viel Geld», sagt sie. «Alle spenden ihnen, aber sie geben kaum etwas aus. Deswegen können sie sich so eine Anlage leisten. Und sie verstehen, was ich will. Seit Hunderten von Jahren meditieren sie in den Wäldern. Das ist ihr natürliches Umfeld. Das hole ich ihnen in die Stadt.»
Auf Spitälern und Behörden hat sie Dachgärten eingerichtet. Sie will die Viertel rund um die letzten Kanäle mit Dämmen vor Flut schützen. Und sie plant weitere Parks. Ihr Timing stimmt. Im Jahr 2032 feiert Bangkok 250 Jahre Stadtgründung. Bis dahin will sie noch mehr Parks und Gärten bauen, Tempelanlagen begrünen. «Unsere Städte müssen belastbarer werden», sagt sie.
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