
Ursula von der Leyen hat einen holprigen Start. Schon die Wahl vor der Sommerpause im EU-Parlament war knapp. Nun der Protest, weil die designierte Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker den Schutz der «europäischen Lebensweise» zum Leitmotiv ihrer Kommission machen will. Noch nicht im Amt, steht Ursula von der Leyen unter Populismusverdacht.
Die künftige Kommissionschefin will einen ihrer Stellvertreter mit dieser für sie offenbar zentralen Aufgabe beauftragen: Der Grieche Margaritis Schinas soll Vizepräsident für den «Schutz der Europäischen Lebensweise» werden und Initiativen anderer Kommissare bei der Bildung, beim Arbeitsmarkt, aber auch bei der Migrationspolitik koordinieren. Es ist vor allem die Verknüpfung mit der Migration, die viele EU-Abgeordneten von der Mitte bis ins linksgrüne Lager empört.
Kritiker sehen da eine Anbiederung an die Rechtspopulisten. Es werde suggeriert, die europäische Zivilisation sei durch die Ankunft Fremder bedroht. Der Unmut ist für die designierte Präsidentin ein Problem, denn das EU-Parlament kann ihr bei der Anhörung der einzelnen Kommissare in den nächsten Wochen Schwierigkeiten machen. Am 23. Oktober muss das Plenum zudem dem gesamten Team zustimmen, damit Ursula von der Leyen am 1. November ihr Amt planmässig antreten kann.
Sehnsuchtsort für Flüchtlinge und Migranten
Die 60-jährige Christdemokratin scheint jedoch vorerst standzuhalten; zuletzt ist sie gar in die Offensive gegangen. In einem Gastbeitrag begründet sie ausführlich, was sie unter «europäischer Lebensweise» versteht. Es geht ihr vor allem um die Werte, auf der die EU gründet und wie sie auch im EU-Vertrag umschrieben sind. Von der Achtung von Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit und Solidarität ist da alles aufgezählt. Auch europas Sozialmodell mit dem vergleichsweise immer noch starken Sicherheitsnetz gehört dazu, ebenso wie Meinungs- und Medienfreiheit.
Vielleicht muss man ausserhalb Europas leben, um die «europäische Lebensweise» schätzen zu lernen.
Alles Selbstverständlichkeiten eigentlich. Aber vielleicht muss man ausserhalb Europas leben, um die «europäische Lebensweise» schätzen zu lernen. Nicht umsonst ist Europa nach wie vor Sehnsuchtsort für Flüchtlinge und Migranten aus der ganzen Welt. Und Ursula von der Leyens Ziel ist nicht die «Festung Europa», wie die Kritiker jetzt sagen. Ein merkwürdiger Vorwurf, war doch die ehemalige Ministerin in Berlin eine der wenigen Politiker, die sich nicht von Angela Merkels Haltung in der Flüchtlingskrise 2015 distanziert haben.
In der Brüsseler Twitter-Sphäre ist das Echo trotzdem vernichtend. Viele, die sich über die Ressortbezeichung für den Vize empören, dürften jedoch nur den Titel und nicht das Aufgabendossier gelesen haben. Dort geht es zwar auch um den Schutz der Schengenaussengrenze, aber ebenso um Initiativen zur besseren Integration von Flüchtlingen und neue Wege für die legale Migration. Also eine Fortsetzung der bisher erfolglosen Bemühungen, die zerstrittenen Mitgliedstaaten zu einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik zu bewegen.
Die gemeinsamen Werte sind bedroht
Klar, eine Situation unkontrollierter Zuwanderung von Flüchtlingen und Migranten wie 2015 kann sich Europa nicht jedes Jahr leisten. Auch das wäre eine Gefahr für die «europäische Lebensweise», denn weit offene Grenzen und starker Sozialstaat schliessen sich aus. Gleichzeitig wird sich Ursula von der Leyen an den eigenen Ansprüchen messen lassen müssen, wenn es etwa um Lösungen für die Misere in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln oder bei der Seenotrettung im Mittelmeer geht.
Ursula von der Leyen setzt jedenfalls mit ihrem Leitmotiv auf das richtige Thema. Es ist die Frage, was die 500 Millionen EU-Bürger eigentlich verbindet. Diese gemeinsamen Werte scheinen von innen und von aussen bedroht wie nie zuvor. Im Innern etwa in Ungarn oder Polen, wo nationalistische Populisten Fundamente der «europäischen Lebensweise» wie Rechtsstaat und Pluralismus schrittweise infrage stellen. Von aussen Autokratien wie Russland oder China, die auf den Zerfall oder zumindest eine Schwächung Europas hinarbeiten. Für die Präsidentin der «europäischen Lebensweise» gibt es viel zu tun.
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Die Präsidentin der «europäischen Lebensweise»
Ursula von der Leyen steht im Kreuzfeuer der Kritik, seitdem sie den Schutz der «europäischen Lebensweise» zu ihrem Leitmotiv gemacht hat.