Die Regierung regiert, was das Zeug hält
Die Koalition von Christ- und Sozialdemokraten wird seit Monaten totgesagt, dabei fertigt sie wichtige Gesetze im Akkord. Warum nützt ihr das nicht?

Fiele nicht gerade die SPD in sich zusammen, taumelte die CDU nicht einer ungewissen Zukunft entgegen und überflügelten nicht gerade die Grünen die ehemaligen Volksparteien – dann würde Deutschland vermutlich gerade über eine überraschend tatkräftige Regierung sprechen.
Letzte Woche zum Beispiel verabschiedete der Bundestag im Eilverfahren ein Paket von acht Gesetzen, das die Einwanderung neu regelt – viele Beobachter halten die Gesetze für «nahezu historisch». Nachdem sich CDU und CSU im letzten Sommer wegen eines untergeordneten Problems der Grenzkontrolle im Streit noch fast selbst zerlegt hatten, schlossen sie nun in bemerkenswerter Einigkeit weitreichende Kompromisse mit der SPD. Der Tenor: Einwanderer, die sich anstrengen, sollen es künftig leichter haben, solche, die betrügen, schwerer.
Erstmals in der Geschichte erhält Deutschland damit ein Gesetz, das die Einwanderung von Facharbeitern von ausserhalb der EU ausdrücklich wünscht und erleichtert. Der absehbare Mangel an einheimischen Berufsleuten gilt als das grösste Zukunftsproblem der deutschen Wirtschaft.
Viele Wähler und Medien trauen der Regierung nichts mehr zu, deswegen schauen sie gar nicht mehr genau hin.
Menschen mit abgeschlossener Ausbildung sollen künftig in Deutschland Arbeit suchen dürfen, auch wenn sie noch keinen Vertrag vorweisen können; die Prüfung, ob nicht auch ein Einheimischer oder ein EU-Bürger für den Job infrage käme, entfällt. Die SPD hat der Union zudem abgerungen, dass Flüchtlinge, die bereits eine Ausbildung begonnen haben und gut Deutsch sprechen, künftig nicht mehr von der Abschiebung bedroht sind – egal, wie ihr Asylstatus aussieht.
Im Gegenzug boten die Sozialdemokraten Hand zu Verschärfungen in der Abschiebepraxis. Die gilt als das grösste Problem im Vollzug der geltenden Asylpolitik. 2018 scheiterten Zehntausende von Abschiebungen, weil die Einwanderer zum betreffenden Zeitpunkt nicht auffindbar waren. Die neuen Gesetze erlauben, Ausreisepflichtige leichter in Abschiebehaft zu nehmen. Zudem werden Einwanderer sanktioniert, die ihre Identität verschleiern oder nicht dabei mithelfen, sie zu klären.
Grosse Vorhaben
Die Migrationsgesetze sind dabei nur das jüngste Beispiel für die Arbeit einer Regierung, die vor einem Jahr in grosser Not gebildet wurde, aber erheblich zielstrebiger ihren Koalitionsvertrag abarbeitet, als viele meinen. Ähnliche Massnahmenpakete gab es bereits für die Verbesserung von Kita, Rente und Pflege, für die Digitalisierung der Schulen oder die Erforschung der künstlichen Intelligenz.
Weitere grosse Projekte sollen bis Ende Jahr folgen: die Abschaffung des einst für die Förderung des Ostens eingeführten Solidaritätszuschlags, die Einführung einer Grundrente, die Menschen, die lange gearbeitet haben, garantiert, dass sie im Alter mehr erhalten als jemand, der nie gearbeitet hat, und – vielleicht am wichtigsten – ein umfassendes Klimaschutzgesetz, das festlegt, wie Deutschland seine Klimaziele erreicht. Dort dürfte der CO2 endlich auch im Verkehr, beim Wohnen und in der Landwirtschaft einen Preis bekommen – es wäre ein Durchbruch zu einer ökologischen Wende in Steuersystem, Industrie und Konsum.
Bei den Wählern verfestigte sich der falsche Eindruck, diese Regierung regiere nicht, sondern streite nur.
Die Grosse Koalition, als lethargisch und zerstritten verschrien und vom frühzeitigen Ende bedroht, fertigt also gerade Gesetze im Akkord. Warum, fragt man sich nicht nur in den Berliner Ministerien und Parteizentralen, schlägt sich das in der Wahrnehmung von Regierung und Regierungsparteien dann nicht besser nieder?
Viele Wähler und Medien trauen der Regierung nichts mehr zu, deswegen schauen sie gar nicht mehr genau hin. Viele haben aber nicht zu Unrecht auch den Eindruck, dass das Klein-Klein grosskoalitionärer Gesetzesarbeit längst nicht mehr zur Grösse der anstehenden Probleme passt: zur Verhinderung des Klimawandels etwa, zur Neuerfindung der EU oder zur menschenfreundlichen Gestaltung von Globalisierung und Digitalisierung.
Auch bei der Einwanderung haben viele dieses Gefühl: Ein von Grund auf neues Einwanderungsregime nach dem Beispiel des angelsächsischen Punktesystems etwa hätte den Wunsch nach Neuanfängen bestimmt besser bedient als die gewissenhafte Neujustierung des bestehenden, immens komplizierten Regelwerks.
Profilsucht schadet
Teilweise haben sich die Regierungsparteien auch selbst um den Erfolg ihrer Arbeit gebracht: Im Bemühen, die Unterschiede zum ungeliebten Partner zu betonen und damit ihr Profil zu schärfen, hoben sie nach Kompromissen stets vor allem hervor, was dem Kompromiss aus ihrer Sicht noch fehlt – statt hervorzuheben, was schon erreicht wurde.
Der Profilierung der Parteien nutzte diese Haltung bisher wenig, vielmehr verstärkte sie die allgemeine Unzufriedenheit. Und bei den Wählern verfestigte sich der falsche Eindruck, diese Regierung regiere nicht, sondern streite nur.
Die Zeit läuft aus
Dass Angela Merkels letztes Kabinett gerade jetzt so viele Gesetze vorlegt, liegt natürlich nicht nur daran, dass die jeweiligen Minister mittlerweile die Zeit genutzt haben, ihre Versprechen zu erfüllen. Die Regierung will offensichtlich auch beweisen, dass sie handlungsfähig ist – und besser als ihr Ruf. Und selbstverständlich sind die meisten Ministerinnen und Minister auch realistisch genug, zu wissen, dass ihnen für ihre Gesetzesarbeit vermutlich nur noch dieses Jahr bleibt – trotz Mandats bis 2021.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch