«Die Renten auf ein realistisches Mass reduzieren»
Die Pensionskassen kommen beim Investieren auf keinen grünen Zweig. Wenn das so weitergeht, müssen sie die Rentenversprechen kürzen.

Herr Ebeling, einer Ihrer Konkurrenten sagte, er hätte keine Zeit für Interviews, eine Stiftungsratssitzung jage die andere. Wie häufig rufen Stiftungsräte nach Ihnen?Pro Tag nehme ich gegenwärtig an einer Stiftungsratssitzung teil. Das ist deutlich mehr als sonst üblich.
Was wollen die Stiftungsräte von Ihnen wissen?Sie stellen Fragen wie: «Können wir weitermachen wie bisher? Welche Massnahmen müssen allenfalls ergriffen werden? Muss die Anlagestrategie geändert werden?» Hier möchten sie unsere Unterstützung haben. Pauschalantworten gibt es jedoch nicht. Jede Pensionskasse muss separat analysiert werden.
Welche Gefühle prägen die Fragen? Haben die Stiftungsräte Angst?Nein. Sie sind besorgt, aber gefasst und gehen sachlich an die Probleme heran. Die Entwicklung kommt nicht ganz unerwartet. Doch im Oktober hat sich die Lage verschärft, was viele Stiftungsräte zum Handeln veranlasst hat. Diese haften ja persönlich für einen allfälligen Schaden, den sie der Kasse absichtlich oder fahrlässig zufügen. Sie wollen deshalb Antworten auf Fragen haben, die sich aus der angespannten finanziellen Lage ihrer Kasse ergeben.
Was genau ist Ihre Aufgabe in der Beratung?Eine Pensionskasse verspricht Altersrenten, aber auch Renten für Witwen, Waisen und bei Invalidität. Darüber hinaus sollte sie jedes Jahr den Versicherten eine gewisse Mindestverzinsung des Sparkapitals gutschreiben. Der Finanzierungsbedarf der Gesamtheit dieser Versprechen legt fest, was die Pensionskasse mit Lohnabzügen einnehmen und mit ihren Anlagen erwirtschaften muss. Wir liefern hierzu die Entscheidungsgrundlagen: Wir sagen dem Stiftungsrat, welches Risiko er mit welcher Anlagestrategie eingeht.
Eine solche Anlagestrategie ist zu vergleichen mit einem Baby. Wie viele Kassen haben Ihr Baby übernommen?(Er lacht). Etwa 60 Kassen.
Und das Resultat?Wir können zufrieden sein. Natürlich hat uns aber die jetzige Entwicklung im Kapitalaufbau zurückgeworfen.
Schlafen Sie gut?In letzter Zeit gibt es hin und wieder Nächte, in denen ich weniger gut schlafe. Die Lage unserer Kunden lässt mich nicht kalt. Und auch ich bin ein Versicherter.
Letzte Woche sagte mir ein grosser Pensionskassen-Verwalter, die Lage in der 2. Säule sei schlimmer als bekannt: Mehr als 50 Prozent aller Kassen befänden sich in einer Unterdeckung.Er dürfte recht haben. Einige Kassen sind mit ihrem Deckungsgrad gar unter 90 Prozent gefallen.
Gerät eine Kasse unter 90 Prozent des Leistungsversprechens, so muss sie sanieren. Der Arbeitgeber schiesst etwa Geld ein. Das ist in der Krise doppelt heikel . . .Die finanzielle Lage des Unternehmens lässt es nicht oder nur in sehr beschränktem Umfang zu, solchen Forderungen entgegenzukommen. Bei Sanierungsbeiträgen werden die Lasten sowohl auf Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer verteilt. Der Arbeitgeber muss aber mindestens so viel einbringen wie die Versicherten.
Und die Pensionäre? Gilt noch, dass sie keine Sanierungsbeiträge leisten müssen?Im Grundsatz ja. Kann die Pensionskasse aber nachweisen, dass in der Vergangenheit freiwillige, im Reglement nicht vorgeschriebene Rentenverbesserungen gewährt wurden, so können diese als Sanierungsbeitrag zurückgefordert beziehungsweise mit den laufenden Renten verrechnet werden. Dies aber nur beschränkt auf die Dauer der Unterdeckung. Ich glaube nicht, dass eine solche Massnahme tatsächlich bei einer Kasse ergriffen wird.
Wer im Frühjahr 2007 rasch seinen Aktienanteil gesenkt hat, wäre jetzt fein raus. Wann lohnt sich eine rasche, taktische Reaktion auf einen Börsensturz?Rückblickend sind wir immer gescheiter. Taktik beruht auf kurzfristigen Wetten. Hierbei mehrheitlich richtig zu liegen, ist sehr schwierig, selbst für Profis. In der Regel legt eine Kasse Bandbreiten fest, in welchen sich die Anteile der einzelnen Vermögensteile bewegen dürfen, zum Beispiel 20 bis 30 Prozent Anteil für Aktien. Gegenwärtig ist die Aktienquote bei fast allen Kassen am unteren Ende der strategischen Bandbreite angelangt.
Die Lebensversicherer erlebten ihre Krise 2001. Sie reduzierten ihre damals grossen Aktienportefeuilles. Nach 8 Jahren ist deren Rendite gleich hoch wie die der autonomen Pensionskassen. Bedenklich, oder?In der Tat hat es sich über die letzten acht Jahre kaum gelohnt, mehr Risiko zu nehmen. Dieses wurde nicht mit einer Zusatzrendite entschädigt. Doch hierzu haben einzigartige Umstände beigetragen. Ob diese für die Zukunft ebenfalls zutreffen, möchte ich bezweifeln. Die Optimierung des Risikomanagements bleibt eine Hauptaufgabe der Pensionskassen.
Eine Anlagestrategie baut auf wahrscheinlichen Renditen auf. Sie sagt, welche Anlageklassen wie viel Zins abwerfen sollten. Wie geht das genau vor sich, und wie sicher ist das Verfahren?Wir sind gezwungen, Annahmen zu treffen: Welches ist die wahrscheinlichste Rendite einer Anlageklasse, und wie stark kann diese von diesem erwarteten Mittelwert abweichen? Je grösser unsere Unsicherheit, desto grössere Abweichungen müssen wir einplanen. Daher gehen wir bei Aktien von einer viel grösseren Schwankung aus als bei Obligationen. Anhand der erwarteten Renditen und der unterstellten Risiken lässt sich eine optimale Strategie herleiten. Eine Erfolgsgarantie gibt es aber nicht.
Mit welcher Wahrscheinlichkeit können Sie Krisen wie die jetzige voraussehen?Die bisher eingesetzten Risikomodelle zeigten, dass die heutige Krise höchst unwahrscheinlich war. In unseren Modellen hätte es nur in ungefähr ein Prozent aller möglichen Fälle noch schlimmer kommen dürfen. Man beachte aber: Risikomodelle liefern keine Prognose, sie helfen uns nur, besser mit Risiken umzugehen. Wertschwankungsreserven sind der finanzielle Puffer, um Krisen durchzustehen.
Wenn die Finanzmärkte weiter so wenig rentieren wie in den letzten zehn Jahren, können die Rentenversprechen nicht erfüllt werden. Dann wären Ihre Anlagestrategien obsolet.Keineswegs, die Erträge auf den Anlagen sind und bleiben ein wichtiger Beitragszahler, auch in Zukunft. Die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge alleine reichen nicht aus. Die Frage lautet vielmehr: Müssen wir nicht bescheidener werden und die Leistungsziele zurückschrauben?
Experten sagen, dass nach vierzig Berufsjahren sechzig Prozent der Rente von Anlage-Erträgen finanziert werden und bloss vierzig Prozent aus Lohnbeiträgen . . .Wenn wir wirklich davon ausgehen, dass die Anlageerträge zukünftig bescheidener ausfallen, so werden Pensionskassen ihre Leistungsversprechen auf ein realistisches Mass herabsetzen müssen.
Das heisst, um wie viel senken?Das lässt sich so nicht in Zahlen sagen. Aber die Zeiten einer üppigen Altersvorsorge sind vielleicht tatsächlich vorbei. Spüren werden dies in erster Linie die heute 30- und 40-Jährigen - mit Sicherheit nicht die heutigen Rentner.
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