Von Schriftsteller Charles Lewinsky stammt der schöne Satz, dass rund zehn Prozent der Menschen Arschlöcher seien. Das bestätigt sich in der Schlange vor der Migros-Kasse ebenso wie auf Facebook oder Twitter. Dass die sozialen Medien mitunter ziemlich asozial sein können, daran haben sich die Nutzer längst gewöhnt. Auf die Idee, die Abermillionen an Meinungen, Schmähungen und Müllabsonderungen deswegen zu kontrollieren, sie gar zu zensieren oder zu büssen, käme höchstens ein ebenso grössenwahnsinniger wie hoffnungsloser Idealist.
Zum Beispiel der deutsche Staat, der sich seit der Flüchtlingskrise als eine Art moralische Supermacht begreift, die dem Bösen auf der Welt den Garaus machen will. Seit Anfang Jahr gilt dort das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG: Soziale Medien wie Facebook, Twitter oder Youtube müssen innert 24 Stunden alles löschen, was «offensichtlich rechtswidrig» ist – andernfalls drohen Strafen bis zu 50 Millionen Euro. Das Problem dabei ist nicht nur die schiere Masse an zu kontrollierenden Beiträgen. Es gibt im NetzDG auch keinerlei Definition dafür, was mit «offensichtlich rechtswidrig» gemeint ist.
Bei Facebook zum Beispiel müssen die Kontrolleure, die in der Regel keine juristische Ausbildung haben, innert durchschnittlich acht Sekunden entscheiden, ob etwas entfernt werden soll. Angesichts der drohenden Bussgelder drücken sie im Zweifel natürlich auf «Löschen». Und angesichts des Auftraggebers löschen sie vornehmlich das, von dem sie denken, dass es die deutsche Regierung gelöscht haben will.
«Wer hier stilistisch nicht stubenrein artikuliert, wird gelöscht.»
In vorauseilendem Gehorsam hat Facebook mit der Säuberung längst begonnen. Die zensierten Beiträge, die im Internet auf einer «Wall of Shame» abrufbar sind, zeigen: Islamkritiker haben es künftig schwer in Deutschland. Selbst dann, wenn sie so sachlich argumentieren wie der bekannte Autor Hamed Abdel-Samad, der tagelang gesperrt worden ist. Wer den Islam mit Terror in Verbindung bringt, wird mundtot gemacht. Mohammed-Karikaturen gehen gar nicht, ebenso Ausdrücke wie «Nafri» für «nordafrikanische Intensivtäter». Wenig Toleranz zeigt Facebook auch bei Themen wie Homo-Ehe oder Geschlechteridentitäten. Wer hier die politisch korrekte Kaste verlässt und stilistisch nicht stubenrein artikuliert, wird gelöscht. In Ordnung ist es hingegen, AfD-Chefin Alice Weidel «Fotze», «Nazi» und «Drecksau» zu nennen. Auf eine Beanstandung antwortete Facebook, dass der Beitrag «gegen keinen unserer Gemeinschaftsstandards verstösst».
Der Verdacht liegt nahe, dass es sich beim NetzDG vor allem um ein Volkserziehungsprogramm handelt. Exerziert von überforderten Zensoren und angefeuert von einem Staat, der mit Meinungspolizeien in der Vergangenheit schreckliche Erfahrungen gemacht hat. Die Angst vor rechts ist offenbar derart gross in Deutschland, dass auch heute wieder nicht mehr ausgesprochen werden soll, was nicht sein darf. Der erwünschte Effekt hat sich bisher nicht eingestellt, im Gegenteil: Die AfD schlüpft einmal mehr in die erfolgreiche Opferrolle, und ihre Provokationen erreichen mit jeder Zensur nur noch mehr Beachtung.
Es gibt keinen Grund, warum die 10-Prozent-Regel nicht auch für Deutschland stimmen soll. 8 Millionen Arschlöcher sind zwar viel. Die restlichen 72 Millionen werden diese aber wohl aushalten können. Indem sie deren digitalen Müll einfach ignorieren, darüber lachen oder smart dagegenhalten. Und notfalls gäbe es auch in Deutschland Straftatbestände wie Ehrverletzung, Nötigung, Beleidigung oder Volksverhetzung – deren Verfolgung einem Staat sicherlich besser ansteht als ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, dem höchsten Gut überhaupt in einer Demokratie.
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Warum Zensur in den sozialen Medien gefährlich ist.