Kurzfilmtage Winterthur«Die SRG zwingt mich dazu, weiterhin Filme zu machen»
An der 25. Ausgabe der Kurzfilmtage läuft ein Programm mit Werken von Clemens Klopfenstein. Der Regisseur über Filmförderung, Nostalgie und Tiktok.

An den Kurzfilmtagen findet die Uraufführung von «La luce romana» statt, Ihrem neusten Werk. Sie filmten es 1974. Wieso wurde der Kurzfilm erst jetzt fertig?
Die Aufnahmen machte ich während eines Malereistipendiums in Rom. Damals gingen die Filmrollen verloren, sie sind nun aber in Archiven in Lausanne und Bern aufgetaucht. So konnte ich den Film endlich schneiden und vertonen.
Sie drehten vom Turm des Schweizerischen Instituts aus. Wir sehen den römischen Alltag, etwa einen Mönch, der schliesslich die Kamera entdeckt. Daraus wird ein richtiges Hin und Her.
Eine schöne Geschichte. Auch am Filmmaterial selbst habe ich viel Freude, an den Überbelichtungen und Unschärfen. Das Zelluloid ist zerkratzt und verschmutzt. Sehr nostalgisch. Finanzieren konnte ich die Fertigstellung dank der SRG.
Wie das?
Das Schweizer Fernsehen zeigt ab und zu einen meiner Langfilme, dafür gibts jeweils eine Prämie. Das ist so geregelt im Pacte de l’audiovisuel, einem Vertrag zwischen der SRG und der Filmbranche. Die Prämie beträgt um die 13’000 Franken, das Geld ist aber daran gebunden, dass man ein Projekt einreicht. Ich werde von der SRG quasi gezwungen, weiterhin Filme zu machen. Als ich 75 Jahre alt wurde, lief «Die Vogelpredigt» im Fernsehen. Mit der Prämie mache ich jetzt ein Projekt im Tiktok-Stil.
Verbringen Sie viel Zeit auf Tiktok?
Ich bin ein totaler Fan. Es entspannt mich, ein Video nach dem anderen zu schauen. Es ist wie mit dem Essen von Chips: Nach einem kann man nicht einfach aufhören. Auf dem Zwiebelbrettchen, wie ich mein Smartphone nenne, habe ich alle diese Zeitfresser-Apps, Instagram, Twitter und so weiter.
In Winterthur läuft auch «Die Gemmi: Ein Übergang». Da wandern Polo Hofer und Max Rüdlinger über den Pass. Den Kurzfilm haben Sie später erweitert zu «Das Schweigen der Männer». Wie kam es dazu?
Die Urfassung entstand 1994 zum Europäischen Jahr des Wanderns. Überraschend feierte «Die Gemmi» einen grossen Erfolg an der Berlinale, und an den Kurzfilmtagen Oberhausen erhielt der Film den Preis für den humorvollsten Beitrag. Danach schickte mir Bundesrätin Ruth Dreifuss einen handgeschriebenen Brief. Darin hiess es: Dass ein Schweizer Film mit einem Preis ausgezeichnet wird, ist eh selten, erst recht als humorvollster Film. Mit diesem Brief in der Tasche bin ich sofort los und konnte die Finanzierung für eine Langfassung sichern. So konnten wir in Ägypten drehen.
«Das Schweigen der Männer» gewann 1998 den Schweizer Filmpreis.
Zum Entsetzen vieler.
Ich habe noch nie so viele Pfiffe bekommen wie am Abend der Preisverleihung.
Wie meinen Sie das?
Ich habe wohl noch nie so viele Pfiffe bekommen wie am Abend der Preisverleihung. Die Leute im Saal hatten erwartet, dass «Clandestins» gewinnt, eine ernste Angelegenheit. Aber die Jury war frech gewesen und hat meine leichte Improvisation ausgezeichnet.
Schliesslich wurde aus «Das Schweigen der Männer» eine Trilogie mit «Die Vogelpredigt» und «Das Ächzen der Asche».
Der Letzte ist traurig herausgekommen. Polo starb ja während der Dreharbeiten. Übrigens ist mein Tiktok-Projekt als eine Ouvertüre zu «Das Ächzen der Asche» gedacht, als Gegengewicht zur Wehmütigkeit.
Werden Sie sich in Winterthur die anderen Kurzfilme ansehen?
Ich bin das ganze Festival über dort. Ich war jetzt zwei Jahre in Umbrien, wo ich wohne, eingeschlossen in meinem kleinen Paradies. Ich hatte zwar Fernsehen und Internet, und ich hatte den Auftrag, eine neugebaute Kirche mit Fresken zu versehen. Aber jetzt will ich wieder einmal unter die Menschen.
25. Internationale Kurzfilmtage Winterthur, Di 9.11.–So 14.11., kurzfilmtage.ch
Das Filmpodium zeigt Clemens Klopfensteins «Geschichte der Nacht» in der Reihe «Corinnes Blind Dates». Do 25.11., 18 Uhr, in Anwesenheit des Regisseurs; Do 16.12., 20.45 Uhr.
Unsere Tipps zu den Kurzfilmtagen
Clemens Klopfenstein
Neben «La luce romana» und «Die Gemmi» ist im Klopfenstein-Programm «Das Schlesische Tor» zu sehen – ein Filmgedicht von 1982, in dem Berlin, Hongkong und Tokio aufeinandertreffen. Die Hommage gehört zum grossen Fokus «La Suisse n'existe pas».
So 14.11., 16.30 Uhr, Casino

«I kujt është flamuri?»
Der diesjährige Länderfokus ist Kosovo gewidmet. Vom widersprüchlichen Patriotismus der jungen Republik handelt «I kujt është flamuri?» Darin erzählen Menschen, was sie von Kosovos Flagge halten – zufrieden sind die wenigsten. Zu sehen ist der Beitrag im Block «Rebuilding Identity».
Mi 10.11., 15 Uhr, Cameo; So 14.11., 14 Uhr, Casino

«Slap the Gondola!»
Die Filmtage zeigen Werke der französischen Regisseurin Marie Losier. «Slap the Gondola!» ist ein durchgeknalltes Mini-Musical. Da locken zwei Nixen mit ihrem Geigenspiel Fische an Land. Alles gerät ausser Kontrolle, als ein Riesenfisch mitsamt einer singenden Tanztruppe hinzukommt.
Do 11.11., 16.30 Uhr, Cameo

«Junior»
Regisseurin Julia Ducournau ist grad mit «Titane» im Kino. Bekannt wurde sie mit ihrem Kurzfilm-Erstling «Junior», der in Winterthur im Programm «Breaking Glass» läuft. Ein Mädchen stellt fest, dass die Pickel im Gesicht erst der Anfang einer gruseligen Verwandlung sind.
Fr 12.11., 16.30 Uhr, Cameo
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