Die unendliche Geschichte wird jetzt vom Computer erzählt
Ist das die Zukunft der Unterhaltungsindustrie? Ein Computerwissenschaftler baut eine Erzählmaschine, die jedem Zuhörer eine eigene Saga präsentiert.

«Hier sehen wir die Zukunft der Unterhaltungsindustrie!», behauptete «The Verge» am letzten Sonntag. Wenn es nach dieser Prognose geht, werden Algorithmen bald das Geschichtenerzählen lernen und uns individuelle Werke vorsetzen. Der Bestseller hat ausgedient – denn die künstliche Intelligenz produziert nur Einzelanfertigungen.
Anlass dieser Zukunftsvision ist der Podcast «Sheldon County», der für jeden Zuhörer eine neue, unendliche Geschichte erfindet. «Durch Auslösen des Zufallsgenerators beansprucht jeder sein eigenes simuliertes Universum, in dem alle Figuren und Geschichten einzigartig sind – und nur dem Zuhörer gehören», beschreibt der Schöpfer des Podcasts, James Ryan, sein Werk.
Erzeugt wird diese Geschichte von einem Computerprogramm namens Hennepin. Es wird von James Ryan im Artikel als «grösste Exceltabelle der Welt» beschrieben: mit endlosen Reihen von Zellen, die Figuren, deren Eigenschaften, Beziehungen und Berufe in Verbindung bringen. Die Charaktereigenschaften bestimmen, welche Handlungen möglich sind und welche nicht. So muss eine Figur den Wesenszug «cool» aufweisen, damit sie sich über andere lustig machen kann – sonst passt das eben nicht in den Spielraum, der ihr die Hennepin-Software lässt.
Starre Pappkameraden
Natürlich werden an dieser Stelle Liebhaber von handgefertigter Literatur und menschlicher Fabulierkunst bereits erste Einwände haben: Eine so starre Charakterisierung lässt keine Figurenentwicklungen und keine wirklichen Überraschungen zu. In «Sheldon County» werden es Doppelagenten oder gespaltene Persönlichkeiten schwer haben und überraschende Wendungen mit Metamorphosen, Verwandlungen von Saulus zum Paulus oder umgekehrt wahrscheinlich ausbleiben. Zu erwarten sind Geschichten nach dem Baukastensystem auf dem Niveau einer Telenovela.
«No Man's Sky» versprach die Kreation von «18 Trillionen Planeten», inklusive Flora, Fauna und Geologie: ein von der Spielergemeinschaft zu erforschendes Universum. Diese unendlichen digitalen Weiten weckten immense Erwartungen, denen der Titel beim Start nicht gerecht wurde.
So schnell werden Algorithmen den Erzähler und Romancier nicht ablösen. Doch sie greifen bereits in Geschichten ein, indem sie Nebenfiguren steuern. Im Game «Mittelerde: Schatten des Krieges» muss der Spieler Orks versklaven, um eine Armee aufzubauen. Die Orks werden vom Computer gesteuert und sind kein dummes Kanonenfutter: Jeder Ork hat eine Biografie und eine Persönlichkeit, und er pflegt Beziehungen und Konflikte mit seinesgleichen.
Diese Persönlichkeiten seien so lebendig, dass es belastend sei, schrieb ein Tester: «Ich habe seinen Willen gebrochen, ihn in den Orkstall gesperrt und daraufhin das Spiel geschlossen. Und seit dem Moment nicht mehr gespielt.»
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