Die US-Gewerkschaften plagen Existenzängste
Den bereits dezimierten Gewerkschaften in den USA droht mit Präsident Trump eine weitere Schwächung. Der Anstoss dazu könnte vom Bundesgericht kommen.

Für die Gewerkschaften sollte der Wahltag ein Freudentag werden. Sie hofften, ihre über 100 Millionen Dollar teure Kampagne in Industriestaaten wie Michigan, Ohio und Pennsylvania zahle sich aus und Hillary Clinton werde Präsidentin. Es sollte nicht sein: Donald Trump holte weit mehr Gewerkschafter ab als erwartet, in Ohio stimmte gar eine Mehrheit der organisierten Arbeiterschaft für ihn. Und er traf den Nerv der Frustrierten weit besser als sie. «Trump hat sich die Sprache der Gewerkschaften zu eigen gemacht», musste Leo Gerard, Präsident der Stahlarbeiter-Gewerkschaft, in einem Brief an die 600'000 Mitglieder zugeben. «Trump hat unsere eigenen Worte gebraucht, um die Sorgen und das Leiden von so vielen von euch zu beschreiben.»
Der Sieg von Trump trifft die Gewerkschaften in einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Sie haben in den letzten Jahren höhere Mindestlöhne erstritten und konnten am Wahltag zusätzlich in Kalifornien und New York Stundenansätze von 15 Dollar pro Stunde durchsetzen, von denen sie hofften, sie würden nun landesweit die Norm werden. Ihr Augenmerk galt vor allem den Schnellimbissketten, wo die Angestellten überwiegend für Tieflöhne arbeiten und nicht organisiert sind. Ziel war, mit den höheren Minimallöhnen die Angestellten der Fast-Food-Branche für die Gewerkschaften gewinnen und damit den Mitgliederschwund bremsen zu können. Für diese Kampagne waren seit 2012 mehrere Dutzend Millionen Dollar investiert worden.
Doch diese Investitionen müssen nach der Wahl von Trump wohl als Verlust abgeschrieben werden. Ein Grund dafür ist die Nomination eines erklärten Gewerkschaftsgegners als neuen Arbeitsminister. Andrew Puzder führt seit 2000 die CKE-Restaurants, die Muttergesellschaft der Hamburger-Joints von Carl Jr. sowie von Green Burrito und Hardee's. Puzder widersetzt sich höheren Minimallöhnen, will die Gesundheitsreform Obamacare rückgängig machen und sieht die Gewerkschaften als Auslaufmodell. In seinem Konzern musste er bereits schon millionenteure Vergleiche abschliessen, weil er Überstundenarbeit nicht ausreichend bezahlte. Dafür verfolgt er eine auf weibliche Modelle fokussierte PR-Strategie. In Fernsehspots von Carl Jr. treten spärlich bekleidete Frauen auf und beissen in die saftigen Burger. «Die Werbung ist ein Abbild meiner Persönlichkeit. Ich liebe schöne Frauen in Bikinis, die einen Burger essen. Ich glaube, das ist sehr amerikanisch», sagt er dazu.
Sprengsatz für Arbeiterschaft
Randi Weingarten, die einflussreiche Präsidentin der Gewerkschaft der Lehrer, sieht die Nomination von Puzder zum Arbeitsminister als Provokation. «Die Wahl macht alles, wofür das Arbeitsministerium steht, lächerlich. Das ist exakt das Gegenteil von dem, was Trump den Arbeitern versprochen hat. Die Wahl pulverisiert die Arbeiterschaft.» Mary Kay Henry, Präsidentin der Gewerkschaft der Restaurant- und Serviceangestellten, verweist darauf, dass Puzder in einem Tag so viel verdient wie seine Angestellten in einem Jahr. Wenn er seine gewerkschaftsfeindliche Linie durchsetze, «muss von einem Antiarbeitsministerium gesprochen werden», sagt die Gewerkschafterin.
Trump selber drohte ebenfalls mit einer Schwächung der Gewerkschaftsbewegung. Als der Präsident der Stahlarbeiter in Ohio korrekt anmerkte, dass Trump nicht wie behauptet 2000 Stellen beim Industriebetrieb Carrier vor der Verlagerung nach Mexiko bewahrt hatte, sondern nur rund die Hälfte, schlug der künftige Präsident zurück und forderte dazu auf, der Gewerkschaft die Finanzierung abzustellen. Dies ist von höchstem Gewicht, liegt die Frage der Zwangsmitgliedschaft und -beiträge derzeit doch vor dem Bundesgericht.
Der verstorbene konservative Richter Antonin Scalia liess Anfang Jahr noch eine gewisse Sympathie für die Gewerkschaften erkennen, als es um diese grosse Streitfrage ging. Doch nun kann Trump dessen vakante Stelle besetzen. Die Aussicht, dass er einen gewerkschaftskritischen Juristen nominiert, ist gross. Ein solcher Richter kann Schaden anrichten, indem er den Trend zu «Right to Work»-Gesetzen verstärken könnte. Diese Gesetze untersagen Zwangsmitgliedschaften in bestimmten Branchen und in immer mehr Bundesstaaten. In Michigan etwa setzten die Republikaner ein solches Gesetz bereits 2012 durch, worauf die Gewerkschaft der Gesundheitsberufe die Mehrheit ihrer Mitglieder verlor. Das Bundesgericht muss nun entscheiden, ob das Gleiche auch für die öffentlich Bediensteten der Bundesverwaltung in Washington gelten soll.
Die Folgen wären katastrophal, warnen Gewerkschafter. Denn unter den öffentlichen Angestellten sind immerhin noch 36 Prozent gewerkschaftlich organisiert. Dagegen gehören in der Privatwirtschaft nur noch 6,6 Prozent der Arbeiter einer Gewerkschaft an. Der Organisationsgrad als Ganzes ist seit Präsident Ronald Reagan um die Hälfte auf 11 Prozent gefallen. Die USA liegen damit unter den Industriestaaten deutlich zurück.
Mit Trump im gleichen Boot
Die Gewerkschaften machen sich auf noch härtere Zeiten gefasst. So hat die Service Employees International Union nach der Trump-Wahl beschlossen, das Budget um 30 Prozent zu kürzen, und ist nach den Worten ihrer Präsidentin Mary Kay Henry zu einem «dramatischen Überdenken» der Strategie gezwungen. Obwohl die Gewerkschaft mehr als alle anderen Erfolg hatte und in Nevada mehr als 50'000 Wähler zusätzlich an die Urne und Clinton sowie den Demokraten im Kongress Mehrheiten sicherte, muss sie zurückstecken.
«Don't let Trump speak for workers», verlangte Richard Trumka diese Woche in der «New York Times». Der Präsident des Dachverbandes aller Gewerkschaften tönte aber wenig zuversichtlich. «Die Arbeiter brauchen keinen Retter, der für sie spricht. Wir wollen uns durch unsere Gewerkschaften Gehör verschaffen – und deren Stimmen sind wichtiger denn je.» Doch Trumka hatte nur einen konkreten Vorschlag zur Hand: Neuverhandeln des Nafta-Wirtschaftsabkommens mit Mexiko und Kanada oder allenfalls auch die Auflösung des Vertrags. Das ist, was viele frustrierte Gewerkschafter fordern. Aber es ist auch, was Trump will und ihn mehr stärken würde, als den Gewerkschaften recht sein kann. Jede Hoffnung auf ein Verbreitern der Gewerkschaftsbasis muss wohl fallen gelassen werden.
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