Die Vernichtungswut des Adolf Hitler
Eine neue Biografie schildert den Weg des deutschen Diktators in den Untergang – eine präzise Darstellung, die ohne jedes Getöse und Geraune auskommt.

Es ist ein weiter Weg, den die Hitler-Forschung beschritten hat. Man muss gar nicht zurückgehen bis zur ersten grossen Biografie über den «Führer», die der englische Historiker Alan Bullock 1952 veröffentlichte und die nur aus einem Bruchteil jener Quellen schöpfen konnte, die heute zugänglich sind. Es genügt, in dem zwei Jahrzehnte später erschienenen «Hitler» von Joachim Fest zu blättern, um festzustellen, wie schwer es nicht nur den meisten Zeitgenossen des «Dritten Reiches», sondern auch der Forschung fiel, sich der negativen Faszinationskraft des Mannes aus Braunau zu entziehen.
Vielleicht hat es des Abstands zweier Generationen bedurft, um über den Diktator mit jener kühlen Nüchternheit zu schreiben, die Volker Ullrichs nach achtjähriger Arbeit nun vollständig vorliegende zweibändige Biografie so eindrucksvoll durchhält.
Wille zum Krieg
Ullrichs Darstellung bleibt dicht an ihrem Protagonisten, dessen Wille zum Krieg und Entscheidung zum Losschlagen im Sommer 1939 den Auftakt des Bandes bilden. In den Monaten nach seinem 50. Geburtstag befand sich Hitler bei den Deutschen auf einem ersten Höhepunkt seines Ansehens; das vor allem deshalb, weil er das Reich ohne Krieg und Blutvergiessen wieder «gross» gemacht hatte.
Daraus – und wohl mehr noch aus der im kollektiven Gedächtnis präsenten Erinnerung an die Katastrophe des Ersten Weltkriegs – erklärt sich, dass am 1. September 1939 von Begeisterung keine Rede sein konnte, als Hitler vor dem eilends zusammengetrommelten Reichstag verkündete: «Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt an wird Bombe mit Bombe vergolten.»
Das war nicht nur verlogen, sondern auch faktisch falsch. Hitler, sichtlich erschöpft nach dem tage- und nächtelangen diplomatischen Tauziehen, das die Spuren seiner alleinigen Verantwortung zu verwischen suchte, vertat sich um eine Stunde.
Gemäss seiner Weisung vom Vortag hatte der deutsche Überfall auf Polen um 4.45 Uhr begonnen: nach von der SS inszenierten «Grenzzwischenfällen», unter anderem am Sender Gleiwitz. Und schon im Morgengrauen legte die Luftwaffe die Kleinstadt Wielu? in Schutt und Asche.
Ullrich folgt dem «Führer», der sich danach kaum noch in Berlin, jedoch fast 400 Tage auf dem Obersalzberg und ansonsten in seinen wechselnden Hauptquartieren aufhielt, von einem Kriegsschauplatz zum nächsten.
Dies nicht im Sinne einer auf die Schlachtenverläufe fixierten Militärgeschichte – obwohl es auch an eindringlichen Schilderungen etwa der Situation in Stalingrad oder im «Kursker Bogen» nicht mangelt –, sondern mit klarem Blick für die rassistische Vernichtungswut, die Hitlers Ostkrieg von Anfang an charakterisierte. Und er lässt keinen Zweifel daran, wie fügsam sich die Wehrmachtgeneralität, nach einigen folgenlosen Protesten gegen die ersten Massenverbrechen der Einsatzgruppen bereits im «Polenfeldzug», im Ganzen dazu verhielt.
Zentral für diese Interpretation ist das Kapitel über den «Weg in den Holocaust». Gestützt auf die Forschungsliteratur, die seit Ian Kershaws Hitler-Biografie noch einmal signifikant angewachsen ist, verdeutlicht Ullrich, wie sehr der Völkermord an den Juden Europas des Krieges als Ermöglichungsraum bedurfte.
Grenzen des Zugriffs
Zugleich zeigen sich hier die Grenzen des biografischen Zugriffs. Denn als der ausschlaggebende Akteur, der er tatsächlich war, wird Hitler in diesem Zusammenhang oft nur indirekt sichtbar. Im Rahmen einer Biografie nur schwer auf den Punkt zu bringen ist auch, jedenfalls für die Kriegsjahre, die Geschichte der Beziehung zwischen Hitler und den Deutschen. Das musste schon Kershaw erfahren, der stärker als Ullrich auf die gesellschaftsgeschichtliche Perspektive setzte.
Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch Joseph Goebbels' Bemühen, die Verbindung zwischen dem «Führer» und seinem Volk nicht abreissen zu lassen. Immer wieder, und längst nicht immer erfolgreich, suchte der Propagandaminister den de facto abgetauchten «grössten Feldherrn aller Zeiten» zu öffentlichen Auftritten und (Radio-)Ansprachen zu bewegen.
Ob und wie die «Volksgenossen» darauf reagierten, lässt der Autor eine kleine, klug ausgewählte Gruppe von Beobachtern berichten: Friedrich Kellner, den sozialdemokratischen Justizinspektor aus der hessischen Provinz, Lore Walb, die für Hitler glühende Germanistikstudentin, aber auch inzwischen vertraute Stimmen wie Victor Klemperer in Dresden und Thomas Mann aus dem Exil.
Darüber hinaus kommt das Verhalten der Deutschen unter den Bedingungen eines schliesslich auch für sie selbst zusehends härter werdenden Krieges bei Ullrich nur knapp zur Sprache. Dies nicht ohne Grund: Spiegelt sich darin doch, wie wenig es Sache der «Heimatfront» war, auf den einmal begonnenen Krieg noch Einfluss zu nehmen.
Angesichts der Entschlusslosigkeit der Militäropposition 1938 und nach dem Scheitern von Georg Elser war «von unten» kaum noch etwas zu erhoffen – auch wenn Hitler den Gedanken, ihm könnte etwas zustossen, zu instrumentalisieren wusste. Ullrich versteht es, die Grauenhaftigkeit der Figur Hitler ohne Getöse und Geraune herauszuarbeiten. Er macht auch deutlich, wie absurd die Spekulationen über Hitlers «historische Grösse» waren.
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