Die Versicherungen kommen für immer weniger Schäden auf
Seit den 80er-Jahren hat sich die Deckungslücke auf jährlich 100 Milliarden Dollar mehr als vervierfacht. Der Klimawandel wird das Problem verschärfen.

Weltweit steigende Schäden durch Katastrophen

Würde Basel heute von einem Erdbeben in gleicher Stärke wie 1356 erschüttert, müsste man Schäden von 60 bis 80 Milliarden Franken gewärtigen. Diese Zahlen nennt Michael Szönyi, Naturgefahren-Experte der Zurich Insurance Group. Dennoch sind nur knapp 17 Prozent der Zurich-Kunden in Basel freiwillig gegen Erdbeben versichert. Im Wallis – wo das Erdbebenrisiko ähnlich hoch ist wie am Rheinknie – liegt dieser Anteil bei 31 Prozent. «In Basel besteht eine grosse Deckungslücke», so Szönyi.
Solche Lücken bestehen keineswegs nur hierzulande. Im Weltmassstab sind sie noch ausgeprägter, und sie bereiten den Versicherungen zunehmend Kopfzerbrechen. Die ökonomischen Schäden, die durch Erdbeben, Hochwasser, Stürme und andere Naturgewalten verursacht werden, haben sich seit den 80er-Jahren verfünffacht – auf ungefähr 170 Milliarden Dollar pro Jahr. Diese Schadensumme wird zu einem immer geringeren Teil von den Versicherern getragen. Die Folge: Im besagten Zeitraum hat die Deckungslücke – sprich: die Differenz zwischen ökonomischen und versicherten Schäden – von 23 Milliarden auf 100 Milliarden Dollar zugenommen; sie hat sich also in rund 30 Jahren mehr als vervierfacht.
«Schäden werden zunehmen»
Laut Andreas Spiegel, Leiter Nachhaltigkeit bei der Swiss Re, wird sich die Deckungslücke in den kommenden Jahren ausweiten. In den obigen Zahlen – welche die Swiss Re zusammengetragen hat – seien die durch den Klimawandel bedingten Katastrophenschäden noch nicht abgebildet. «Derartige Schäden werden im nächsten Jahrzehnt aber zunehmen», so Spiegel, «weil Naturkatastrophen nach unserer Einschätzung an Häufigkeit und Stärke zulegen dürften.»
Die Waldbrände, die unlängst in der Leventina und im Misox wüteten, geben einen Vorgeschmack – sie sind aber nur ein Puzzlestein im globalen Gesamtbild. Im Zuge des Klimawandels häufen sich extreme Wetterlagen. Sie bescheren lange Trockenheit, Dauerregen oder Stürme, die ihrerseits Auslöser von Naturkatastrophen sind. Immer mehr Menschen sehen sich existenziellen Risiken ausgesetzt, akut gefährdet sind ausserdem Siedlungen und Städte, Industrieanlagen und Infrastrukturen.
Bislang, so Spiegel, hätten vorab «sozioökonomische Faktoren» dazu beigetragen, dass Schadenvolumen und Deckungslücken kontinuierlich grösser geworden seien: einerseits die Ballung von Infrastrukturen und industriellen Anlagen und andererseits die Verstädterung. Beides verstärkt die örtliche Konzentration von Werten. Laut Michael Szönyi sind bis zu 75 Prozent der global anfallenden Gesamtschäden aus Naturereignissen auf die drei weltgrössten Wirtschaftsnationen – USA, China und Japan – konzentriert.
Publikum mehr sensibilisieren
Findet die Wertkonzentration an exponierten Orten wie Flussufern, Meeresküsten oder in erdbebengefährdeten Gebieten statt, steigen die Risiken für die Versicherungen ins Unermessliche. Dies stellt die Branche vor ein Dilemma: Wenn sie sich an ihre herkömmlichen Methoden hält – Risiken zu analysieren, zu bemessen und zu zeichnen –, liefe dies auf so hohe Prämien für die Risikoabdeckung hinaus, dass sich die Versicherer gleichsam aus dem Markt hinauskatapultieren. In unternehmerischer Optik wäre das zwar folgerichtig, doch aus gesellschaftlicher Perspektive würde sich die Assekuranz aus der Verantwortung stehlen, indem sie das ganze Risiko auf den Staat abwälzt.
Wie also sollen sich die Versicherer verhalten und positionieren? Aus Sicht von Szönyi müssen sie «ihren enormen Fundus an Know-how, Expertise und Informationen mehr als bisher dem Publikum öffnen». Auf diese Weise liesse sich ein stärkeres Bewusstsein für die Risiken und deren Dimensionen, aber auch für Risikoprävention schaffen. Wie wichtig Letztere ist, verdeutlicht der Zurich-Experte mit einer einfachen Rechnung: «Dank frühzeitigen Investitionen in vorbeugende Schutzmassnahmen können spätere Schäden vermieden werden, die im Mittel fünfmal so hoch ausfallen wie die Investitionen.» Wasserbezogene Gefahren fallen dabei weitaus am stärksten ins Gewicht: Sie beanspruchen ungefähr drei Viertel der durch Naturkatastrophen verursachten Schadensumme.
«Beträchtliches Potenzial»
Ein anderer Präventionsansatz für die Assekuranz besteht darin, jene Akteure stärker zu sensibilisieren, die den Bau von Wohnimmobilien und industriellen Anlagen finanzieren – also Banken. Denn sind sich diese durch Einblick in Versicherungsdaten erst mal bewusst, welchen Risiken ihr Hypothekenportfolio wegen des Klimawandels ausgesetzt sind, werden sie ihre Kreditvergabepolitik entsprechend anpassen. Das wiederum hat Rückwirkungen darauf, wo Immobilienentwickler, Grundbesitzer und Regierungsstellen künftige Projekte planen – und wie sie ihre bestehenden Bauten besser schützen.
«In der Unterstützung externer Interessengruppen liegt für die Versicherer noch beträchtliches Potenzial», resümiert Swiss-Re-Experte Spiegel. «Solche Ansätze – ausserhalb des konventionellen Geschäftsmodells von Risikoübernahme und -transfer – können einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Katastrophenrisiken auch in Zukunft versicherbar sind.»
Lassen sich nicht auch die Kapitalanlagen der Versicherungsbranche – sie werden auf ungefähr 30 Billionen Dollar beziffert – «klimaverträglicher» einsetzen? Etwa indem sie verstärkt in Wirtschaftszweige mit geringeren CO2-Emissionen umgeschichtet werden? Spiegel gibt sich zurückhaltend: «Der Beitrag, den einzelne Firmen hierzu leisten können, ist begrenzt.» Wenn Versicherer hingegen entsprechende Übereinkünfte treffen, so könnte dies gemäss Spiegel von Wettbewerbshütern als problematisch eingestuft werden. Swiss Re hat für sich entschieden, aus Investitionen zur Stromproduktion aus Kohle auszusteigen. Ihr oberster Nachhaltigkeitsverantwortlicher erwartet indes keine weitergehenden «Investitionsboykotte», weil sie das Anlagespektrum des Konzerns über Gebühr einengen würden.
Keine Investitionsboykotte
Die Zurich schliesse keine Investments a priori aus, sagt Manuel Lewin, der oberste Verantwortliche für nachhaltige Investments. «Es kommt jedoch regelmässig vor, dass wir aus gewissen Investitionen aussteigen oder neue Engagements ablehnen, weil unsere Analysen ergeben haben, dass gewisse Nachhaltigkeitsrisiken bestehen.» So weiss Lewin von einem Anlageteam der Zurich, das aus einer Logistikfirma ausgestiegen sei, weil sie einen bedeutenden Teil ihres Umsatzes mit dem Transport von Kohle erziele und damit eine Energiequelle mit hohem CO2 verfügbar mache.
Daneben ist die Zurich nach Aussage von Lewin die weltweit zweitgrösste Investorin in «grüne Anleihen» (Green Bonds). Diese Schuldtitel, die seit 2007 überwiegend von staatlichen und internationalen (Entwicklungs-)Institutionen herausgegeben werden, dienen der Finanzierung von Projekten, mit denen die Gefahren des Klimawandels abgemildert werden sollen. Bisher hat der Konzern rund 1,5 Milliarden Dollar in solche Anlagen investiert, 2 Milliarden hat er sich zum Ziel gesetzt. Zum Vergleich: Die Zurich besitzt Kapitalanlagen von mehr als 200 Milliarden Dollar, das Gesamtvolumen an Green Bonds umfasst geschätzte 250 Milliarden Dollar, und letztes Jahr sind solche Anleihen im Umfang von 80 Milliarden neu auf den Kapitalmarkt gekommen.
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