Als alles vorbei war, fühlte Donald Trump sich bestätigt: «Richter Kavanaugh zeigte, warum ich ihn nominiert habe», enthusiasmierte sich der Präsident gestern Abend. Seinem Tweet vorhergegangen waren neun Stunden, in denen der von Trump zum obersten Bundesrichter nominierte Richter Brett Kavanaugh und eine seiner Beschuldigerinnen, die Professorin Christine Blasey Ford, vor dem Justizauschuss des Senats aussagten. Wütend und aufgebracht verneinte der Richter sämtliche gegen ihn erhobenen sexuellen Anschuldigungen – und tat damit, was Trump von ihm erwartet hatte.
Dem Präsidenten hatte nicht sonderlich gefallen, wie sanftmütig Kavanaugh am Montag in einem Interview aufgetreten war. Gestern war von Sanftheit keine Rede, beschuldigte Kavanaugh doch die Demokraten, seine und die Reputation seier Famile «permanent» zerstört zu haben. Und er witterte sogar eine Verschwörung gegen ihn, hinter der «die Clintons» steckten.
Zu «100 Prozent» sicher
Erklärte Christine Blasey Ford zuvor, sie sei sich «100 Prozent» sicher, dass vor über drei Jahrzehnten ein junger Brett Kavanaugh versucht habe, sie auf einer Party zu vergewaltigen, so war sich der Richter gestern nicht weniger sicher, dass er dies nicht getan und überhaupt niemals in seinem Leben eine Frau sexuell belästigt oder attackiert habe. Auch er war sich «100 Prozent» sicher.
Sie sei «eine Patriotin, und die Geschichte wird zeigen, dass Sie ein Beispiel für Mut sind», attestierte die demokratische Senatorin Kamala Harris (Kalifornien) Christine Ford. Die Psychologieprofessorin klang glaubwürdig, sie überzeugte – doch Brett Kavanaugh klang kaum weniger glaubwürdig, als er ihre schweren Vorwürfe zurückwies. Am Ende, befand der republikanische Senator Jeff Flake (Arizona), werde es «wahrscheinlich ebensoviel Wahrheit wie Zweifel geben».
Tiefer Graben
Entweder log einer der beiden gestern Einvernommenen. Oder es lag ein Missverständnis vor, eine Verwechslung. Oder beide, der Richter wie die Professorin, unterbreiteten dem Ausschuss und Millionen von Fernsehzuschauern die jeweils eigene Version der Wahrheit. Was ihren Auftritt so brisant machte, war nicht nur der Schatten von #MeToo. Es war zugleich der erschreckende Blick in den tiefen Graben, der die Vereinigten Staaten spaltet und zu einer Gefahr für das Wohlergehen der Nation geworden ist.
Längst wird in Washington von den verfeindeten Lagern keine gemeinsame Sprache mehr gesprochen. Paranoia und der unbedingte Wille zur Zerstörung des politischen Gegners sind gang und gäbe, permanent angefacht von einem Präsidenten, der diese Spaltung geschickt ausschlachtet und zu politischem Vorteil nützt.
Wie weit die Entfremdung gediehen ist, verkörperte gestern nicht so sehr Christine Ford, sondern Richter Kavanaugh. Auf ihn, sagte er, sei «ein politischer Anschlag» verübt worden in Form einer «grotesken Vernichtung» seines Charakters. Aber es war Kavanaugh, der wiederholt der Frage demokratischer Senatoren auswich, ob er eine Untersuchung der Vorwürfe gegen ihn durch das FBI unterstütze.
Trump lehnt Zeugenbefragung ab
Der Richter und die republikanischen Senatoren haben recht, wenn sie den Zirkus um eine höchstrichterliche Nominierung als «nationale Schande» brandmarken. Aber wenn ein Wort gegen das andere steht, braucht es die Einvernahme möglicher Zeugen – und in diesem Falle befand sich womöglich ein Augenzeuge im Zimmer, in dem Brett Kavanaugh Christine Ford angeblich sexuell attackierte. Kavanaughs Freund Mark Judge sei zugegen gewesen, behauptet die Professorin.
Warum also nicht diesen Zeugen vorladen? Und andere Zeugen und Beschuldiger ebenfalls? Präsident Trump, der das FBI mit einem Federstrich zu Ermittlungen hätte anweisen können, lehnte dies ab. Die republikanischen Senatoren wollten es ebenfalls nicht, wenngleich es sicherlich einen Versuch wert gewesen wäre.
Jetzt wird die Wahrheit auf der Strecke bleiben, nur ein Zufall könnte sie zum Vorschein bringen – und Brett Kavanaugh entweder entlasten oder überführen. Beiden, der Anschuldigerin wie dem Beschuldigten, ist gestern keine Gerechtigkeit widerfahren. Denn zu gespalten sind Washington und die Nation, als dass eine neunstündige Anhörung der Sache auf den Grund hätte kommen können. Nun werden sich die Fronten weiter verhärten, gleichgültig ob Brett Kavanaugh in das oberste Gericht einzieht oder nicht.
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Die Wahrheit wird auf der Strecke bleiben
In US-Senat wurde über Christine Ford und Brett Kavanaugh befunden. Fakten spielten dabei fast keine Rolle.