Die Wahrheit zum «Bloody Sunday» – nach 38 Jahren
Seit dem 30. Januar 1972 mussten die Angehörigen von 14 in Nordirland niedergeschossenen Demonstranten auf die Wahrheit warten. Nun ist sie da. Premier David Cameron hat unmittelbar Stellung genommen.
Am jenem «Blutigen Sonntag», am 30. Januar 1972, hatten britische Soldaten in Londonderry das Feuer auf nationalistische Demonstranten eröffnet, die gegen die Internierung mutmasslicher IRA-Mitglieder ohne Haftbefehl protestierten. Dabei wurden 13 katholische Demonstranten getötet. Ein weiterer erlag Monate später seinen Verletzungen.
Der blutige Vorfall führte damals zu einer weiteren Eskalation des Nordirland-Konflikts. Die tödlichen Schüsse und die damalige Feststellung Londons, dass sich die Soldaten gegen bewaffnete Mitglieder der Untergrundorganisation Irisch-Republikanische Armee (IRA) verteidigt hätten, brachten die Katholiken in Nordirland in Rage und trieben die IRA ihrerseits verstärkt zu Gewalttaten. 1972 wurde zum folgenschwersten Wendepunkt eines vier Jahrzehnte währenden Konflikts.
Militärs verloren die «Selbstkontrolle»
Cameron hat sich im Namen seiner Regierung für die tödlichen Schüsse britischer Soldaten auf Katholiken beim sogenannten Bloody Sunday 1972 in Nordirland entschuldigt. Er bedaure die Rolle der britischen Armee bei der Gewalt vor 38 Jahren zutiefst, sagte Cameron am Dienstag bei der Vorstellung der Ergebnisse einer zwölfjährigen Untersuchung der damaligen Ereignisse im Unterhaus in London.
Die Schüsse seien «ungerechtfertigt» gewesen, sagte Cameron. Einige Mitglieder des damaligen Fallschirmjägerbataillons hätten die «Selbstkontrolle verloren». Letzten Endes aber trage die Regierung die Verantwortung für das Verhalten ihrer Streitkräfte.
200 Millionen Pfund für die Untersuchung
Die 1998 vom damaligen britischen Premierminister Tony Blair angeordnete Untersuchung, die umfangreichste in der britischen Rechtsgeschichte, verschlang 200 Millionen Pfund. 921 Zeugen wurden gehört. Nach Einschätzung von Beobachtern wird der leitende Richter Lord Saville in dem Bericht zu dem Schluss kommen, dass Soldaten damals unbewaffnete katholische Zivilpersonen gesetzeswidrig töteten. Dies würde die Meinung von tausenden Augenzeugen, zwei britischen Regierungen und sogar einigen der vernommenen Soldaten bestätigen: dass das Erste Bataillon eines Fallschirmjägerregiments in den Strassen von Londonderry Amok lief.
Offen ist aber, ob der Abschlussbericht die Wunden der Vergangenheit heilen und damit den Friedensprozess unterstützen kann, oder ob er nur zu neuen juristischen Auseinandersetzungen führt. Richter Saville gewährte den Fallschirmjägern, die damals das Feuer eröffneten, Anonymität im Zeugenstand und weitgehende Immunität vor Strafverfolgung. Rechtsexperten zufolge besteht dennoch Spielraum für zivilrechtliche Klagen gegen frühere Soldaten, insbesondere dann, wenn Anwälte aufzeigen können, dass sie Saville belogen haben.
Erste Untersuchung dauerte nur zwei Monate
Doch die Überlebenden sagen auch, dass es ihnen vor allem um eine Rehabilitierung der Toten geht, nicht um Rache. Wichtig sei, dass die Wahrheit ans Licht gebracht werde, sagt John Kelly, dessen 17-jähriger Bruder Michael am Bloody Sunday erschossen wurde. «Wir wollen eine Unschuldserklärung für unsere Leute.» «Ich muss jeden einzelnen Tag daran denken», sagt Linda Roddy, die an jenem Tag ihren 19-jährigen Bruder Willie Nash verlor. Ihr Vater Alex wurde von Schüssen verletzt, als er seinem sterbenden Sohn beistand. «Ich will, dass diese Untersuchung öffentlich erklärt, dass mein Bruder und mein Vater keine Gangster oder Bombenleger waren.»
Eine erste Untersuchung war 1972 nach nur zwei Monaten abgeschlossen worden. Richter Lord Widgery rügte in seinem 39-seitigen Bericht Soldaten für Schüsse, «die an Unbesonnenheit grenzten». Doch Widgery akzeptierte die Aussagen der Soldaten, dass sie auf IRA-Angriffe reagiert hätten und erklärte, er vermute - ohne dass ihm belastbare Beweise vorlagen -, dass einige der Getöteten im Verlauf des Nachmittags Waffen abgefeuert oder mit Bomben hantiert hätten.
afp/ddp/sda
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