Die wandelbare Kanzlerin
Angela Merkel hat sich wieder einmal neu erfunden. Der Atomausstieg könnte ihr am Ende die Macht sichern, weil die Grünen als Partner wieder infrage kommen. Von David Nauer, Berlin
«Wir sind bereit, die Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke zu verlängern.» So steht es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Darunter ein Datum, eine Unterschrift: 26. Oktober 2009, Dr. Angela Merkel. In der Nacht auf gestern hat die Bundeskanzlerin mit ihren Partnern genau das Gegenteil beschlossen. Die deutschen AKW werden bis spätestens 2022 abgeschaltet, die meisten davon deutlich früher. Begründung für die spektakuläre Kehrtwende: Der GAU in Fukushima habe gezeigt, dass die Kernkraft selbst in hochtechnologisierten Ländern nicht beherrschbar sei. Das ist ein etwas strapaziertes Argument. Denn erstens waren die Risiken der Kerntechnologie schon vorher bekannt, und zweitens steht Deutschland mit seiner Lesart der Katastrophe ziemlich alleine da. Franzosen, Amerikaner oder Russen denken nicht im Traum an einen Ausstieg – im Gegenteil, sie planen gar neue Meiler. Die Beweggründe für Merkels Kehrtwende sind denn auch – mindestens zum Teil – machtpolitisch. Die Kanzlerin hatte sich mit der Laufzeitverlängerung in eine strategische Sackgasse manövriert. Einerseits brachte der unpopuläre Entscheid ihrer Koalition keine neuen Wähler, andererseits fielen die Grünen als mögliche Partner weg. Gegen Atomkraft zu sein, ist für die Ökopartei eine heilige Kuh – ein Bündnis mit AKW-Freunden undenkbar. Merkel sah sich plötzlich auf Gedeih und Verderb an die FDP gekettet. Eine ungemütliche Situation: Denn die Liberalen dümpeln seit Wochen unter der 5-Prozent-Hürde. Auch die Auswechslung der Parteispitze vor zwei Wochen hat bisher keine Besserung gebracht. Die CDU-Chefin braucht also neue Optionen. Politologe Gerd Langguth formuliert es so: Wenn sich die CDU nicht auch den Grünen öffne, bliebe ihr am Ende «nur noch sie selbst als Koalitionspartner».Solche rabiaten Kurswechsel haben bei Deutschlands mächtigster Frau System. Im Jahr 2003 etwa hat sie den Parteitag ein neoliberales Programm verabschieden lassen – scheiterte damit aber beim Wahlvolk. Für Merkel kein Problem: Sie rückte kräftig nach links und verströmte vier Jahre lang sozialdemokratisch anmutende Nestwärme. Der Schwenk zurück kam 2009, als sie ein «Wunschbündnis» mit der FDP schmiedete. Kein «Hirngespinst» mehr Von seinen «bürgerlichen» Reformvorhaben hat Schwarz-Gelb jedoch bisher kaum eines vollendet. Der Umbau der Bundeswehr ist angeschoben, die Vereinfachung des Steuersystems verschoben. Nur in der Energiepolitik hat das Kabinett Nägel mit Köpfen gemacht – und im Herbst 2010 die Laufzeitverlängerung für sämtliche deutschen Meiler beschlossen. Die Kanzlerin, ganz Naturwissenschaftlerin, konnte die (vornehmlich westdeutsche) Angst vor Strahlenunfällen ohnehin nie nachvollziehen. Nun ist alles wieder anders. Ausgerechnet das einzige abgeschlossene politische Grossprojekt von Schwarz-Gelb ist Makulatur. Merkel hat sich ein weiteres Mal gewandelt. Aus der Atomkanzlerin ist die Ausstiegskanzlerin geworden. Offiziell hat das mit Machtpolitik natürlich nichts zu tun. Schwarz-grüne Gedankenspiele gelten in der CDU weiterhin als tabu. Merkel selbst hat am Parteitag im Herbst ein Bündnis mit der Ökopartei als «Hirngespinst» bezeichnet – und erst kürzlich bestätigt, dass sie das immer noch so sieht. «An meiner Einstellung ändert sich nichts.» Auch die Erfahrungen auf Länderebene sind nicht erbauend: In Hamburg ist eine schwarz-grüne Koalition gescheitert; in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, auch in Bremen regiert die Ökopartei lieber mit der SPD. Insider in Berlin sagen aber, «jenseits der Kamera und bei abgeschaltetem Mikrofon» redeten manche Christdemokraten anders. Schwarz-Grün werde da nicht ausgeschlossen – falls es die Ergebnisse der Bundestagswahl 2013 hergeben sollten. Das wäre auch inhaltlich nicht abwegig: Ein grosser Teil der grünen Wähler sind bürgerliche Städter – eine Klientel, die der CDU wohl näher steht als der SPD. Und die Grünen? Einer ihrer erfolgreichsten Vertreter, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, gilt als grosser Fan eines Bündnisses mit der CDU. Er ist nur wegen der Laufzeitverlängerung davon abgerückt. Dieses Hindernis hat die Kanzlerin inzwischen aus dem Weg geräumt. Der Atomausstieg könnte ihr am Ende weitere Jahre an der Macht sichern. Machtpolitikerin: Angela Merkel hat die Grünen im Visier. Foto: Wolfgang Rattay (Reuters)
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