Mit bodenständigen Produkten verbessert man die Welt, nicht mit grössenwahnsinnigen Ideen. So war es am Mittwoch an dieser Stelle zu lesen – in einer Abrechnung mit den Weltveränderern aus dem kalifornischen Silicon Valley. Als Beleg für diese Behauptung diente die Tech-Messe CES, die letzte Woche zu Ende gegangen ist und viele enttäuschte Besucher zurückgelassen hat: Menschen, denen viel versprochen, aber wenig gegeben worden ist.
Die CES war dieses Jahr tatsächlich kein rauschendes Fest des menschlichen Erfindungsgeistes, sondern vielmehr eine Schau von Schrott und Skurrilitäten. Das liegt aber ganz sicher nicht an einem zu viel der Ideen, sondern im Gegenteil an einem akuten Vakuum an Innovation. Die Hersteller haben kapiert, dass sich das Internet der Dinge nicht aufhalten lässt. Die Vernetzung schreitet voran und erreicht den letzten Winkel unseres Alltags. Das verspricht ungeheure Geschäftschancen, weil jeder noch so banale Gegenstand durch seinen smarten, also per App steuerbaren Nachfolger ersetzt werden muss: Aufs normale Bett folgt das smarte Bett. Genauso abgelöst werden sollen die unsmarte Haarbürste und das dumme Katzenklo.
Nur glauben die meisten Hersteller, es sei damit getan, hier ein WLAN-Modul anzupappen und dort eine Smartphone-App dazuzugeben. Das macht das Leben zwar marginal komfortabler, aber vor allem komplizierter – und es weckt keine Begeisterung. Wenn aus dem Internet der Dinge etwas Vernünftiges werden soll, dann braucht es jetzt echte Visionäre. Jemanden, der weiss, wie man die Technik in den Dienst des Menschen stellt, und eine klare Vorstellung von der Zukunft, vom Leben in zehn oder zwanzig Jahren hat.
Guter oder schlechter Fortschritt
Jemanden wie Steve Jobs beispielsweise, der vor genau zehn Jahren das iPhone aus dem Hut gezaubert hat. Zuvor waren die Smartphones klobige, unhandliche Dinger, die man mit Stift oder über eine Miniaturtastatur bedienen musste. Es ist nicht so, dass uns ohne Apple die Allgegenwart des mobilen Kommunikationsterminals erspart geblieben wäre. Wir würden uns heute nur mit weniger ansprechenden und bedeutend unpraktischeren Geräten herumschlagen müssen.
Ein echter Visionär lebt nicht im luftleeren Raum und hängt völlig fantastischen Gedanken nach. Vielmehr fühlt er bis in die Knochen, wie die Menschheit gerade tickt, wofür sie sich begeistern lässt und wie viel Veränderung man ihr zumuten kann, ohne dass sie sich querstellt. Und er weiss natürlich auch, was technisch möglich ist. So wie Jobs beim iPhone längst erfundene Versatzstücke geschickt zusammengefügt hat. Natürlich, uns nüchternen Europäern gehen die breitspurigen Silicon-Valley-Figuren mit ihren aufdringlichen Superlativen und ihrer befremdlichen Jovialität auf die Nerven. Und besonders stört uns ihre völlige Ungerührtheit, wenn sie rotzfrech althergebrachten Branchen die Lebensgrundlage rauben: dem Buchhandel, der Musikindustrie, der Hotellerie, dem Taxigewerbe, den Medien – und das dann stolz «Disruption» nennen.
Die Disruption ist unvermeidlich
Aber diese Industrien wären auch ohne Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Larry Page und Sergey Brin, Brian Chesky, Travis Kalanick und Sean Parker in Bedrängnis. Und auch wenn Elon Musk vom Erdball verschwindet, wird sich das Ende der fossil angetriebenen Fahrzeuge nicht aufhalten lassen. Weil sich niemand einer Idee widersetzen kann, deren Zeit gekommen ist.
Darum ist es schade, dass wir uns hierzulande so sehr um Bodenständigkeit bemühen, dass hierzulande keine disruptiven Ideen gedacht werden. Vielleicht könnten wir Europäer uns wenigstens überlegen, wie man die Auswirkungen abfedert und den ganzen Fortschritt sozialverträglich macht – indem wir Google Datenschutzregelungen aufzwingen, Apple Steuernachzahlungen abverlangen und Facebook beibringen, wie man gegen Hasskommentare und Fake-News vorgeht.
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Die Zukunft braucht kühne Ideen
Warum die Welt nicht nur bodenständige Erfinder braucht, sondern auch Fantasten, die sie aus den Angeln heben wollen.