«Diese ‹Alles oder nichts›-Rhetorik halte ich für gefährlich»
Europarechtlerin Astrid Epiney sieht Raum für einen Kompromiss zwischen der Schweiz und der EU.
Der Bundesrat will die Verhandlungen über das institutionelle Abkommen mit der EU im Rahmen des bestehenden Mandats fortsetzen. Was halten Sie davon?
Ich begrüsse diesen Schritt. Nach der inner-schweizerischen Kontroverse um die flankierenden Massnahmen hätte es auch sein können, dass der Bundesrat die Verhandlungen sistiert. Ich halte es nach wie vor für zentral, dass die Schweiz und die EU nun rasch zu einem Abschluss kommen.
Warum?
Spätestens seit 2008 insistiert die EU auf ein Rahmenabkommen. Die EU hat die institutionelle Seite der bilateralen Verträge mit der Schweiz stets als eine Art Übergangslösung angesehen. Doch ein EU-Beitritt ist politisch hierzulande bislang nicht mehrheitsfähig gewesen. Das hat Folgen. Wir sind nun an einem Punkt angelangt, an dem die EU das bisherige Verhältnis zur Schweiz nicht mehr wie bis anhin fortführen will. Das aber bedeutet: Ohne ein Rahmenabkommen ist ein erfolgreicher bilateraler Weg gefährdet. Das hiesse: Es gäbe keine neuen Verträge mehr, und die derzeitigen Abkommen könnten sich nicht im notwendigen Mass weiterentwickeln, was ihre Zielsetzung gefährden würde.
Warum soll die Schweiz aufs Tempo drücken?
Ein Punkt geht in der Diskussion oft unter. Die Schweiz hat ein dringendes Interesse an einem Rahmenabkommen, da es Rechtssicherheit schafft und verstärkt auf rechtliche Verfahren und Grundsätze setzt. Damit werden die Möglichkeiten politischen Drucks deutlich verringert, was für den kleineren Partner von grosser Bedeutung ist. Ich erinnere an das Abkommen über die technischen Handelshemmnisse. Hier hat die EU eine für die Schweiz notwendige Anpassung recht lange hinausgezögert; mit einem Rahmenabkommen wären solche Anpassungen auf rechtlich geordnetem Weg vorgesehen. Die EU hat viele Möglichkeiten, Massnahmen zu ergreifen, die der Schweiz sehr schaden könnten, so zum Beispiel bei der periodisch neu anstehenden Entscheidung der Beteiligung der Schweiz an den europäischen Rahmenprogrammen zur Forschung.
Die SVP sieht das anders. Stichwort: fremde Richter.
Von welcher politischen Seite auch immer: Diese «Alles oder nichts»-Rhetorik halte ich für gefährlich, sie manövriert die Schweiz in eine Sackgasse. Die dem EuGH offenbar zugedachte Rolle für die Auslegung der Abkommen taxiere ich im Übrigen als sehr gut vertretbar, geht es doch um die Auslegung von EU-Recht, das in die Abkommen übernommen wird; dies auf der Grundlage von Abkommen, die den Zugang der Schweiz zum Binnenmarkt bezwecken.
Der Bundesrat will weiter keine Zugeständnisse machen bei den flankierenden Massnahmen. Gleichzeitig drängt die EU auf Konzessionen. Wie soll da ein Abkommen zustande kommen, das in der Schweiz mehrheitsfähig ist?
Es hängt davon ab, was man unter «keine Konzessionen machen» versteht. Man kann es so auslegen, dass das, was heute im Gesetz steht, wie etwa die 8-Tage-Regel, eine Art Ewigkeitsgarantie haben soll. So aber habe ich das nie verstanden. Vielmehr soll der Arbeitnehmerschutz in der Schweiz, wie er heute besteht, gewährleistet bleiben. Ich habe das Mandat immer in diesem Sinn ausgelegt.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund verlangt aber, dass die flankierenden Massnahmen dem Rahmenabkommen nicht unterstellt werden dürfen. Dessen Delegierte haben diese Position heute mit einer Resolution bestätigt.
Es ist eine Illusion zu glauben, dass die EU einen solchen Ausschluss als solchen akzeptieren wird. Sinnvoller wäre es, die Lage nun rational zu analysieren. Eine Möglichkeit für einen Kompromiss sehe ich in der sogenannt auslegenden Erklärung, die das Völkerrecht kennt. Die Vertragspartner geben hier ihr Verständnis eines Vertragspunktes zu Protokoll, ohne dass dies Bestandteil des konkreten Vertrags ist. Die Vertragsparteien könnten dann zum Beispiel formulieren, dass sie davon ausgehen, die Interessen der Arbeitnehmenden und insbesondere der Lohnschutz könnten jedenfalls durch verhältnismässige Massnahmen gewährleistet werden.
Entscheidend bleibt aber, wie die Realität aussieht.
Richtig. Man muss jedoch eine solche Lösung zuerst einmal prüfen, bevor man sie schon wieder verwirft. Auch ist denkbar, dass die Vertragsparteien andere kreative Lösungen finden. Wichtig erscheint mir eine gewisse Gelassenheit und Rationalität in der Diskussion.
Der Bundesrat setzt im Verhandlungspoker mit der EU die Ostmilliarde ein. Ein geschickter Schachzug?
Ich denke, ja. In Brüssel wird man dieses Signal wohl als Good-Will-Aktion deuten.
Es gibt weitere offene Punkte. In Zukunft sollen EU-Grenzgänger Arbeitslosengeld von dem Land erhalten, in dem sie arbeiteten, statt wie bisher von ihrem Wohnsitzland. Der Schweiz drohen Mehrkosten im dreistelligen Millionenbereich.
Die EU strebt bei der Unterstützung von arbeitslosen Grenzgängern einen Paradigmenwechsel an, der für alle EU-Staaten gilt. Das ist keine Besonderheit der Bilateralen. Ich denke nicht, dass dieser Punkt die Verhandlungen zum Scheitern bringen wird. Dasselbe denke ich bei den staatlichen Beihilfen, auch wenn das Thema komplex ist und durchaus Fragen aufwirft; letztlich geht es hier um eine sehr technische Angelegenheit.
Wird am Ende die EU die Verhandlungen platzen lassen?
Das hoffe ich nicht. Beide Seiten haben ein sehr grosses Interesse an einem Abschluss, sodass ein Aufeinander-Zugehen in den noch streitigen Punkten wohl durchaus realistisch ist.
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