Neues AsylsystemDiese EU-Reform ist ganz im Sinn der Schweiz
Brüssel will mehr auf Abschreckung statt auf die Umverteilung von Flüchtlingen setzen. Die Schweiz ist von den neuen Plänen direkt betroffen.

Die EU versucht mit einer Asylreform den grossen Wurf, und die Schweiz als Mitglied von Schengen und Teil des Dubliner Asylabkommens ist direkt betroffen. Wo genau, ist auf den ersten Blick bei zehn separaten Vorschlägen und Hunderten Seiten Gesetzestexten gar nicht so einfach zu beantworten. Klar ist, dass die Stossrichtung dem entspricht, wofür auch der Bundesrat eintritt, nämlich einer besseren Kontrolle an den Schengen-Aussengrenzen, mit einem raschen Vorentscheid dort, wer Chancen auf Asyl hat und wer nicht.
Man könnte auch sagen, dass Abschreckung nach dem Streit um die Solidarität jetzt Vorrang hat vor der Umverteilung von Asylbewerbern. So sollen die Behörden in Frontstaaten wie Griechenland, Italien oder Malta künftig in Grenznähe innert fünf Tagen eine erste Vorüberprüfung vornehmen, die deutlich umfangreicher als bisher wäre. So müssten dort Asylsuchende registriert, die Fingerabdrücke genommen und Gesundheits- sowie Sicherheitschecks vorgenommen werden. Die europäische Asylagentur Easo, an der sich die Schweiz mit Personal und finanziell beteiligt, soll hier noch stärker als bisher nationale Behörden unterstützen.
Schnellverfahren in Grenznähe
Für Asylbewerber aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote unter 20 Prozent soll es ein Schnellverfahren in Grenznähe geben. Diese Schnellverfahren sollen nicht länger als zwölf Wochen dauern. Für die anderen Asylbewerber im normalen Verfahren will die EU-Kommission zwar grundsätzlich an den bisherigen Dublin-Regeln festhalten, wonach das Erstankunftsland im Prinzip für einen Antrag zuständig ist. Für Asylbewerber soll es allerdings einfacher werden, eine Überstellung in einen anderen Staat zu erreichen, wenn sie dort etwa familiäre Beziehungen nachweisen können. Hier könnten auf die Schweiz mehr Anträge auf Familienzusammenführung zukommen.
Der letzte Anlauf für eine Asylreform war nach der Flüchtlingskrise von 2015 an einem obligatorischen Verteilschlüssel gescheitert, mit dem Erstankunftsländer wie Italien oder Griechenland hätten entlastet werden sollen. Nun schlägt die EU-Kommission einen adaptierten «Mechanismus für verpflichtende Solidarität» vor. Anders als beim letzten Anlauf sollen kritische Länder wie Ungarn oder Polen nicht gezwungen werden, Asylsuchende zu übernehmen. Sie sollen sich aber auch nicht einfach von der Solidarität freikaufen können. Neu ist die Rede von sogenannten Abschiebe-Patenschaften. Wenn ein Land keine Flüchtlinge übernehmen will, muss es einem anderen EU-Staat in Krisensituationen helfen, abgewiesene Asylbewerber abzuschieben. Also konkret mit dem Herkunftsland verhandeln, Papiere und Flüge organisieren. Gelingt dies nicht innert acht Monaten, müsste das Land die abgewiesenen Asylbewerber selber übernehmen.
«Ich möchte, dass wir schnelle Entscheidungen und schnelle Rückführungen haben.»
Für die Schweiz dürfte diese neue Form der Lastenteilung nicht verpflichtend sein. Der Bundesrat hat sich allerdings im Zug der Flüchtlingskrise von 2015 freiwillig an einem Ad-hoc-Verteilschlüssel beteiligt. Damals kamen 1,8 Millionen Asylsuchende nach Europa, ein Grossteil mit guten Chancen auf einen Flüchtlingsstatus. Im letzten Jahr gab es noch gut 670’000 Asylanträge und es wurden neu 140’000 irreguläre Migranten registriert, davon nur eine Minderheit mit Anspruch auf Schutz. Die Anerkennungsrate liegt derzeit bei 38 Prozent, wobei nur ein kleiner Teil der abgewiesenen Asylbewerber tatsächlich abgeschoben werden kann. Es gebe keine perfekte, sondern nur eine möglichst ausgewogene Lösung, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson: «Ich möchte, dass wir schnelle Entscheidungen und schnelle Rückführungen haben.» Brüssel will künftig die Visum-Politik stärker als Hebel nutzen, um auf Herkunftsländer Druck auszuüben. Vorgesehen ist auch ein EU-Koordinator für Rückführungen, der die Mitgliedstaaten unterstützen soll.
Schweizer Forderungen berücksichtigt
Die Schweiz begrüsse die Stossrichtung der Reformpläne, heisst es beim Staatssekretariat für Migration in Bern. Es sei erfreulich, dass dabei einige langjährige Forderungen der Schweiz Eingang gefunden hätten. Erwähnt werden das schnelle Screening an den Schengen-Aussengrenzen, ein wirksamer Aussengrenzenschutz sowie eine «effiziente und konsequente Rückkehrpolitik».
Darüber hinaus will man in Bern nun genau prüfen, welche Aspekte für die Schweiz rechtlich verbindlich sind: Die Schweiz habe ein grosses Interesse an einem gerechten und krisenfesten Asylsystem in Europa. Man werde sich entsprechend aktiv in die Diskussionen auf EU-Ebene einbringen. Ähnlich der Tenor einer Motion, die am Mittwoch vom Ständerat verabschiedet wurde.
In der EU bestehen die alten Gräben in der Asylfrage zwischen Ost- und Südeuropäern allerdings unverändert. Die Chancen der Reformpläne sind sehr ungewiss.
Stephan Israel ist in Zürich aufgewachsen, hat in Genf Science Politique studiert und ist in Bern in den Journalismus eingestiegen. Er war während der Jugoslawienkriege Korrespondent in Südosteuropa. Seit 2002 schreibt er aus Brüssel über die schwierige bilaterale Beziehung und die Krisen der EU.
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