ZoomDiese Plage ist ein Segen
Schwärme von Heuschrecken? In Uganda sehnt man sie herbei. Wie die Delikatesse gefangen wird, zeigt Michele Sibiloni in geisterhaften Nachtbildern.

Meistens kommen sie im Morgengrauen. Zu Hunderten, zu Tausenden, zu Zehntausenden. Sie setzen sich auf Bäume, Strommasten, Wellblechdächer, Jacken, Gesichter. Ihre Panzer schimmern grünlich im Kunstlicht.

«Nsenene» nennt man in Uganda die Heuschrecken, die zweimal im Jahr nach der Regenzeit in Schwärmen auftreten. Doch sie sind keine Plage, sondern ein Segen: Nsenene gelten als Delikatesse. Kinder schütteln sie von Bananenbäumen und freuen sich über die Gelegenheit, nachts aufbleiben zu dürfen.

Die Insekten werden aber auch gewerbsmässig gefangen. Hochdrucklampen locken sie an; die Tiere fliegen in der Folge gegen aufgestellte Wellblechwände und rutschen von dort direkt in die Säcke der Fänger. Händler verkaufen die lebendige Ware wenige Stunden später auf dem Markt. So wurden in einer guten Nacht schon Tausende Dollar verdient.


Der italienische Fotograf Michele Sibiloni hat dieses Schauspiel in atmosphärischen Nachtbildern festgehalten. Sein Buch «Nsenene» zeigt das hektische Treiben von Mensch und Insekt vor einem geisterhaften Hintergrund aus Licht, Dunkel und Rauch. Die Fänger tragen Brillen und Masken, um sich vor den gefährlichen Lichtstrahlen zu schützen. Aber auch in anderer Hinsicht sind die Nsenene ein heikles Geschäft. Seit einigen Jahren nimmt die Zahl der Grashüpfer ab, sie kommen zu anderen Zeiten als bisher – oder bleiben ganz aus.

Fachleute versuchen noch immer, die Migrationsrouten der Schwärme zu verstehen. Sicher ist, dass die Abholzung, die Trockenlegung von Sümpfen und der Klimawandel einen Einfluss auf das Vorkommen der Insekten haben. Heute stellen die Fänger ihre Fallen zuweilen vergeblich auf. Michele Sibilonis Bilder machen deutlich: Mit den Nsenene droht in Uganda nicht nur eine Tierart zu verschwinden. Sondern auch eine Tradition.



Michele Sibiloni: Nsenene. Edition Patrick Frey, Zürich 2021. 144 Seiten, ca. 62 Fr.
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