Comeback der Kultband Krokodil«Diese Platte, so füdliblutt, das war mir zu wenig»
Gründer Düde Dürst und Neumitglied Adi Weyermann erzählen, wie es dazu kam, dass die legendäre Psychedelic-Rockband nach 50 Jahren erstmals wieder neue Songs veröffentlicht.

Es hätte mit einer überbordenden Plattentaufe in der Alten Kaserne begonnen. Dann wäre man auf Tour gegangen, die Säle vollgepackt, versteht sich. Und all das garniert mit einer grossen, süssen Portion Medienrummel.
Logo, es ist ja auch nicht irgendein Album, das da rauskommt, es ist die Veröffentlichung von «An Invisible World Returns», der ersten neuen Krokodil-Platte seit 47 (!) Jahren – für hartgesottene Fans der Zürcher Kultband, welche während ihrer Blütezeit mit den Krautrock-Heroen Can und Amon Düül durch die Lande zog und gar mit den legendären Pink Floyd die Bühne teilte, ist das nichts Geringeres als ein «verdammtes Jahrhundertereignis».
Ebenso logo, dass wegen Corona alles anders kam. Weshalb die «Pressekonferenz» jetzt in Düde Dürsts kleinem Homestudio im Niederdorf stattfindet.

Dürst, vormals Drummer der Beat-Combo Les Sauterelles, hatte 1969 mit seinen Freunden Hardy Hepp (Geige, Sax, Gesang) und Walty Anselmo (Gitarre, Sitar, Gesang) den Entschluss gefasst, neue Grenzen auszuloten, also ein rockendes Reptil zu erschaffen, das dem Kommerz fies in den Hintern beisst. Man holte Mojo Weideli (Mundharmonika, Flöte) und Terry Stevens (Bass) dazu, und nach dem zwiespältigen Auftakt – die Debütsingle hiess «Camel Is Top», es war der Auftragsjob für einen Tabakmulti – gelang es, europaweit jene Musikfans zu begeistern, die sich dem progressiven Underground zuschrieben; bald berichteten die Meinungsmacher von einer «helvetischen Supergroup».
Leary’sch und lyrisch
Auch der zweite Mann am Tisch ist ein Grosser. Er heisst Adi Weyermann und wird als sensibler, smarter Wildfang verehrt; zuletzt war der Sänger und Gitarrist mit Bruder Luke als The Weyers unterwegs. Dass er es aber auch ungestüm kann, weiss man seit den Karrierebeginntagen bei seiner Grungepunk-Band Crank.
Dennoch stellt sich die Frage: Nebulös verpeilte, berauschte und berauschende Arrangements, die irgendwo beginnen und irgendwann enden und dazwischen durch Leary’sche und lyrische Stimmungen geistern – also der grossartige Sound, für den Krokodil stehen –, ist das wirklich sein Kosmos? Kommt hinzu, dass er im Vergleich mit den Gründern ein immenses Manko an Experimenten mit psychoaktiven Substanzen aufweist. Und mit diesem interessanten Aspekt steigen wir ein.
Herr Weyermann, wie haben Sie das Drogenproblem gelöst?
Adi Weyermann: Welches Drogenproblem?
All die fehlenden Erfahrungen nachzuholen, die es braucht, um den Krokodil-Sound spüren und spielen zu können?
Weyermann (lacht): Ich setze diesbezüglich seit je auf die Wirkungskraft der körpereigenen Chemikalien, die ich wann immer nötig ziemlich rasch mobilisieren kann.
War es denn nötig?
Weyermann: Wenn man diese Musik zugedröhnt hört, meint man, die seien alle auch zugedröhnt gewesen, die wollen einem mehr sagen, als man hört.
Düde Dürst: Das kann ich bestätigen. Und verraten, dass wir damals gerade im Studio viele Sachen mit mehr oder weniger klarem Kopf gemacht haben, sonst wäre das gar nicht gegangen. Live war es natürlich anders, auf LSD ist jeder von uns mal vollends entrückt. Mir passierte es bei einem Sitar-Conga-Part, ich konnte einfach nicht mehr aufhören, auf der Trommel rumzuhauen, der arme Walty ist vorne an der Sitar fast verreckt. Doch das Publikum fand das super, die waren ja alle auch stoned.
Wenn Sie schon beim Lüften von Geheimnissen sind: Wie kam es, dass das Unvorstellbare – ein neues Krokodil-Album – Realität wurde?
Dürst: Als wir 2016 am Record Store Day im Zürcher Plattenladen Katalog Records einen einmaligen Krokodil-Gig spielten, sagte Terry zu mir: Wieder mal eine Platte zu machen, das wäre schon toll! Auch Walty schien nicht abgeneigt. Unabhängig davon wurde ich seitens der Fans und von Läden immer öfters angefragt, ob es möglich wäre, «An Invisible World Revealed» wieder mal rauszubringen. Die Platte gilt ja als unser Meisterwerk und geniesst Kultcharakter, auch wegen des Einsatzes des Mellotrons – das war 1971 voll Avantgarde. Egal, ob in Japan, den USA oder Europa: Sie war und ist bis heute am populärsten. Auf der Sammlerplattform Discogs wird das Original für unverschämt viel Geld angeboten.
«Egos haben beim Krokodil nie Platz gehabt; wir haben stets als Einheit funktioniert.»
Sie hätten einfach dieses Album nochmals rausbringen können.
Dürst: Diese Platte, so füdliblutt, ohne was Zusätzliches, das war mir zu wenig. Also brauchte es eine Idee … und plötzlich war sie da: Was, wenn wir dieses Album nochmals interpretieren, im Hier und Jetzt? Von Walty wusste ich, dass er ein paar neue Nummern geschrieben hatte, die würden wir hinzunehmen. Ich redete mit ihm und Terry; beide waren dabei, und wir entschieden, dass die musikalische Verwandtschaft auch im Titel der neuen Platte erkennbar sein muss. Damit war Problem eins gelöst.
Was war Problem zwei?
Dürst: Die Frage, wie wir das auf der Bühne würden umsetzen können. Für mich war nämlich klar: Wenn wir das machen, dann richtig, also auch mit Live-Auftritten. Aber Mojo ist 2006 verstorben, und Hardy war bereits vor diesem Album ausgestiegen, das war nicht mehr sein Sound. Ich habe ihn trotzdem angefragt, ob er bei diesem Neuanfang mitmachen würde, aber er winkte ab. Wir brauchten also neue Energie, neue Kreativität, neue Wucht, das war jedem klar.
Neue Wucht kann ein altes Gerüst auch erschüttern.
Dürst: Das war der Punkt. Grosse Egos haben beim Krokodil nie Platz gehabt, wir haben stets als Einheit funktioniert. Die Neuen mussten also nicht nur versierte Künstler, sondern auch gute Typen sein. Dass es an mir liegen würde, sie zu finden, verstand sich von selbst. Ich hatte bei dieser Band vom Musiker über den Manager, den PR-Mann bis hin zum Psychiater ja schon immer alles gemacht (lacht).
Weyermann: Wenn ich das sagen darf: Dieses «Düde macht alles»-Ding ist mit ein Grund, dass man letztlich zusagt, wenn er fragt. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir zusammenarbeiten, meist war Düde der Älteste in der Band – was aber niemand gemerkt hat, weil er meist auch der mit der meisten Energie war.
Dürst: Dass Adi dabei sein muss, war für mich klar. Ich bin Fan, seit ich ihn vor über 20 Jahren an einem Solo-Gig im Moods gesehen habe. Er zauberte da auf dem Flügel «Imagine», irrsinnig gut. Und später merkte ich, dass er eine ähnliche Art zu spielen hat wie ich: Man nutzt den Moment!
Weyermann: … und weiss, dass es das nächste Mal ganz anders klingen kann – oder wird.
Apropos spielen: Hatten Sie nie Zweifel, ob Sie für diesen Job der Richtige sind? Das ist ja nicht wirklich Ihr Sound.
Weyermann: Als ich das erste Mal in den Proberaum kam, hiess es «Hoi!», zehn Minuten später waren wir am Spielen. Ab da war klar, dass der Mood passt. Zudem bin ich als Mittvierziger ja auch langsam ein alter Chauffeur, weshalb ich weiss: Wenn ich die Form einhalte, kommt alles andere von selbst; dieses Vertrauen in mich ist da. Etwas muss ich aber klarstellen.

Bitte.
Weyermann: Die Behauptung, das sei nicht mein Sound, ist falsch. Das zweite Crank-Album ist voller Prog-Rock-Momente. Und den Hang zur Psychedelik und zum Ausufernden hatte ich sogar bereits als Kind – eines meiner Lieblingslieder war nämlich «Yellow Submarine» (lacht).
Von Ringo zum Krokodil ist es dann aber schon noch eine gewisse Wegstrecke.
Weyermann: Stimmt. Lustigerweise kam ich jedoch auch schon sehr früh in Kontakt mit dieser Band. Es war an der Kanti Wetzikon, da war ich Teil einer Schülerorganisation. Wir hatten ein Archiv voller alter Mappen, und in einer fand ich einen Bericht mit dem Titel «Erstes Rockkonzert an der Kantonsschule Wetzikon», er war von 1969 oder 1970.
Dürst: Tatsächlich hatten wir zweimal eine Schulhaustournee durch die Schweiz gemacht. Ein Gig war auch in der Klosterschule Einsiedeln, da war der inzwischen berühmte Schriftsteller Thomas Hürlimann einer der Schüler, die zugehört haben.
Weyermann: Ich weiss noch, dass ich den Bericht geklaut habe, weil da all diese coolen Namen drinstanden: Hardy Hepp, Düde Dürst … Das klang doch fast wie Brigitte Bardot (beide müssen laut lachen). Die Musik hörte ich aber erst viel später, als ich im El Lokal eine Montagsreihe bestreiten durfte. Vor den Auftritten liess Schankwirt Viktor jeweils seine CDs laufen – und fast jedes Mal, wenn ich sagte: «Geiler Song, was ist das?», lautete seine Antwort: «Krokodil.»
Von diesen alten zu den neuen Songs: Wurden diese klassisch im Studio eingespielt? Oder mit moderner Technik am Computer montiert?
Dürst: Vier Stücke haben wir im alten Stil im Studio gemacht, zu viert. Und es war schon speziell, meist wars nach wenigen Takes im Kasten. Aber natürlich haben wir auch die moderne Technik genutzt, Patchwork-Arbeit gemacht. Dadurch haben wir für die Aufnahmen nur etwa zwei Wochen gebraucht … wogegen die Vorbereitung fast zwei Jahre in Anspruch nahm.
Weyermann: Diese Studiosession war für mich das Highlight der ganzen Reise. Den Kitt zu spüren, der diese drei Musiker nach so langer Zeit noch immer verbindet, zu sehen, wie sie sich treiben und ziehen, das war richtig faszinierend.
Mojo Weideli, der bei «An Invisible World Revealed» auch dabei war – es wurde erwähnt–, ist 2006 verstorben. Wie hat man seine unverkennbare Mundharmonika ersetzt?
Dürst: Ich machte mir darüber nächtelang Gedanken, bis ich irgendwann einsah: Mojo und seine Schnurregiige kann niemand ersetzen. Die Einsicht wirkte wie ein Befreiung. Sofort kam die Idee, das Mellotron könnte diese Klangfarbe übernehmen. Also kontaktierte ich Erich Strebel. Ich wusste, dass auch er keinen übersteigerten Hang zum Solieren hat, sondern das Mellotron und das Piano so spielt, wie es unserer Sache dient.
Es ist offensichtlich: Der Sound ist grösser als die Band.
Dürst: Im Booklet zur neuen Platte steht: «Dieser Sound ist unser Sound, diese Zeit unsere Zeit, das ist unser Zuhause, das können wir.» Das bringt es gut auf den Punkt. Klar, ich finde auch Rap cool, aber das wäre in die Hose gegangen.
Aber als Künstler will man doch die Welt verändern, mindestens den Zeitgeist prägen!
Dürst: Wir wollten zusammen eine gute Zeit haben, das haben wir geschafft. Ob die Platte dem Zeitgeist oder der Welt etwas geben kann, so à la Esoterik oder Yoga? Ich denke eher nicht.
Weyermann: Der Prozess, der Weg, den man geht, die kleinen magischen Momente, die man dabei teilt, das ist das Grossartige. Und man darf nicht vergessen: Krokodil-Musik ist nach wie vor Nischenmusik … wenn auch weltbekannte Nischenmusik.
Krokodil: «An Invisible World Revealed» & «An Invisible World Returns» (Krokodil Records 2020)
Thomas Wyss' mediale Laufbahn hat 1989 während des Studiums als nächtlicher «Tagi»-Zeitungsverkäufer begonnen. 2004 gehörte er zum Gründungsteam der «Bellevue»-Seite, seither berichtet er in allen Farben und Formen übers Zürcher Stadtleben.
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