Digitalisierung? Interessiert uns nicht
60 Prozent der Schweizer Firmen glauben, dass digitale Technologien kaum Folgen für ihr Geschäft haben werden. Haben sie recht, oder verschlafen sie die Zukunft?

Es gibt nur wenige Themen, die derzeit ähnlich breit in den Medien behandelt werden wie die Digitalisierung. Wer den Begriff in der Schweizer Mediendatenbank eingibt, dem spuckt das System über 15 000 Artikel aus – die allein in den vergangenen zwölf Monaten erschienen sind. Daher sollte man meinen, dass auch Schweizer Unternehmer das Thema auf ihrer Agenda haben.
Eine Umfrage der Grossbank UBS kommt aber zu einem ganz anderen Befund. Demnach glauben 59 Prozent von 2500 befragten Unternehmen, dass die Digitalisierung nur «geringfügige Veränderungen» oder «keine Veränderungen» für ihre Firma mit sich bringen wird. Im Klartext: Der grossen Mehrheit der Schweizer Unternehmen ist die Digitalisierung egal.
«Das Ergebnis hat uns auch überrascht», räumt Martin Blessing ein, Chef von UBS Schweiz. «Dreht sich um die Digitalisierung nur ein Hype, oder verschlafen Unternehmen diesen Trend? Wir wissen es nicht wirklich, ich vermute, es ist ein bisschen von beiden», sagt der UBS-Manager.
Öffentlicher Sektor liegt vorn
Interessant ist auch, welche Branchen sich am stärksten betroffen sehen. Auf Rang eins der UBS-Studie rangiert mit rund 60 Prozent «starker Betroffenheit» der oft als unflexibel geltende öffentliche Sektor. Auf Rang zwei folgt die Finanzbranche. Das verarbeitende Gewerbe, also Handwerk und Industrie, kommen erst auf Rang 5. Eine Mehrheit von ihnen glaubt, dass die Digitalisierung ihre Geschäftstätigkeit oder das Geschäftsmodell nur geringfügig oder gar nicht treffen dürfte.
Vertreter der Wirtschaftsverbände wollen dagegen nichts davon wissen, dass Schweizer Unternehmen die Digitalisierung ignorieren. «Unsere Erhebungen ergeben ein anderes Bild, in der MEM-Industrie wird die Digitalisierung sehr wohl ernst genommen, und es tut sich auch eine Menge», sagt Ivo Zimmermann, Sprecher von Swissmem, dem Verband der schweizerischen Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM). «Die Veränderungsgeschwindigkeit ist natürlich von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich», fügt er an und verweist auf eine von Swissmem durchgeführte Studie aus dem Jahr 2015. Demnach gaben über 40 Prozent der befragten Unternehmen der MEM-Branche an, mindestens ein Projekt zur «Industrie 4.0» – also der Vernetzung der Fertigung – bereits umgesetzt zu haben. Bei kleinen und mittelgrossen Unternehmen (KMU) liegt der Anteil aber tiefer.
Economiesuisse meint zur UBS-Studie lapidar: Wenn Unternehmen die Digitalisierung nicht als Hype oder Gefahr sähen, so läge das wohl daran, «dass sie selbst längst Teil dieses digitalen Wandels geworden sind».
Die Grösse und Branche scheinen indes Einflussfaktoren dafür zu sein, wie stark sich ein Unternehmen von der Digitalisierung betroffen sieht. Je kleiner eine Firma, desto geringer werden offenbar die Auswirkungen eingeschätzt.

Laut dem Bundesamt für Statistik zählte die Schweiz bei der letzten Erhebung rund 580'000 Unternehmen. Knapp 90 Prozent davon sind Mikrounternehmen mit ein bis neun Mitarbeitenden. «Kleinunternehmen wie ein Coiffeursalon fühlen sich natürlich wenig bis gar nicht von der Digitalisierung betroffen», sagt Daniel Kalt, Chefökonom der UBS Schweiz. Auch eine Unternehmensumfrage des Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich vom Juni ergab, dass 59 Prozent der befragten Unternehmen «keine Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wettbewerbsfähigkeit» sehen würden.
Die Ergebnisse solcher Studien ändern sich indes, wenn die Mikrounternehmen aus der Erhebung ausgeschlossen werden. Im Februar zum Beispiel präsentierte die Unternehmensberatung EY eine Studie zur Digitalisierung der mittelständischen Unternehmen der Schweiz. Sie umfasste 700 Unternehmen mit 30 bis 2000 Mitarbeitern. «Spielen digitale Technologien für das Geschäftsmodell Ihres Unternehmens derzeit eine Rolle?» Auf diese Frage antworteten 60 Prozent mit Ja. Ein Jahr zuvor waren es nur 45 Prozent gewesen. Aber auch bei der EY-Studie gaben immerhin noch 40 Prozent der Unternehmen an, dass die Digitalisierung «gar nicht» oder «kaum» ihr Geschäftsmodell tangiere.
Folgen bisher kaum spürbar
Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die Digitalisierung aus gesamtwirtschaftlicher Sicht bisher nicht jene Veränderungen gebracht hat, die von ihr erwartet werden. So sollte dank digitaler Technologien eigentlich die Produktivität – also der Ausstoss pro Arbeitseinheit – steigen. Die Gewinne der Unternehmen, aber auch die Löhne, sollten ebenfalls entsprechend zulegen, die Zahl der Jobs aber tendenziell sinken. «In den vergangenen zehn Jahren ist in der Schweiz eher das Gegenteil passiert», sagt UBS-Ökonom Kalt. Er verweist darauf, dass die Frankenstärke den Effekt der Digitalisierung wohl überlagert haben dürfte.
Doch auch in anderen Industriestaaten, selbst in den USA, hinterlässt die Digitalisierung in der Gesamtwirtschaft bisher überraschend wenig Spuren. Berühmt geworden ist die Aussage des mit dem Nobelpreis geehrten amerikanischen Ökonomen Robert Solow. Er meinte, die Digitalisierung sei überall zu sehen, ausser in den Produktivitätsstatistiken.
Vielleicht ist die UBS-Studie ein Hinweis darauf, dass eine grosse Zahl der Schweizer Unternehmern dies genauso sieht. Was aber nicht heisst, dass sich diese Einschätzung nicht noch ändern könnte.
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