
Die Demokratie schweizerischer Ausprägung fasziniert von innen betrachtet immer wieder von neuem und sorgt wohl gerade deshalb von aussen her betrachtet immer wieder für Erstaunen. Erstaunliches und Faszinierendes bringen dabei nicht nur Sachabstimmungen, etwa, wenn von den Abstimmenden zu erwarten ist, dass sie das Wesen der Kuh mit oder ohne Hörner erfassen, bevor sie ihr Ja oder eben ihr Nein auf den Stimmzettel setzen. Verblüffende Resultate bringen manchmal auch Wahlen.
Nicht, dass in Andermatt am Sonntag ein Aussenseiter die Wahl geschafft hätte – an solcherlei Überraschungen hat man sich nicht nur im Kanton Uri längst gewöhnt. Gewählt wurde im Ursentaler Dorf oben die bisherige Gemeindepräsidentin Yvonne Baumann. Und das, obwohl sie doch gerade erst ihren Rücktritt erklärt hatte und nicht mehr kandidieren wollte. 244 Stimmberechtigte pfiffen die Bisherige entgegen deren Willen aber in ihr Amt zurück, wohl aus Trotz, wie Kenner der ortspolitischen Verhältnisse vermuten. Baumann übertraf jedenfalls das absolute Mehr locker, während dem offiziellen Kandidaten mit 116 Stimmen gut hundert Stimmen fehlten, um dieses zu erreichen.
Gegen den eigenen Willen und überraschend wiedergewählt – das muss man zuerst einmal persönlich einordnen können. Vor allem, weil Rücktritt und Kandidaturverzicht nach Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten im Gemeinderat erfolgten. Ob sie weitermacht, gestärkt durch den Volkswillen, ist ungewiss. Denn jene, die sie aus dem Gemeinderat weghaben wollten, müssten nun in all jenen Punkten nachgeben, die für Streit sorgten. Ob sie das tun?
Die «Urner Zeitung» meinte gestern, sollte Baumann ihren Rücktritt aufheben, leide dadurch ihre Glaubwürdigkeit. «Das Volk dürfte dies jedoch goutieren, wie das Resultat zeigt.»
Bis Ende Woche soll der persönliche Entscheid fallen, nach Gesprächen mit den anderen im Gemeinderat.
Die Hausfrau und Mutter, die eine KV-Lehre absolviert hatte, wurde als Zugezogene 2016 an die Spitze der Gemeinde gewählt. Das Präsidium sei sehr gut bezahlt, ist zu erfahren. Dreimal mehr wendeten die Andermatter jährlich auf als die Altdorfer für ihr Gemeindepräsidium. Doch darum ging es im Vorfeld der Wahl Baumanns nicht. Die Gemeinde, die im Banne des Tourismusprojekts Swiss Alps des ägyptischen Multimilliardärs und Investors Samih Sawiris steht, will politisch dynamischer agieren als früher. Ob Baumann, die keine Fremdsprachen spricht, in ihrer Art die richtige dafür sei, wurde im Gemeinderat bezweifelt. In Abwesenheit grenzten sie die anderen schliesslich aus. Im 1300-Seelen-Dorf gingen die Wogen hoch, als dies bekannt wurde und Baumann aufgab. «Besorgte Bürger» verfassten daraufhin ein Flugblatt für Baumann. CVP und SVP verschickten gemeinsam Listen in alle Haushaltungen, auf denen der einzige offizielle Kandidat nicht als Gemeindepräsident antrat, sondern «nur» als Sozialvorsteher.
Die Überraschung für Aussenstehende, dass jemand gegen dessen Willen einfach gewählt wird, hat also Gründe. Ob Yvonne Baumann die Wahl annehmen wird?
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Dorfkönigin wider Willen
Yvonne Baumann, die Andermatter Gemeindepräsidentin, trat nicht mehr zur Wahl an – und wurde trotzdem gewählt.