«Dort, wo alles begann»
Mit der Präsentation im Freilichtmuseum Ballenberg ist die Wanderausstellung «Geraubte Kindheit – Verdingkinder reden» dort angelangt, wo der Leidensweg vieler Betroffener anfing: auf einem Bauernhof.
Die Initianten der Wanderausstellung «Geraubte Kindheit Verdingkinder reden» erhoffen sich einiges vom neuen Ausstellungsort Freilichmuseum Ballenberg. Für viele Verdingkinder habe ihr Leidensweg auf einem Bauernhof begonnen, sagte der Präsident des Vereins Geraubte Kindheit, Basil Rogger, am Samstag bei der Eröffnung.
Der Ballenberg sei für die Ausstellung ein besonderer Ort. Zentrales Anliegen des Museums ist gemäss Leitbild die Beschäftigung mit dem ländlich-bäuerlichen Leben, sagte Stiftungsratspräsident Yves Christen an der Eröffnung der Saison 2014 auf dem Ballenberg. Dazu gehören nach den Worten des ehemaligen Nationalratspräsidenten auch die Schattenseiten.
Gezeigt wird die eindrückliche Schau im Bauernhaus aus Ostermundigen BE. Sie soll nach dem Willen der Verantwortlichen zwei weitere Jahre, also bis Ende 2016, auf dem Ballenberg bleiben. Nicht alle Verdingkinder seien schlecht behandelt worden; es gehe also nicht um eine pauschale Verurteilung.
Doch die rund 300 Zeugnisse von ehemaligen Verdingkindern, die in der Schau hör- und sichtbar werden, berühren stark in ihrer Authentizität. Zu schaffen machte den Kindern und Jugendlichen weniger die harte Arbeit als die fehlende Liebe und Anerkennung. Vom Familienleben waren sie in der Regel völlig ausgeschlossen. Auch in der Schule und im Dorf wurden sie gedemütigt und ausgegrenzt.
Bis Ende der 60-er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden Hunderttausende Kinder meist aus wirtschaftlicher Not heraus in Heimen und auf Höfen fremdplatziert. Bereits haben über 100'000 Menschen die Ausstellung gesehen. Die Initianten sind überzeugt, dank dem Standort Ballenberg nun eine grössere Breitenwirkung für das von viel Leid geprägte Thema zu erreichen.
Not wird greifbar
Das ehemalige Bauernhaus von Ostermundigen bildet den atmosphärisch dichten Rahmen für die Ausstellung, die dem lange verdrängten Thema die gebührende Beachtung verschaffen wird. Man begegnet dort etwa dem Berner Dichter C.A. Loosli (1877-1959), der früh und wortgewaltig auf die selbst erlebte Not in der Jugendanstalt hingewiesen hat.
Zahlreiche Aussagen von heute zumeist betagten ehemaligen Heim- und Verdingkindern lassen das Trauma einer solchen Kindheit erahnen. Eine Frau berichtet, wie die Behörden bei ihren Besuchen gezielt in die Irre geführt wurden. Sie habe auch später nie Vertrauen in öffentliche Verwaltungen aufbauen können.
Ein Mann aus sehr kinderreicher Familie berichtet, wie Kinder im Emmental auf dem Markt zwecks Platzierung angeboten wurden. Am begehrtesten waren dabei die kräftigeren Burschen, von denen man sich am meisten Nutzen versprach.
Letztes Jahr hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga sich im Namen der Landesregierung bei den Betroffenen entschuldigt und einen Runden Tisch eingesetzt. Dieses Gremium wird im Sommer Vorschläge zur Aufarbeitung des geschehenen Unrechts vorlegen. Eine Ende März lancierte Initiative strebt unter anderem eine materielle Wiedergutmachung an.
Handwerk heute
Bis Ende Oktober zeigt das Freilichtmuseum neben dieser Sonderausstellung wie gewohnt eine vielseitige Palette an ländlicher Kultur. Wichtigste Sammelobjekte sind und bleiben die über 100 Bauten. Einen Schwerpunkt bildet dieses Jahr die Bedeutung des Handwerks in der modernen Schweiz. Dabei geht es unter anderem um nur noch wenig verbreitete Berufe wie Hufschmied, Holzbildhauerin oder Musikinstrumentenbauer.
Hautnah verfolgen lässt sich zudem der Wiederaufbau eines Pferdestalls aus Luchsingen GL. Dieser im Kanton Glarus «Rossgaden genannte Bau war im 19. Jahrhundert häufig Bestandteil einer Fabrikantenvilla zur Unterbringung von Pferden und Kutschen.
Zur Sprache kam am Eröffnungstag auch die schwierige finanzielle Lage des Museums. Leiterin Kathrin Rieder betonte vor den Medien, es gehe mehr um Inhalte als um Geld. Doch man habe in den nächsten zehn Jahren einen Investitionsbedarf von 44 Millionen Franken zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Substanz. Ein Vorstoss im Ständerat zielt auf eine Berücksichtigung dieses Begehrens in der Kulturbotschaft 2016-19 des Bundes ab.
SDA/gbl
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