Dr Drake bin ig
In der Aareschlaufe hängt die ganze Welt: Das zweite Album von Jeans for Jesus ist ein Meisterwerk des Mundartpop.

Rihanna, Taylor Swift und Frank Ocean haben neue Labelkollegen. Sie steigen gerade von der Dachstockbühne in der Berner Reitschule, wo sie für die Tournee proben und wohin in diesem Moment zwei Plastiksäcke mit asiatischem Essen gebracht werden. Es ist Pause, also Zeit, von der neuen Platte zu erzählen, die am Freitag von Universal veröffentlicht wird. Sie heisst «PRO», und sie ist sehr gut. Aber warum geben Jeans for Jesus ihre Musik beim Weltkonzern heraus und nicht beim Sound Service, dem Heimathafen vieler Berner Bands von Züri West bis Stiller Has? Ist das ihre weltgewandte Art, sich von der lokalen Tradition zu emanzipieren?
«Dieses Bern ist schon ein Riesending», seufzt Sänger Michael Egger. Tatsächlich sei der Sound Service das erste Label gewesen, das sich für die Band interessiert habe, damals im Sommer 2013, als Jeans for Jesus gerade zwei Singles auf dem Markt hatten. «Das Problem ist halt, dass das Label seine Musik damals nicht auf Spotify und Apple hatte. Das war für uns keine Option, bei den Streamingdiensten nicht vertreten zu sein.» Erst kürzlich hat Kuno Lauener von Züri West im Redaktion Tamedia bezweifelt, dass «die Musik an Wert gewinnt, wenn alles überall halb gratis zur Verfügung steht». Jeans for Jesus dagegen sind Techniknerds genug, um sich der digitalen Realität auszusetzen zum Preis der Berner Heimeligkeit: «Oh, Muetter», singen sie, «spöi mi a di Wäutchuglä.»
Aber damit in der Hauptstadt keine Missverständnisse aufkommen: Jeans for Jesus haben keinen Abgrenzungsbedarf gegenüber den genannten Mundartbands. Im Gegenteil. «Ich glaube», sagt Programmierer Marcel Kägi, «dass wir heute etwas Ähnliches machen wie Züri West in den 80ern und 90ern: Wir kombinieren berndeutsche Texte mit den internationalen Sounds und Produktionsstandards unserer Zeit.» Auch so gesehen ist es richtig, dass die Band bei Universal unterschrieben hat. «Aus der Indieszene ist in den vergangenen zwei Jahren wenig gekommen, was uns alle bedingungslos interessiert hat», sagt Egger.
«Isch es schön gsi?»
Umso mehr wandten sich Jeans for Jesus, während sie das zweite Album vorbereiteten, dem Mainstreampop zu. «Viel vom coolen Zeug passiert wieder im Mainstream von Hip-Hop und R & B», sagt Kägi. «Produktionen von Rihanna oder Drake sind musikalisch und rhythmisch interessant und machen doch Spass. Daran wollten wir uns ein bisschen orientieren.» Die Einschränkung ist wichtig: «PRO» wäre ein kommerzielles Album in einer anderen, besseren Welt; in einer Welt, in deren sogenannter Radiolandschaft auch eine Single wie «Wosch no chli blibä?» laufen würde, ein Stück philosophischen Kopfnickerpops. Michael Egger singt eine Liste von Fragen im Falsett, gerade wie ein nicht gar so protestantischer Max Frisch: «Wenn hesch z letscht Mau mit öpperem gschlafe? Isch es schön gsi?»
«PRO» ist locker das beste und bedeutendste Album im Berner Mundartpop seit Mitte der 90er-Jahre, als Züri West mit «Züri West» und Stiller Has mit «Moudi» in die Hitparaden vorstiessen. Besonders beeindruckend ist, wie leicht und schulterzuckend Jeans for Jesus mit ihrem Berndeutsch in eine globale Musikkultur aufbrechen, wie wenig sie sich noch abarbeiten müssen an dem, was Peter von Matt die «Schweizer Existenzformel» von «Auszug und Heimkehr» genannt hat: Über die Idee, dass ein patentes Leben nicht in der Marzilischweiz, sondern nur in einer Weltstadt zu führen ist, haben sie sich schon 2014 auf ihrem Debüt (in «L.A.») lustig gemacht.
«Wir würden keine andere Musik machen, wenn wir in New York oder London wären», sagt Marcel Kägi. Tatsächlich fallen die 18 Stücke von «PRO» nicht wesentlich hinter die letzten Alben von Frank Ocean oder The XX zurück in der Art, wie sie den Indiesong mit dem elektronischen, immer wieder auch schroffen Klangbild des aktuellen R&B neu denken: Da gibts nicht einfach Strophen, Refrains und Bridges – von Soli gar nicht erst zu sprechen. Die meisten Songs haben mehrere Hooks, und die gehen über einer Musik nieder, die weggewischt, gepitcht und überblendet wird.
Dasselbe gilt für den Gesang: Die Stimmen von Michael Egger und Demian Jakob sitzen rhythmisch straff in den Songs. Gleichzeitig geht über den Zeilen ein Schwarm aus losen, mutierten Echos nieder, aus ausgeschnittenen Chören und ekstatischen Kürzeln wie «Oh», «Yeah» oder «Baby». Das ist so hinreissend, dass sich die Band den Luxus leisten kann, dieser Ästhetik auch mal die Verständlichkeit zu opfern. Egger hat da kein Ego-Problem: «Du musst nicht Pop machen, wenn du nur deine Message transportieren willst.» Trotz Berndeutsch muss man das Textblatt beiziehen, um zu hören: «Verschuudet si bi aune / So us Unabhängigkeit / Verbunde si mit aune / So us Unverbindlichkeit.»
Andere Bands würden es sich kaum nehmen lassen, die Gesellschaftsdiagnose als gut klingendes Take-away zu präsentieren. Hier aber, in der Coda von «Stakes», geht sie selbst ein in einen verrauschten, unlesbaren Datenaustausch. Überhaupt wollen diese Texte nicht erklären. Lieber legen ihre Protagonisten den Laptop auf den Bauch, starten ihn und gehen mit dem Flow der Welt. Der trägt die Liebe heran und die Politik der neuen starken Männer. Er bringt die Fischstäbchen, den Newsletter des Gyms und die Onlineprofile, denen die Menschen schon erstaunlich gut gleichen. Und die Heimat? Die ist hier ein lokal gereiftes Salatblatt im Big Tasty. Oder ein leeres Asia-Food-Geschirr in der Reitschule. Nichts liegt dieser Musik ferner als die Berg- und Boden-Hymnik aktueller Schweizer Mundartstars wie Trauffer oder Schluneggers Heimweh.
Doch so handelt «PRO» auf eine seltsame Weise auch vom Ort, wo Jeans for Jesus für die Konzerte proben. «Ist das nicht komisch», fragt Michael Egger, «dass der Protest für Freiraum in Bern oft nur die Form eines Retrozitats annimmt?» Das habe ihn an jene avantgardistischen Provinzler erinnert, die er 2015 auf einer Reise in die USA angetroffen habe: «Wenn sie etwas essen wollten, stiegen sie in ein Uber, scrollten auf dem Smartphone durch die Speisekarten der Restaurants und schauten, welches Gericht wie bewertet wurde. Aber gleichzeitig hatte jeder irgendeine lustlose Retroband.» Es waren Figuren wie aus «Stakes»: «Mier hei aus hie scho gseh / Si hei üs glii aues gäh / Itz simmer hie / So gschiid wie vorhär.»
Aber es ist nicht so, dass es das hier nicht gibt; das Gefühl, von der Fülle der Existenz gelangweilt zu sein. Vielleicht gibt es darum diesen Song «Europe»: Jeans for Jesus ermuntern in französischer Sprache und mit housig aufplatzenden Tanzbeats den lethargischen Westen nochmals zur Party. Fast klingt der Song, als wolle er den Frust des jungen, weissen Mannes exorzieren, der auch Europa erfasst und mit politischer Sprengkraft ausgestattet hat. «PRO» kennt sich aus im Leben to go, das man, wie es einmal heisst, jederzeit wegschmeissen kann, um ein neues zu bestellen.
Ernst und funky
So hat das Album, das «pro» sein wollte, seine dunkle Note. Doch mehr als auf ihrem Debüt klingen Jeans for Jesus diesmal, als seien sie auch im Frieden mit dieser surrealen Welt. Sei es, dass sie die schönsten Lovesongs singen seit Bernergedenken. Oder sei es, dass sie feierlich Abschied nehmen von der Rock-'n'-Roll-Romantik und deren Credo: «It's Better to Burn Out than to Fade Away» heisst eines der neuen Lieder, nach jener Songzeile von Neil Young, die Kurt Cobain in seiner Abschiedsbotschaft zitiert hat. Die Berner spielen ihre Antwort ernst und doch funky; als stilvoll ambitionsloser Schlachtruf für eine Welt, in der die Intensität abgebrannt, ausverkauft und politisch auf die falsche Seite abgewandert ist: «Lah nis la verblassä!»
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