Drama auf dem Eis
Tonya Harding geriet als Eiskunstläuferin in Verruf. In «I, Tonya» zeigt Margot Robbie ungeahnt kämpferische Seiten der amerikanischen Sportlerin und hat dafür eine Oscarnomination erhalten.

Der zentrale Satz fällt nach knapp zwei Stunden. «Weisst du, in Amerika wollen sie jemanden, den sie lieben, und jemanden, den sie hassen können.» Es ist Tonya Harding (Margot Robbie), die damit auf ihr eigenes Image anspielt: Die Eiskunstläuferin erregte 1994 weltweites Aufsehen, als ein Attentäter ihrer Konkurrentin Nancy Kerrigan mit einer Eisenstange das Knie zertrümmerte. Harding wurde daraufhin lebenslänglich gesperrt und bekam den Übernamen Eishexe. In den USA war dieses Zweipersonendrama ein Vorläufer des heutigen Nonstop-Reality-TV.
Gute Sportlerin, böse Sportlerin? Bei Harding scheint der Fall klar. Obwohl das Attentat von ihrem Ex-Mann Jeff Gillooly (Sebastian Stan) ausgeheckt und von dessen behämmertem Freund Shawn (Paul Walter Hauser) organisiert wurde, geriet doch in erster Linie die Eiskunstläuferin unter Beschuss. Hatte sie davon gewusst? Möglich. Aber wie macht man daraus einen Filmfür ein breites Publikum? Dazu empfiehlt sich ein Blick auf Sportfilme, die in jüngster Zeit einen regelrechten Boom erlebten, vom Formel-1-Duell «Rush» (2013) über die Skisprungkomödie «Eddie the Eagle» (2016) bis zum Tennisdrama «Borg vs. McEnroe» (2017). Doch nicht alle Werke hatten Erfolg. Mit dem verbissenen Schachgenie Bobby Fischer in «Pawn Sacrifice» (2014) mochte niemand mitfiebern, ebenso wenig mit dem dopenden Radfahrer Lance Armstrong in «The Program» (2015). Unsympathische Figuren sind Kassengift. Wie ist es dann aber «I, Tonya» gelungen, in den USA satte 25 Millionen Dollar einzuspielen?
«Weisst du, in Amerika wollen sie jemanden, den sie lieben, und jemanden, den sie hassen können»: Offizieller Trailer zu «I, Tonya». Video: AI Film
Drehbuchautor Steven Rogers und Regisseur Craig Gillespie interessieren sich nicht dafür, von einer Buhfrau zu erzählen. Stattdessen lassen sie zahlreiche Figuren ihr eigenes Tun rückblickend kommentieren, wobei der im ruppigen Dokusoap-Stil gehaltene Film angeblich auf «ironiefreien, irrsinnig widersprüchlichen und total wahren Interviews mit den Beteiligten» basiert. Das klingt verwirrend, wirkt aber auf der Leinwand ausgesprochen frisch. Und es verschafft der Titelheldin ungeahnte Sympathien.
Die oscarnominierte Margot Robbie («The Wolf of Wall Street») spielt Harding als ebenso unflätiges wie verletzliches Eislauftalent, das von einer Rabenmutter (ebenfalls oscarnominiert: Allison Janney) gepusht und vom Ehemann (Sebastian Stan) verprügelt wird. Kommt dazu, dass Harding bei den Eislauf-Punktrichtern verhasst ist. Aber sie steht als erste Amerikanerin einen dreifachen Axel, und sie steckt zu Hause nicht nur ein, sondern teilt auch kräftig aus. Da gerät man als Zuschauer plötzlich in den Zwiespalt, wie man diese Figur bewerten soll. Ist sie tatsächlich die berechnende Eishexe, für die sie alle halten? Ist sie nicht vielmehr eine Kämpferin, die gegen ihr «White Trash»-Umfeld rebelliert?
Es ist diese Ambivalenz, die «I, Tonya» aus der Masse von stromlinienförmigen Biografien heraushebt. Wobei diese Ambivalenz so weit geht, dass man im Film weder Bildern noch Worten vertrauen darf. Einmal scheucht Harding ihren Prügelgatten durch die Wohnung, schiesst mit dem Gewehr auf ihn und wendet sich dann lächelnd ans Publikum: «So etwas hätte ich nie getan!» Gute Sportlerin, böse Sportlerin? «I, Tonya» bleibt spannend, weil der Film gerade diese Frage auf hinreissende Weise nicht klärt.
In diversen Kinos.
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