«Drinnen oder draussen»
Der britische Premier David Cameron hat seine Grundsatzrede zur EU gehalten – und liess eine Bombe platzen. Er will das britische Volk über einen EU-Austritt abstimmen lassen. Die EU-Partner sind «not amused».
Als ausgesprochene Europafreunde waren die Briten noch nie bekannt, jetzt können sie selbst Zeugnis ablegen über ihre Haltung zur Europäischen Union. Premierminister David Cameron lässt sein Volk über den Verbleib in der EU abstimmen: Wählen ihn die Briten wieder, erwartet sie in der nächsten Legislaturperiode von 2015 an ein «Rein-Raus-Referendum» – aber erst, nachdem die konservativen Tories das politische Verhältnis zu ihren EU-Partnern neu verhandelt haben. Das kündigte Cameron in seiner mit Spannung erwarteten europapolitischen Grundsatzrede an.
«Wenn diese neue Übereinkunft erreicht ist, geben wir dem britischen Volk ein Referendum mit der ganz einfachen Wahl: rein oder raus», sagte der Premier. Entweder könne Grossbritannien dann «zu diesen neuen Bedingungen in der EU bleiben – oder ganz austreten». Bislang hatte Cameron nicht die EU-Mitgliedschaft als solche infrage gestellt, sondern bloss das «wie». Ein «Rein-oder-Raus-Referendum» würde «nicht die richtige Frage stellen» und «nicht die richtige Antwort bringen», hatte Cameron noch Anfang Januar erklärt.
Nun gab er offensichtlich dem Druck des europaskeptischen Flügels seiner eigenen Partei und wachsenden Unmut der Bevölkerung über die «Brüsseler Bürokraten» nach. Plötzlich ist der Premier nur noch gegen eine sofortige Abstimmung, «bevor wir eine Chance hatten, das Verhältnis einzurenken» – und bevor die Eurozone sich einigermassen aus der Währungs- und Schuldenkrise befreit hat.
«Wir können nicht alles harmonisieren»
Die Ernüchterung über die EU habe ein «Allzeithoch» erreicht, begründete Cameron seinen Schritt, die Zustimmung zum europäischen Verbund sei inzwischen nur noch «hauchdünn». Ginge es nach ihm, sollte die «neue» Europäische Union deshalb auf fünf Säulen ruhen: Wettbewerbsfähigkeit, Flexibilität, Rückgabe politischer Kompetenzen von Brüssel an die Hauptstädte, demokratische Kontrolle und Fairness. Sofern diese Prinzipien in einer neuen Übereinkunft respektiert würden, könnten die Briten noch «in der ersten Hälfte» der nächsten Legislaturperiode abstimmen, also bis Ende 2017.
«Länder sind verschieden», sagte Cameron, der ein einheitliches EU-Regelwerk für alle Mitgliedstaaten ablehnt. «Sie treffen unterschiedliche Entscheidungen. Wir können nicht alles harmonisieren.» Was Cameron eigentlich will: Die EU-Verträge ändern und nationale Kompetenzen zurückerobern. Doch eine «Politik der Rosinenpickerei», wonach sich ein Land nur auf die ihm genehmen Teile der EU-Verträge einlässt, will man in Brüssel nicht dulden.
EU-Partner «not amused»
Für seinen mutmasslich innenpolitisch motivierten Schachzug erntet Cameron europaweites Kopfschütteln. Von Paris über Berlin bis nach Brüssel hallten am Mittwoch die Warnungen zurück nach London, «Rosinenpickerei» sei mit den Partnern auf dem Kontinent nicht zu machen.
Den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, brachten Camerons Worte gehörig auf die Palme. Der Brite wage «ein gefährliches Spiel aus taktischen, innenpolitischen Gründen», schimpfte der Deutsche. Wer sich aus den EU-Verträgen ein individuelles Menü zusammenstelle, schaffe damit einen riskanten Präzedenzfall, der zum Zerfall der Union führen könne. Mit politischen Zugeständnissen dürfe Cameron jedenfalls nicht rechnen: «Das war eine nach innen gerichtete Rede, die Europas Realität verkennt und nicht viele von Grossbritanniens Partnern beeindrucken dürfte.» EU-Kommissionschef José Manuel Barroso strafte Cameron gar mit demonstrativer Nichtbeachtung.
Camerons Kehrtwende könnte Abkehr von Europa einleiten
Auch die Bundesregierung beurteilt Camerons Pläne skeptisch. Europa sei mehr als eine blosse Bündelung nationaler Interessen, nämlich eine «Schicksalsgemeinschaft», diktierte Aussenminister Guido Westerwelle (FDP). «Rosinenpickerei ist keine Option.» Der französische Aussenminister Laurent Fabius griff zu einem sportlichen Vergleich: «Wenn man einem Fussballverein beitritt, kann man nicht sagen, dass man Rugby spielen möchte», sagte er dem Radiosender France-Info. Auch Spitzenpolitiker aus Schweden, Finnland und anderen EU-Ländern reagierten pikiert auf die Wortmeldung aus London. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich bereit, «über britische Wünsche zu sprechen.» Letztlich müsse aber darauf geachtet werden, «dass andere Länder auch andere Wünsche haben».
Bislang hatte Cameron nicht die EU-Mitgliedschaft als solche infrage gestellt, sondern bloss das «wie». Ein «Rein-oder-Raus-Referendum» würde «nicht die richtige Frage stellen» und «nicht die richtige Antwort bringen», hatte er noch Anfang Januar erklärt. Nun gab der Premier dem Druck des europaskeptischen Flügels seiner eigenen Partei und öffentlichen Unmut über «Brüssels Bürokraten» nach. Plötzlich ist Cameron nur noch gegen eine Sofortabstimmung, «bevor wir eine Chance hatten, das Verhältnis einzurenken» – und sich die Eurozone aus der Währungs- und Schuldenkrise halbwegs befreit hat.
Die Ernüchterung über die EU habe ein «Allzeithoch» erreicht, begründete Cameron seine Kehrtwende, die Zustimmung zum europäischen Verbund sei inzwischen nur noch «hauchdünn». Ginge es nach ihm, sollte die «neue» Europäische Union deshalb auf fünf Säulen ruhen: Wettbewerbsfähigkeit, Flexibilität, Rückgabe politischer Kompetenzen von Brüssel an die Hauptstädte, demokratische Kontrolle und Fairness. Sofern diese Prinzipien in einer neuen Übereinkunft respektiert würden, könnten die Briten noch «in der ersten Hälfte» der nächsten Legislaturperiode abstimmen, also zwischen 2015 und Ende 2017.
«Wir können nicht alles harmonisieren»
«Länder sind verschieden», sagte Cameron, der ein einheitliches EU-Regelwerk für alle Mitgliedstaaten ablehnt, die EU-Verträge ändern und nationale Kompetenzen zurückerobern will. «Sie treffen unterschiedliche Entscheidungen. Wir können nicht alles harmonisieren.»
Die Abgeordneten der CDU und CSU im EU-Parlament hielten mit einer gemeinsamen Stellungnahme dagegen: «Cameron fordert de facto einen Binnenmarkt à la carte, sagt aber gleichzeitig, Europa müsse wettbewerbsfähiger werden. Das geht nicht zusammen.» Und auch Ex-Bundesaussenminister Joschka Fischer schlug am Mittwoch warnende Töne an: «Für die EU wäre ein Austritt Grossbritanniens ein herber Rückschlag, für die Briten ein veritables Desaster», schrieb der Grünen-Politiker in der «Süddeutschen Zeitung».
Was für verheerende Konsequenzen ein «Nein» der Briten haben könnte, ist auch Cameron bewusst, wie eine Passage seiner Rede verriet. Darin heisst es: «Es gibt keinen Zweifel daran, dass wir in Washington, Peking und Neu-Delhi machtvoller auftreten können, weil wir ein gewichtiges Mitglied der EU sind.»
AFP/dapd/chk/mw/bru
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