
Seit diesem Sommer hat Paris einen Letten, das Bassin de la Villette im Norden der Stadt. Jahrelanges Filtern und Schrubben waren nötig, bis die erste Pariser Flussbadi eröffnen konnte.
Hören Schweizerinnen und Schweizer solche Meldungen, lächeln sie mitleidig. Bei uns ist das doch normal, denken sie, die Aare in Bern, der Rhein in Basel, die Limmat in Zürich, in unseren Stadtflüssen kann man schwimmen, wir sind keine Grüsel, «mir hebed Sorg».
Die Vorstellung umfassender Reinlichkeit ist tief eingewachsen ins nationale Selbstbewusstsein. In der Schweiz wirft man nichts auf den Boden, hier filtert man die Abwässer. Dafür kann man das Wasser aus dem Hahn trinken und die Beeren im Wald pflücken. Der Anspruch auf Sauberkeit reicht vom Badezimmer bis zum Bodensee, er umfasst den gesamten Alltag.
Kaum eine Nation fliegt so viel.
Das zahlt sich aus. Touristen zeigen sich beeindruckt vom klaren Wasser, von der frischen Luft, den blank gewischten Trottoirs. Gleichzeitig berichten Schweizer gerne davon, wie dreckig sie es fänden in der Fremde. Komisch, wie lieblos die mit dem eigenen Land umgingen, sagen sie.
Das hindert sie nicht daran, selber ein grosszügiges Leben zu geniessen. Dazu gehören grosse Autos, grosse Häuser, grosse Reisen. Jahr für Jahr besetzen die Schweizer mehr Quadratmeter und legen mehr Kilometer zurück – bevorzugt in der Luft. Kaum eine Nation fliegt so viel.
Es bräuchte mehr als drei Planeten, wenn sich alle Menschen so viel gönnten wie die Schweizer. «Wir leben auf Kosten künftiger Generationen und anderer Erdteile.» Das schreibt nicht der WWF, sondern das Bundesamt für Statistik.
Irgendwann muss jemand verzichten
Die Schweizer Verbraucherfreude hat zwei Hauptgründe. Erstens: Der stark gestiegene Wohlstand hat einstige Luxusgüter demokratisiert und Privilegien fast allen zugänglich gemacht, die sich lange nur eine kleine Oberschicht leisten konnte. Heute gilt es als normal, ein Haus mit Garten zu bewohnen, einen SUV zu steuern oder sich über Weihnachten in Thailand zu sonnen.
Zweitens: Die Schweizer verbrauchen so viel, weil sie die Folgen davon kaum spüren. Das CO2 der Flugzeuge verteilt sich über den Globus, die Klimaerwärmung wirkt verzögert. Auch die Schäden, welche die Herstellung gewisser Lebensmittel im Ausland anrichtet, muss sich niemand ansehen. Wegen dieser Distanz kann nicht die gleiche Betroffenheit entstehen, wie wenn Algen den Zürichsee zuwuchern würden.
Es gibt zwei Strategien, um den hohen Umweltkonsum zu drosseln. Man verengt die Verteilung der schädlichen Güter. Die Flugbranche ist heute von Mehrwert- und Treibstoffabgaben befreit. Das macht Fliegen so günstig. Eine Ticketsteuer, wie sie linke Politiker fordern und viele Länder schon kennen, würde den Preis nach oben drücken. Nicht mehr ganz so viele könnten sich einen Wochenendtrip nach New York leisten. Theoretisch lassen sich alle umweltschädlichen Tätigkeiten beliebig verteuern.
Die Alternative heisst: abwarten, bis es knallt.
Die Alternative dazu heisst: abwarten, bis es knallt. Die Schweizer haben sich als geschickte Heimatschützer erwiesen, dank ihrer Reinlichkeit konnten sie die eigene Natur halbwegs intakt halten. Bei weiter steigender Konsumfreude wird das nicht ewig funktionieren. Vielen Tieren und Pflanzen droht schon heute das Aussterben. Jede fünfte Grundwasserfassung weist einen hohen Anteil an Pestiziden auf, 1,6 Millionen Schweizer sind starkem Autolärm ausgesetzt, täglich wird die Grünfläche von mehr als acht Fussballfeldern verbaut. Die Klimaerwärmung lässt Berge bröckeln und Gletscher schmelzen. Irgendwann wird die Dringlichkeit, etwas zu tun, zu heftig.
Beide Vorgehensweisen sind nicht sehr fair. Durch eine Verteuerung nimmt man Wenigerverdienenden wieder Privilegien weg. Die Reichen flögen weiter, die Armen würden gegroundet. Wartet man hingegen einfach ab, müssen andere Länder und unsere Nachkommen mit den Schäden zurechtkommen, die wir anrichten. Es gäbe eine fairere und sauberere Lösung: Kontingente. Jede Schweizerin und jeder Schweizer bekäme pro Jahr ein gewisses Budget an umweltschädlichen Tätigkeiten zugesprochen. Deren Menge würden Politik und Experten bestimmen. Alle erhielten gleich viel davon, egal wie alt oder wie reich. Diese Energiebudget könnte man aufbrauchen – oder damit handeln.
Der Haken daran: Am Anfang steht freiwilliger Verzicht. Und das scheint noch unrealistischer als der Traum der Pariser, einmal in der Seine baden zu können, gleich neben der Notre-Dame.
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Drinnen sauber, draussen dreckig
Die Schweizer sind stolz auf ihre intakte Landschaft. Gleichzeitig machen sie die Natur kaputt. Dagegen hilft nur eins: Schmutzkontingente.