«Du Schafseckel, machs Törli zue»
Über 70 Jahre gingen sie unbescholten durchs Leben. Jetzt ist das Rentner-Ehepaar vorbestraft.

Es muss schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts Probleme in nachbarschaftlichen Verhältnissen gegeben haben. Warum sonst, könnte man meinen, sah sich der grossartige Dramatiker Friedrich Schiller veranlasst, in der dritten Szene des vierten Aufzugs des 1804 uraufgeführten Dramas «Wilhelm Tell» den gleichnamigen Helden sagen zu lassen: «Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt»?
«Gopferteli...»
Streit unter Nachbarn gehört – Achtung Ironie! – zu den Lieblingsprozessen von Richtern. Und sie reagieren darauf, ihrem Temperament entsprechend, unterschiedlich. Bezirksrichter Peter Heinrich sagte zunächst in neutralem Ton, ein solcher «Fall gehört nicht vor den Strafrichter», und fügte dann später, in etwas gehobenem Ton, an: «Gopferteli, man darf doch von erwachsenen Leuten erwarten, dass sie miteinander reden können.»
Reden trifft den Kern der Sache nicht schlecht, bloss das mit dem Miteinander klappt noch nicht so recht. Und so begab es sich, dass eine bald 72-jährige, bisher gut beleumundete Frau Meier (alle Namen geändert) ihrem Nachbar Müller «in einer Lautstärke, die es ihm ermöglichte, die gesprochenen Worte wahrzunehmen», zurief: «Du Schafseckel, machs Törli zue. Du huere Schafseckel.»
Streit um ein Gartentor
Die Worte, die im juristischen Sinne einer Beschimpfung entsprechen, standen weder am Anfang noch am Ende der spannungsgeladenen Beziehung zweier Nachbarn im Zürcher Stadtkreis 9. Es kann hier unmöglich der Ort sein, den seit Jahren dauernden Streit im Detail auszubreiten.
Die Kürzestversion geht etwa so: Die Liegenschaft der Familie Müller ist nur über einen privaten Fussweg erreichbar, der auf dem Grundstück der Familie Meier verläuft. Dabei spielt das Gartentor eine entscheidende Rolle, weil es das Törli von der Familie Müller offenbar immer wieder verhakt und offen gelassen wird. Dahinter steckt auch ein Streit um einen Abstellplatz, um Dienstbarkeiten und Servitute, welche die Gerichte auf zivilrechtlicher Ebene beschäftigen.
«Dä schlan ich no z tood»
Hier aber geht es ums Strafrecht. Und um Äusserungen, bei denen der 74-jährige Meier in nichts seiner Ehefrau nachsteht. Denn schon einen Monat zuvor hat er in den Garten der Nachbarn posaunt: «Ihr Arschlöcher.» Und etwa eine Woche nachdem seine Frau mit dem «Schafseckel» zum verbalen Zweihänder gegriffen hatte, doppelte er nach: «Jetzt hät das huere Arschloch det une de Haagge vom Törli wider nöd ighänkt. Dä schlan ich no z tood.»
Das Renter-Ehepaar wollte von solchen Äusserungen nichts wissen, vor Richter Heinrich vor allem kein weiteres Wort zur Sache mehr verlieren. Seinen Verteidiger liess es Freisprüche beantragen. Der zog die in einem solchen Fall üblichen Register, zog die Aussagen von Zeugen in Zweifel und kratzte ein wenig am Lack der Nachbarn, deren «unsinniges Verhalten» das Ehepaar Meier lange ertragen hätte.
Insbesondere beantragte er, im Falle eines Schuldspruchs sei beim Ehepaar auf eine Strafe zu verzichten. Den Äusserungen der Rentner seien zahlreiche Provokationen der Nachbarn vorausgegangen. Tatsächlich heisst es im Strafgesetzbuch: «Hat der Beschimpfte durch sein ungebührliches Verhalten zu der Beschimpfung unmittelbar Anlass gegeben, so kann der Richter den Täter von der Strafe befreien.»
Kaum Hoffnung auf Besserung
Davon wollte Richter Heinrich nichts wissen. Er hatte den Vorteil, dass in diesem Fall nicht einfach Aussage gegen Aussagen stand, sondern dass die Verbalinjurien auch Zeugen gehört hatten, die der Staatsanwaltschaft bestätigten, dass die Worte und Sätze so gefallen seien. Und so verurteilte Richter Heinrich die beiden Rentner wegen mehrfacher Beschimpfung zu einer bedingten Geldstrafe von je 10 Tagessätzen zu je 100 Franken und einer unbedingten Busse von je 400 Franken.
Beide zusammen müssen der Familie Müller eine Prozessentschädigung von 1000 Franken bezahlen sowie Untersuchungs- und Gerichtskosten von insgesamt gut 6000 Franken tragen. Solche Äusserungen seien «unentschuldbar», sagte der Richter. «Sie hätten sich nicht dazu hinreissen lassen dürfen», sagte er den Verurteilten, auch wenn die Familie Müller am ganzen Schlamassel «nicht ganz unschuldig» sei.
Die Hoffnung, dass die verfeindeten Nachbarn miteinander noch den Rank finden, ist eher klein. Wie gross die Chance sei, dass das Ganze wieder ins Lot komme, wollte der Richter vom Ehemann wissen. «Wenig bis nicht», antwortete dieser. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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