Dumm durch Podcasts
Podcasts erklären uns die Welt, von der Medizin bis zur Börse. Blöd nur, dass man dabei kaum etwas lernt, wie der Wissenschaftshistoriker David A. Banks schreibt.

Woran erkennt man den Superuser unter den Podcast-Hörern? Daran, dass es sehr einfach ist, ihn zu erschrecken. Er hört eine neue «This American Life»-Folge nicht nur beim Joggen, sondern eigentlich überall, beim Wäscheaufhängen oder Pflanzengiessen. Seine Umgebung nimmt er manchmal überhaupt nicht mehr wahr, schliesslich lernt er via Ohrenstöpsel gerade etwas Aufregendes über das menschliche Genom oder die unsichtbare Hand.
Aber was lernt er wirklich? Oder stellen wir die Frage anders, so, wie es vielleicht eine Episode von «Freakonomics» tun würde: Was macht es mit uns, wenn wir Podcasts hören? Werden wir klüger, sind wir einfach besser unterhalten? Diese Woche wagen wir ein Gedankenexperiment: Was, wenn uns Podcasts gar nicht unbedingt viel beibringen? – «Diese Art von Infotainment ist voller Aussagen, die wie Fakten klingen.» Das ist der Wissenschaftshistoriker David A. Banks, der einen Essay über Podcasts geschrieben hat. Laut ihm gibt es ein Problem: Wenn Sendungen wie «Radiolab» uns die Welt erklären, setzen sie auf Experten, die politische Probleme als wissenschaftliche Kontroversen reinszenieren. Und so den Blick für die grösseren Zusammenhänge verlieren.
Biologen, Analysten, Psychologen
Dabei ist es das, was vorwiegend US-amerikanische Podcasts wie «Radiolab» uns versprechen: den Geruch des Abenteuers beim Aufbruch in ein Feld, auf dem es Neues zu entdecken gibt. Und die spekulative Zusammenführung der gewonnenen Erkenntnisse, die einen Kitzel auslösen sollen in Hirn und Bauch. Egal, ob es um sauren Regen oder um Philanthropie geht.
Weit öfter aber – das ist wieder David A. Banks – setzen Podcast-Sendungen zu populärwissenschaftlichen Themen auf positivistische Forschungszweige, auf Datenanalysten, Verhaltenspsychologen, Neurobiologen. Auf Experten, die ein schillerndes Faktennugget präsentieren können, das gemäss den Verfahren, die sie brauchen, problemlos überprüfbar ist. Das wird garniert mit demonstrativer Skepsis der Sendungsmacher («That can't be true») oder einer weit weniger schillernden Gegenposition. Gewinnen aber muss am Ende immer das Überraschende.
Die Ideologien und Methoden, mit denen man diese Aussagen findet, die wie Fakten klingen, werden kaum je hinterfragt. Dadurch treten die politischen Dimensionen eines Problems in den Hintergrund. Im Zentrum der Sendungen stehen dafür geradezu heldenhafte Individuen mit ungewöhnlichen Erfahrungen – sei es, dass sie plötzlich von einer tödlichen Krankheit geheilt waren, sei es, dass sie 100 Millionen Dollar gespendet haben. Eigentlich kommt es nicht so sehr drauf an, solange Experten die Ungewöhnlichkeit bestätigen und das Einzelschicksal mit genügend erzählerischem Pathos aufgeladen werden kann.
Am Ende bleibt man alleine
Nehmen wir die unlängst hochgeladene «Radiolab»-Folge «Funky Hand Jive». Darin erinnert sich jemand an den grossen Moment, als er mit 14 Jahren John F. Kennedys Hand schütteln durfte. Damals fragte sich der Teenager, ob wohl ein Teil von Kennedy an ihm haften bleiben würde. Und heute – Überraschung! – gibt es ein wissenschaftliches Verfahren, das nachweisen kann, welcherlei Keime bei einem Handschlag übertragen werden. In der Folge geht es um Mikroben und einen Astrophysiker.
Für die weltweit gehörten Welterklärungspodcasts ist diese Kombination aus Human Interest, kindlicher Neugier und Szientismus typisch. Um Strukturen oder soziale Entwicklungen geht es in ihnen selten. Dafür um Atome und atomisierte Individuen. Nicht erstaunlich, dass man diese Podcasts immer allein hört, und irgendwann die Umgebung gar nicht mehr wahrnimmt.
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