Überflieger Simon EhammerEigentlich war es letztes Mal ja Irrsinn
8,45 Meter weit sprang der Appenzeller vor einem Jahr in Götzis und war danach gefürchtet. Nun trifft er dort nach heikler Gratwanderung erneut auf die Zehnkampf-Elite.

Nein, gewundert hätte sich kaum jemand. Wenn Simon Ehammer vor einem Jahr erklärt hätte, er konzentriere sich ab jetzt nur noch auf den Weitsprung, dann wäre der Tenor wohl gewesen: klar, Bündelung der Kräfte bei so viel Talent. Man hätte das irgendwie verstehen können. Denn wer kann das schon, 8,45 Meter weit fliegen? Dieser irrsinnige Sprung gelang dem Appenzeller Mehrkämpfer vor zwölf Monaten in Götzis. Es war ein Weltrekord innerhalb eines Zehnkampfs, Ehammer war, schwupps, die Weltnummer 1 – und gefürchtet von den Spezialisten. Denn ja, für die WM gehörte der damals erst 22-Jährige damit zu den Favoriten.
Ehammer hat keinen Gedanken an einen solch einseitigen Weg verschwendet. Im Gegenteil. Er hat sofort festgehalten, dass der Zehnkampf seine Leidenschaft sei. Diese Vielseitigkeit, dieser Wettkampf, bei dem nie nur die Rivalität im Vordergrund steht, sondern immer auch die Kollegialität, das gemeinsame Überwinden jeglicher Widerstände. Nach dem Gewinn von WM-Bronze im Weitsprung und EM-Silber im Zehnkampf ist Ehammer Ende April zusammen mit seinem deutschen Konkurrenten Niklas Kaul zusätzlich ausgezeichnet worden: mit dem Deutschen Fairness-Preis – für ihren Respekt und ihre Freundschaft trotz erbittertem Kampf.
Am Samstag nun kehrt der Schweizer ans zweitägige Hypo-Meeting nach Götzis im Vorarlbergischen zurück, diesem Mekka der Mehrkämpfer. Olympiasieger Damian Warner aus Kanada reist bereits zum zehnten Mal an und als siebenfacher Sieger. Er sagte einst, er werde kommen, solange ihn die Füsse trügen. Für Ehammer ist es ja ein Heimspiel, ein Katzensprung von Gais AR nach Götzis. Seine Vorfreude ist immens, es ist der Ort, an dem er ins kollektive Bewusstsein der Welt-Leichtathletik geflogen ist.
René Wyler, der Hauptverantwortliche seines Trainerteams am Leistungszentrum Appenzellerland Sport, sagt: «Da gibt es nur positive Emotionen. Er hat den letztjährigen Sprung verinnerlicht. Er hat ihn sich so viele Male angeschaut, dass er ihn zeichnen könnte.» Er lacht, weist aber auch darauf hin, dass ein solcher Exploit eben ein Exploit sei und nicht jederzeit erwartet werden dürfe. «Es gibt nur ganz wenige, die konstant über acht Meter springen können.»
«Er muss eine Routine abrufen können, ob es morgens um sechs oder nachts um elf ist.»
Ende vergangener Saison hat das Trainerteam mit dem Athleten die Leistungen analysiert und anhand deren die Trainingsziele bis Anfang dieser Saison definiert. Die Verbesserung in den Würfen – Speer, Diskus und Kugel – bildete dabei einen Schwerpunkt, die Festigung der Leistungen allgemein einen anderen.
Ehammer sagt: «Das Ziel ist, dass mir in den Würfen nicht nur jeder achte Versuch gelingt, sondern irgendwann jeder dritte. Das ist bei drei Versuchen entscheidend.» Wyler fügt an, dabei dürften Kälte, Wärme oder Regen kaum mehr eine Rolle spielen, «und er muss eine Routine abrufen können, ob es morgens um sechs oder nachts um elf ist». Technisch habe er sich mit dem Diskus so weit verbessert, dass er nun näher bei der Konkurrenz sein sollte.
Die Stärken Ehammers sind die Schnellkraft und seine Explosivität. Dass er davon über den Winter nichts eingebüsst, sondern noch zugelegt hat, bewies er vor zwei Wochen am Frühlingsmeeting in Basel. In 13,43 Sekunden sprintete er über 110 Meter Hürden zu einer Bestzeit, die Leistung über 300 Meter (33,64) in Willisau zeigte Wyler, dass er «sehr, sehr gut in Form ist». Schnelligkeit und Rhythmus hätten auch auf den Weitsprung Einfluss, «ich will im Mehrkampf schnelle Athleten, dynamische, explosive».

Einen solchen hat er mit Ehammer – der Trainer sagt sogar, nun sei es nicht mehr das Ziel, im Sprint ein paar Hundertstel schneller zu werden, sondern über 1500 Meter noch ein paar Sekunden herauszuholen, «das gäbe mehr Punkte». Doch das ist eine Gratwanderung. Zu viel Ausdauer- und Stehvermögentraining machten «stumpf», erklärt Wyler. Das heisst: Ehammer verlöre an Explosivität und würde im Sprint langsamer.
Im Mehrkampf ist dies die Grundsatzfrage: Wie viel Arbeit an den Schwächen verträgt es, ohne dass die Stärken darunter leiden?
Ehammer ist noch immer kein Brocken, wie es früher viele der Zehnkämpfer waren. Obwohl er in den Wintermonaten noch einmal an Kraft zugelegt hat, tat er dies nicht auf Kosten des Gewichts (1,84 m / 81 kg). Wyler sagt beispielsweise, er habe nun «die Power in den Beinen», um im Kugelstossen von der Wechselschritt- zur O’Brien-Technik zurückzukehren: kurzes Angleiten, um dann explosionsartig aus einer halben Drehung zu stossen.
Noch immer Probleme mit einer Schulter
Bei solch grundlegenden Veränderungen tüfteln Trainer Wyler und Athlet Ehammer, bis es für den Athleten stimmt. Das Vertrauen ist in den vergangenen Jahren gegenseitig gewachsen, was der eine sagt, ist dem anderen Gebot. Das war in den vergangenen Monaten vor allem im Speer-Training wichtig, das Ehammer nur eingeschränkt absolvieren konnte. Noch immer macht ihm die Schulter Probleme. «Da war es ab und zu wichtig, die richtigen Worte zu finden. Halt trotzdem positiv zu bleiben», sagt Wyler. Als einer der Ersten hat er festgestellt, dass das Mindset eine weitere Stärke Ehammers ist. Positives wie Negatives sofort wegstecken und weitermachen. Auch in Götzis.
Fehler gefunden?Jetzt melden.