Ein bisschen Spass bei der Arbeit muss gar nicht sein
Jammern über den Job zählt zu unseren liebsten Hobbys. Sind wir an der chronischen Unzufriedenheit möglicherweise selbst schuld?

Es war einmal ein angesehener Zürcher Herzchirurg. Eines Tages, er war schon Mitte 50, beschloss er, seiner wahren Passion zu folgen: dem LKW-Fahren – nicht als Hobby, sondern so richtig als Beruf. Er kaufte einen grossen roten Truck und operierte fortan keine Herzen mehr. Stattdessen karrte er leidenschaftlich Waren durch Europa und war glücklich. So lautet der Anfang einer wahren Geschichte, die sich vor ein paar Jahren zugetragen hat.
Volker Kitz, Autor von «Feierabend! Warum man für seinen Job nicht brennen muss» regt sich auf über derartige Erfolgsgeschichten. Erstens suggerierten sie: Es ist so leicht, eine Arbeit zu machen, in der man aufgeht; nur Trottel tun das nicht. Und zweitens: Leidenschaft ist das Mass der Dinge im Arbeitsleben. «Stellen wir uns vor, die Geschichte hätte umgekehrt begonnen: Ein LKW-Fahrer findet mit Mitte 50 heraus, dass sein Lebenstraum darin besteht, als angesehener Herzchirurg zu arbeiten.»
Die Überhöhung der Arbeit macht unglücklich
Die allermeisten sind eben nun mal keine Herzspezialisten, die einfach mal so den Job wechseln und sich verwirklichen können, sondern Lastwagenfahrer, KV-Angestellte oder Verkäufer. Volker Kitz hat nichts gegen Menschen, die ihren Job toll finden. «Das Problem besteht darin, dass wir so tun, als wäre es selbstverständlich und unerlässlich, in seinem Job total aufzugehen.» Menschen, die ganz normal ihre Arbeit machten, würden entweder nicht wahrgenommen oder als Negativbeispiele beschrieben mit Begriffen wie «Dienst nach Vorschrift», obwohl die Gesellschaft ohne sie nicht funktionieren würde.
«Die heutige Gesellschaft postuliert, dass jeder auf die Suche nach dem eigenen Potenzial und dessen Entfaltung gehen soll.»
Tatsächlich prahlt kaum jemand damit, seinen Job aus pragmatischen Gründen auszuüben, nur wegen des guten Geldes, der familienfreundlichen Einsatzzeiten oder weil man sich nicht übermässig anstrengen muss. «Wenn wir nicht leidenschaftlich in unserem Job aufgehen, heisst es, dass entweder etwas mit unserer Einstellung nicht stimmt oder mit der Berufswahl», ärgert sich Volker Kitz. «Das ist es, was viele Menschen unnötig unglücklich macht, und nicht die Arbeit.» Die Laufbahnberaterin Regula Hunziker aus Uster sieht das ähnlich. «Die heutige Gesellschaft postuliert, dass jeder auf die Suche nach dem eigenen Potenzial und dessen Entfaltung gehen soll.» Die Erwartung, dass der Job sich dem Traumjob annähern solle, habe sich verstärkt.
Die Arbeit ist nicht zur Selbstverwirklichung da
Auch der Bildungshype der vergangenen zehn Jahre trägt laut Regula Hunziker dazu bei, dass Wunsch und Realität im Berufsleben vermehrt auseinanderklaffen. Man eignet sich immer mehr Wissen an, lernt Sprachen und bildet sich stetig weiter. Klar will man das Gelernte umsetzen und auf entsprechendem Niveau tätig sein, klar will man Einfluss und Verantwortung. Und dann? Endet man in einem Job, der nicht halb so toll ist wie versprochen und aus viel Routine besteht statt aus spannenden Herausforderungen. Im Stelleninserat steht davon natürlich nie etwas.
«Es gibt nur zwei Arten von Tätigkeiten: Die einen sind langweilig. Die anderen werden es», schreibt Volker Kitz in seinem Buch. Es sei lächerlich, so zu tun, als wären sie spannend, ereignisreich und herausfordernd. «Der Alltag der meisten Berufe ist anspruchslos und eintönig.» Und es trifft alle. Auch in vermeintlichen Traumberufen von Notfallärztinnen, Anwälten, Werberinnen, Fernsehmoderatoren oder Schauspielerinnen. «Man darf nicht vergessen: Die Arbeit ist nicht in erster Linie ein Selbstverwirklichungsparadies, sondern im Grunde nichts anderes als Leistung gegen Geld», sagt Regula Hunziker.
Vor allem die jüngeren Generationen sehen nicht ein, warum sie die acht Arbeitsstunden täglich einfach so verplempern sollen.
Das ist nicht unbedingt das, was man heutzutage als Arbeitnehmer hören will. Vor allem die jüngeren Generationen sehen nicht ein, warum sie die acht Stunden täglich einfach so verplempern sollen. Sie erwarten einen sinnstiftenden Job und wollen möglichst selbstbestimmt arbeiten. Kann das Unternehmen ihre Ansprüche nicht erfüllen, geht es auf zum nächsten.
Die grosse Mehrheit behauptet, zufrieden zu sein
«Es ist richtig, dass sich die Jungen nicht mit dem Erstbesten zufrieden geben und Erfahrungen sammeln», sagt Regula Hunziker. «Aber Traumjobs sind leider nicht die Regel.» Entsprechend hoch ist das Frust- und Jammerpotenzial. Nur gerade jeder fünfte Schweizer unter 40 Jahren gibt in Befragungen an, topmotiviert bei der Arbeit zu sein. Bei den über 60-Jährigen jedoch ist die Mehrheit zufrieden. Vielleicht auch, weil sie ihre Ansprüche im Lauf des Berufslebens heruntergeschraubt haben aus der pragmatischen Erkenntnis, dass nicht einfach alles besser wird, nur weil man die Stelle wechselt. Mühsame Chefs, Kollegen oder Sitzungen gibt es schliesslich überall.
Dass die Erwartungen der Arbeitnehmer und die Angebote der Arbeitgeber immer weiter auseinanderdriften, zeigt sich eindeutig. Paradoxerweise versichern Schweizerinnen und Schweizer in Befragungen immer wieder, dass sie mit ihrem Job voll oder zumindest ziemlich zufrieden seien. Die Zahlen schwanken im Schnitt zwischen beeindruckenden 75 und 95 Prozent. Nur die Allerwenigsten geben an, keinen Spass zu haben, unzufrieden oder demotiviert zu sein.
Es geht mehr um Zufriedenheit, weniger um Glück
«Die Zahlen sehen ganz anders aus, wenn man nicht das analysiert, was die Personen in Umfragen behaupten, sondern das, was die Personen tun», sagt Martin Scherrer des Schweizer Start-ups Yooture, das Stellensuchende dank einer Appzum perfekten Traumjob bringen soll und umgekehrt. Laut dem Kelly Global Workforce Index, bei dem jeweils über 100 000 Personen weltweit zu ihrem Beruf befragt werden, seien mehr als 60 Prozent der Schweizer Arbeitnehmer passiv jobsuchend und setzten sich mindestens einmal wöchentlich mit dem Thema auseinander. Sie haben zum Beispiel einen Job-Newsletter abonniert oder grasen Stellenportale ab.
«Die Unzufriedenheit ist offensichtlich gross und nicht zu unterschätzen», sagt Martin Scherrer. Wenn der Druck immer grösser und immer mehr von einem gefordert werde, frage man sich natürlich irgendwann, warum man sich das überhaupt antue, und fange zu recht an zu jammern. «Unsere Grosseltern haben noch unmittelbarer gesehen, wofür sie krampfen.» Sie hatten den Sinn ihrer Arbeit am Ende des Tages sozusagen auf dem Teller.
Unsere Grosselter hatten den Sinn ihrer Arbeit am Ende des Tages sozusagen auf dem Teller.
Kann man überhaupt glücklich sein bei einer unausweichlichen Pflicht, die Arbeiten nun mal ist? «Glücklich ist vielleicht das falsche Wort, es geht eher um Zufriedenheit», sagt Scherrer. «Wenn ich verstehe, wofür ich arbeite, steigt die Zufriedenheit im Job.» Die Sinnhaftigkeit sei aber extrem individuell – manchen reiche die Aussicht auf den Lohn am Ende des Monats, andere strebten nach uneingeschränkter Selbstbestimmung und Leidenschaft im Job. Es sei an jedem selbst, diesen Sinn zu erkennen, um zufrieden und motiviert zu sein.
Volker Kitz findet das gar nicht nötig. «Es besteht kein Grund, der Arbeit ein übertriebenes Gewicht beizumessen, immerhin verbringen wir damit gar nicht so viel Zeit.» Achteinhalb Jahre, um genau zu sein, wenn man von einer Lebensarbeitszeit von 40 Jahren, einer 40-Stundenwoche und fünf Wochen Ferien im Jahr ausgehe. Jeweils zwölf Lebensjahre fallen laut Kitz aufs Fernsehen, darauf, sich mit anderen Menschen zu unterhalten – und aufs Schlafen: «Nur wenige suchen aber im Schlaf ihren Lebensinhalt.»
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