Ein ganzer Eisenbahntunnel für die Fledermäuse
Nach 117 Jahren wird der Rosshäuserntunnel bei Bern für die Menschen für immer gesperrt. Das ganze Bauwerk wird zum Reich der Tiere.

Den längsten Eisenbahntunnel der Welt hat die Schweiz bereits, ebenso die höchstgelegene U-Bahn und den ältesten Strassentunnel durch die Alpen. Die drei Rekordbauwerke sind die Gotthard-Neat, die Metro Alpin in Saas-Fee und der Tunnel durch den Grossen St. Bernhard. Und jetzt erhält die Schweiz eine weitere unterirdische Exklusivität: einen ganzen Tunnel für die Fledermäuse und andere Tiere.
Der über einen Kilometer lange Rosshäuserntunnel liegt an der Bahnlinie von Bern nach Neuenburg und Paris und ist seit 1901 in Betrieb. Nach 117 Jahren ist seine Zeit abgelaufen. Parallel zum alten Tunnel hat das Bahnunternehmen BLS seit 2013 einen gut doppelt so langen Doppelspurtunnel gebohrt, der im September 2018 eröffnet wird. Eine Sanierung des alten Tunnels wurde verworfen, weil er bloss einspurig, baufällig und zu eng für Doppelstockwagen ist.
In einem Jahr verkehrt also der letzte Zug durch den alten Tunnel. Doch was dann mit ihm anfangen? Laut Auskunft der SBB-Medienstelle gibt es in der ganzen Schweiz keinen anderen überflüssigen Bahntunnel vergleichbarer Länge.

Die BLS hat mehrere Varianten erwogen und verworfen. Eine Radwegverbindung? Zu teuer, denn das hätte eine aufwendige Sanierung des Tunnels nötig gemacht. Ein Käselager oder eine Champignonzucht? Gleiches Problem wie beim Radweg. Zudem schien es den BLS-Verantwortlichen zweifelhaft, dass sie mit ihrem Tunnel gegen die Armee konkurrenzieren könnten, die ebenfalls verzweifelt Käufer für ihre Bunker sucht. Den Tunnel auffüllen? «Zu riskant», sagt Markus Sägesser, der verantwortliche Projektleiter bei der BLS. In einem Tunnel könne man das Auffüllmaterial nicht genügend verdichten. Wenn der Tunnel eines Tages einstürzt, könnte auch das Gelände an der Oberfläche absacken.
So beschloss die BLS, den Tunnel bloss «minim instand zu stellen zur Sicherung der Langzeitstabilität», sagt Sägesser. Anschliessend wird der Tunnel mit Gittertüren versperrt. Nur noch ab und zu wird ein BLS-Kontrolleur den Tunnel betreten, um die Stabilität zu überprüfen.
Die Gittertore werden allerdings so gestaltet, dass er für Tiere weiterhin zugänglich bleibt, besonders für die Fledermäuse. Eine Chance für die Natur bietet die Stilllegung des Tunnels auch ausserhalb. Vor dem Westportal windet sich die alte Bahnlinie durch das malerische Schnurrenmühletälchen. Auch in diesem Tälchen wird das Bahntrassee herausgerissen und der Bach auf einer Länge von 1,3 Kilometern renaturiert.
Der Nationalrat und sein Zug
Das Schnurrenmühletälchen ist so eng, dass das Bahntrassee heute streckenweise mitten im Bach steht. Wie kam es, dass in diesen engen Platzverhältnissen überhaupt je eine wichtige Bahnverbindung gebaut wurde?
Ende des 19. Jahrhunderts wurde intensiv um die Linienführung gerungen. Am Ende setzte sich ein Mann namens Jakob Freiburghaus durch. Er war 30 Jahre lang Nationalrat und Direktionspräsident der Bern-Neuenburg-Bahn. Vor allem aber wohnte er im Weiler Spengelried nicht weit von Rosshäusern entfernt und wollte selber auch etwas von der neuen Bahnlinie haben. Und so sorgte Freiburghaus dafür, dass das Gleis möglichst nahe an seinem Haus vorbeiführte. Wenn er dann jeweils nach Bern zur Session musste, spazierte der Herr Nationalrat gemütlich zur Bahnlinie, hob vor dem Westportal des Rosshäuserntunnels seinen Spazierstock, und jeder Lokomotivführer wusste: Für diesen Passagier muss ich auch auf offener Strecke anhalten.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch