«Ein kalter Krieg, der zum Bürgerkrieg eskalieren könnte»
Der Machtkampf zwischen Saudiarabien und dem Iran erfasst den Libanon. Antworten auf sechs Fragen zu einem explosiven Konflikt.

Saudiarabien und der Iran konkurrieren um die Vormachtstellung im Nahen Osten. Der Iran übt über Milizen im Libanon, in Syrien und im Irak starken Einfluss aus. Teheran verfolgt das grosse Ziel, via Syrien und mithilfe der Hizbollah einen Landkorridor bis zum Mittelmeer zu errichten. Riad verfolgt dies mit Unbehagen. Saudiarabien wiederum wird beschuldigt, bewaffnete sunnitische Gruppen zu unterstützen. Im Jemen bekämpft eine von Saudiarabien angeführte Koalition die Huthi-Rebellen, die vom Iran unterstützt werden. Unter dem neuen starken Mann, Kronprinz Muhammad bin Salman, der zugleich Verteidigungsminister ist, hat das ultrakonservative saudische Königreich seine Politik gegenüber dem Iran massiv verschärft. Dazu gehört auch die Blockade Katars, das nach Ansicht von Riad zu enge Beziehungen zu Teheran unterhält.
Saudiarabien und der Iran liefern sich nun einen weiteren Konflikt – diesmal geht es um den Libanon. In dem kleinen Staat am östlichen Mittelmeer haben beide Regionalmächte ihre Stellvertretergruppen. Saudiarabien und andere Golfstaaten haben inzwischen ihre Bürger dazu aufgerufen, den Libanon sofort zu verlassen.
Was war der Auslöser für die neueste Krise im Nahen Osten?
Libanons Premier Saad Hariri hat letzten Samstag bei einem Besuch in Saudiarabien überraschend seinen Rücktritt verkündet. Der sunnitische Politiker Hariri und dessen Zukunftspartei sind Riads wichtigste Verbündete im Libanon. Hariri richtete schwere Vorwürfe gegen die mit dem Iran verbündete schiitische Hizbollah-Miliz, die an der libanesischen Regierung beteiligt ist. In jüngster Zeit habe die Hizbollah «mit der Kraft ihrer Waffen Tatsachen geschaffen», sagte Hariri. Das Waffenarsenal der Hizbollah ist dank dem Iran angeblich umfangreicher als das der libanesischen Armee. Teheran mische sich in arabische Angelegenheiten ein, sagte Hariri in einer TV-Ansprache in Riad. Und die Schiitenmiliz Hizbollah habe den Libanon als Geisel genommen. Angeblich aus Angst vor Attentaten ist Hariri, der auch den saudischen Pass besitzt, bisher nicht nach Beirut zurückgekehrt. Das iranische Aussenministerium weist Hariris Vorwurf zurück, dass der Iran im Libanon einen «Staat im Staat» geschaffen habe.

Nach Darstellung des Irans soll die saudische Regierung Hariri zum Rücktritt gezwungen haben: «Das ist Teil eines neuen Szenarios, um Spannungen im Libanon und in der Region zu schüren.» Der Libanon hat inzwischen in Saudiarabien offiziell Protest gegen die Umstände des Rücktritts seines Ministerpräsidenten eingelegt. Im Streit zwischen Saudiarabien und dem Libanon wird der Ton immer rauer.
Sind es tatsächlich die Saudis, die Unruhe im Libanon provozieren wollen?
Etliche Libanon-Experten sind überzeugt, dass Riad hinter dem Rücktritt von Hariri steckt. So betont Politikwissenschaftler Hilal Khashan von der American University in Beirut, dass Hariri «viele Konzessionen» gegenüber seinen politischen Rivalen gemacht habe, um Regierungschef werden zu können. Ohne saudischen Druck hätte er das Amt sicherlich nicht abgegeben. Der US-Experte Joseph Bahout von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh hat erst kürzlich davor gewarnt, dass Saudiarabien nach den Verlusten in Syrien nach neuen Wegen suche, den Iran bluten zu lassen. «Das könnte sie zum Versuch veranlassen, im Libanon wieder stärker Fuss zu fassen.» Viele Libanesen sehen eine saudische Aktion hinter dem Rücktritt von Hariri – mit dem Ziel, dessen delikate Kompromissregierung mit der Hizbollah zu torpedieren. Zudem, so die Befürchtung von Beobachtern, könnte dies der Anfang eines Versuchs von Saudiarabien sein, die sunnitischen Feinde der Hizbollah im Libanon zu mobilisieren.
Wie explosiv ist die politische Lage im Libanon?
Saudiarabien und der Iran haben ihre Verbündeten im Libanon. Das libanesische Parlament ist denn auch tief gespalten zwischen dem von den USA und Saudiarabien unterstützten Lager um Hariri und einem von der Hizbollah angeführten Block, der vom Iran und von Syrien unterstützt wird. Die politischen Gräben vertieften sich durch den Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien, in dem die Hizbollah und der Iran auf der Seite von Machthaber Bashar al-Assad kämpfen. Libanons Parteien ist es immerhin weitgehend gelungen, eine gewalttätige Eskalation der Dauerspannungen zwischen Schiiten, Sunniten und Christen zu verhindern. Im Zedernstaat sind die Erinnerungen an den eigenen verheerenden Bürgerkrieg (1975–1990) noch sehr präsent.

Hariris Rücktrittserklärung erfolgte ein Jahr nach der Bildung der Einheitsregierung in Beirut, die kurz nach der Wahl des maronitischen Christen und Hizbollah-Verbündeten Michel Aoun zustande kam. Das Arrangement war das Produkt einer – seltenen – Übereinkunft zwischen Saudiarabien und dem Iran zur Beruhigung der Lage im Libanon, nachdem der Präsidentenposten zwei Jahre lang unbesetzt geblieben war. Der Deal über die Verteilung der Macht im Libanon sieht vor, dass der Präsident ein Maronite ist, der Regierungschef ein Sunnite und der Parlamentsvorsitzende ein Schiite. Nun herrscht bei so manchen Libanesen die Furcht, dass Saudiarabien die machtpolitische Balance zerstört. Und dass der Libanon in ein Chaos schlittert.
Wie gross ist die Gefahr eines neuen Kriegs im Libanon?
Der Politikwissenschaftler Hilal Khashan von der Amerikanischen Universität in Beirut nannte Hariris Rücktritt eine «gefährliche Entscheidung, deren Folgen schwerer sein werden, als es der Libanon verkraften kann». «Hariri hat einen kalten Krieg gestartet, der zum Bürgerkrieg eskalieren könnte», sagte Khashan unter Verweis auf die militärische Vorrangstellung der Hizbollah im Libanon. Die Politologin Fadia Kiwane von der Beiruter St.-Josephs-Universität warnte, die Lage in der Region sei an einem Wendepunkt angelangt. «Es könnte einen tödlichen Zusammenstoss zwischen Saudiarabien und dem Iran geben.» Der noch immer aktive Drusenführer Walid Jumblatt warnte, der Libanon sei «zu klein und verletzlich, um die wirtschaftliche und politische Bürde der Hariri-Demission zu tragen». Auch in den sozialen Medien äussern Libanesen die Befürchtung einer kriegerischen Auseinandersetzung.
Welche Rolle spielen die USA im Konflikt zwischen Saudiarabien und dem Iran?
Bei seinem Besuch in Riad hatte US-Präsident Donald Trump deutlich gemacht, dass er voll hinter Saudiarabien steht. Trump passt die saudische Politik gegen den Iran, gegen den er immer wieder wettert. Eine sehr wichtige Rolle in der amerikanischen Nahost-Politik spielt Jared Kushner, Schwiegersohn und Top-Berater von Trump. Kushner ist dessen wichtigster Verbindungsmann nach Saudiarabien und Israel. Kushner versucht, wie von Trump gewünscht, eine gemeinsame arabisch-israelische Front gegen den Iran zustande zu bringen. Kushner war dieses Jahr schon dreimal in Riad. Er soll ein freundschaftliches Verhältnis zu Kronprinz Muhammad bin Salman haben. Die guten Beziehungen zu den USA nutzen die Saudis für ihre Anti-Iran-Politik.
Wo steht Israel im saudisch-iranischen Konflikt um den Libanon?
Die gemeinsame Feindschaft gegen den Iran macht Saudiarabien und Israel zu Verbündeten. Diese Woche berichtete ein israelischer TV-Sender, dass Israel in Absprache mit den Saudis den diplomatischen und politischen Druck auf den Iran und die Hizbollah in Libanon verstärkt hat. Erst kürzlich sagte Israels Premier Benjamin Netanyahu, dass der iranischen Aggression endlich Einhalt geboten werden müsse. In diesen Tagen kursieren Nachrichten, wonach Israel bereit ist, militärisch gegen die Schiitenmiliz im nördlichen Nachbarland vorzugehen. Ein Krieg zwischen Israel und der Hizbollah wäre nichts Neues. Im Sommer 2006 hatten sich die Todfeinde einen 33-tägigen Krieg geliefert, bei dem über 1500 Personen, hauptsächlich libanesische Zivilisten, ums Leben kamen. Israel fürchtet die im Zuge des Syrien-Kriegs erstarkte Hizbollah in der Nachbarschaft. Einen Krieg hält die Regierung in Jerusalem für unausweichlich. Grossübungen haben schon stattgefunden. Anders als beim Zweiten Libanonkrieg will Israel die Hizbollah nicht nur schwächen, sondern ausschalten.
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