Als es in der Kunst zu schneien begann
Dem Gemälde «Die Anbetung der Heiligen Drei Könige im Schnee» von Pieter Bruegel d. Ä. ist in Winterthur eine hochinteressante Ausstellung gewidmet. Eine Bildbetrachtung.

Das Gemälde «Die Anbetung der Heiligen Drei Könige im Schnee» ist historisch gesehen das erste Tafelbild überhaupt, auf dem Schneeflocken gemalt sind. Es misst nur 35 mal 55 Zentimeter und gehört damit zu den kleineren Formaten Pieter Bruegels des Älteren (1525–1569), der letztes Jahr im Kunsthistorischen Museum in Wien in einer fantastischen Gesamtschau, wie es sie wohl nie wieder geben wird, gefeiert wurde.
Verglichen mit Ambrogio Lorenzettis Fresko «Allegorie des Winters» in Siena, dem frühesten Schneeflockenbild (1337–1339) überhaupt, zeugt es von einem hoch erfreulichen Realismus in der Landschaftsdarstellung. Denn als Betrachter gewinnt man den Eindruck, als ob die weissen Punkte und kleinen Flecken über die ganze, bühnenartig organisierte Szenerie herunterfallen, also auch in der Tiefe des Bildes ihre Spuren hinterlassen und nicht wie bei Lorenzetti nur als Vorhang den Blick auf das Geschehen vernebeln.

Denn zweifellos ist es so, dass im Laufe der Entstehung von Bruegels Gemälde – das man aufgrund einer kaum lesbaren Jahreszahl auf 1563 datieren kann – die Schneeflocken am Schluss kamen und die letzte Malschicht darstellen. Wenn man das bedenkt, dann ist es doppelt erstaunlich, wie geradezu selbstverständlich das Flockige das ganze Bild durchwirkt.
Schneeflocken mit Beinen
Den Menschen auf diesem Bild, die meisten von ihnen stapfen in leicht vornüber gebeugter Haltung durch den Schnee, muss unglaublich kalt sein. Das verleiht wiederum, in einer Art Rückkopplungseffekt, dem Schnee etwas Bedrohliches. Man schaut also beinahe schon in ein Schneegestöber, in dem die Menschen sich nur aufhalten, um sich entweder geschwind fortzubewegen oder etwas zu erledigen, das ihnen dringlich erscheint. Man beachte die beiden Personen, die aus einem Eisloch im Teich mit einem Eimer Wasser geholt haben. Oder jene Frau, die links vorne im Bild Weidenruten von einem liegenden Stamm abschneidet.

Bei den meisten Personen bleibt aber unklar, was sie genau tun. Der Maler hat sie nur schemenhaft gemalt und mit relativ groben Pinselstrichen auf einen dunklen Körper eine etwas hellere, oft weiss schimmernde Kopfbedeckung gesetzt, sodass die Einzelnen fast wie Schneeflocken mit Beinen aussehen. Das kann, wenn wir die deutlich gezeichneten Figuren auf den anderen Bildern des älteren Bruegels betrachten, nicht zufällig sein. So sticht bei aller so wohlgesetzten Undeutlichkeit das Kind umso mehr heraus, das auf dem Teich herumpaddelt und der einzige Mensch ist, der dieser eiskalten Winterwelt so etwas wie Lust und Freude abgewinnt.
Man ist angesichts der vielen ungenau gezeichneten Figuren geneigt, von einer anonymen Masse zu sprechen, die unter der kalten Witterung leidet. In ihrer Mehrheit zeigen die Menschen auf diesem Dreikönigsbild jedenfalls absolut kein Interesse daran, zu erfahren, was Wunderbares sich zugetragen hat in jenem halb verfallenen Stall, den man nach einigem Suchen dann vorne links im Bild doch noch erkennt.
Jesus wird links liegengelassen
Zwei Figuren – sie gehören wohl zu den Königen aus dem Morgenland, der eine ist golden, der andere dunkelrot gekleidet – knien vor der heiligen Maria und ihrem Sohn. Der dritte König steht vermutlich an der Spitze der kleinen Schlange aus frierenden Menschen, die vor dem Stall warten. Marias Gesicht lugt unter dem Kopftuch hervor. Aber das heilige Kind auf ihrem Schoss bleibt eine Skizze. Von Joseph, dessen Gestalt im Dunklen des Stalls fast verschwindet, ganz zu schweigen.

Es gibt vermutlich kein Anbetungsbild in der Kunstgeschichte, bei dem das Zentrum des des heiligen Geschehens beiläufiger inszeniert, ja geradezu sprichwörtlich links liegen gelassen wird. Und da wir in diesem Stall mit blossem Auge, also ohne Zoom und andere technische Hilfsmittel, so wenig erkennen, wandert der Blick unweigerlich, gewissermassen von der unsichtbaren Hand der Bildkomposition geführt, von links vorne in die Mitte des Bildes, auf den Dorfplatz, auf dem sich unzählige Menschen tummeln, die alles tun, ausser dem Neugeborenen zu huldigen.
Vom hell erleuchteten Tor im Bildmittelgrund rechts scheint sich gegenläufig zu der Bewegung unserer Augen ein Zug von Menschen und Tieren quer durch das Bild zu bewegen. Packesel und Treiber drängen zum Feuer hinter dem Stall. Eine Gruppe Bewaffneter steht neben dem Tor. Und ziemlich genau im Zentrum der Komposition scheinen sich einige Männer beinahe verschämt aus dem Bild zu stehlen.
Die Gefahr kommt aus der Zukunft
Der suchende Blick entdeckt dann endlich zwischen den beiden Häusern, die den Dorfplatz im Mittelgrund abschliessen, hinter einem Rad eine Gruppe Soldaten, die von einigen Kunsthistorikern mit den Figuren in Bruegels «Bethlehemitischem Kindermord» in Zusammenhang gebracht worden sind. So gesehen bringt Bruegel hier eine bedrohliche Zukunft ins Bild. Es ist, wie wenn die Häscher, hinter denen die Umrisse eines burgartigen Gebäudes sich abzeichnen, jetzt schon bereitstünden, um dereinst die Erstgeborenen niederzumetzeln.

Und wenn man das Gebäude rechts in den Blick nimmt, so erkennt man eine Kirchenruine ohne Dach, die sich in einem derart schlechten Zustand befindet, dass sie niemandem Schutz bieten kann. Der Innenraum ist voller Schutt, auf dem eine Schneedecke liegt, die man sogar durch die hoch über dem Boden liegenden Bogenfenster erkennt. Zudem wird die Mauer zum Dorfplatz hin von einem mächtigen Balken gehalten, dem die Aufgabe zukommt, die marode Kirche – an die sich zum Teich hin noch eine improvisierte, nur mit einem Zeltdach bedeckte Kneipe anlehnt – vor dem Einsturz zu bewahren.
Solche Kirchenruinen sind in der mittelalterlichen Ikonografie oft metaphorisch gemeint. So gesehen entpuppt sich das Bild unversehens als grosse Zeit- und Kirchenkritik. Es erzählt über Flandern in der Mitte des 16. Jahrhunderts: Von einer durch und durch morschen und hohl gewordenen christlichen Kirche. Von einer Bevölkerung, die sich zu Beginn der Kleinen Eiszeit, die um 1550 einsetzt, um nichts als ihre dringendsten Alltagsgeschäfte kümmert. Von einer weit hergereisten Gruppe von Königen, die im Gegensatz zu den Einheimischen dem Gotteskind ihre Aufwartung machen. Und von Soldaten, deren Anwesenheit wie ein Damoklesschwert über dieser alles in allem doch recht unerfreulichen Gegenwart hängt, bei deren Anblick man sich noch heute sprichwörtlich warm anziehen muss.
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