Strindberg am PfauenEin Machtkampf auf Leben und Tod
Nicolas Stemann, Co-Intendant am Schauspielhaus Zürich, bringt nach pandemischer Wartezeit seine Strindberg-Inszenierung «Der Vater» nach Zürich. Ein Glück!

Bei ihm gibt es Klassik gerührt als auch geschüttelt, von Shakespeare bis Strindberg. Jedenfalls wirds immer spritzig, wenn Co-Schauspielhausintendant Nicolas Stemann sich einen Theater-Standard zur Brust nimmt. Der Mann, der selber kluge Bänkellieder schreibt («Corona-Passionsspiele»), hat 2018, zu seinem Abschied von den Münchner Kammerspielen, «Der Vater» aufgemischt, dieses kurze, harte Stück des grossen schwedischen Frauen-Nichtverstehers August Strindberg aus dem Jahr 1887. Jetzt ist es am Pfauen zu sehen.
Inszeniert hat Stemann «Der Vater» zwischen versenkbaren Stehlampen, die aussehen wie, nun ja, schlapp hängende primäre Geschlechtsmerkmale (Bühne: Katrin Nottrodt). Und nein, das ist kein Zufall. In dem Stück geht es um Vaterschaft, Potenz und Macht – und die Regie macht klar, dass es egal ist, dass das konkrete, oberflächliche Problem heute mit einem simplen DNA-Test aus der Welt geschafft wäre.

In «Der Vater» streiten ein Rittmeister und seine Frau Laura vorderhand darüber, ob die Teenagertochter Bertha in die Stadt ziehen soll, um dort zur Lehrerin ausgebildet zu werden (gemäss Vaters Wunsch), oder ob sie – wie ihre Mutter es vorzieht – auf dem Gut bleibt. Dort könnte sie mit ihrer Oma weiter spiritistische Sitzungen abhalten und ansonsten ihren künstlerischen Neigungen folgen. Zu Strindbergs Zeiten hatte der Mann noch das Sagen in solchen Fragen, aber Frauenrechtlerinnen formierten sich bereits zu aktivistischen Gruppen.
«Das Weib war dein Feind, und die Liebe zwischen den Geschlechtern ist Kampf», haut Laura ihrem Mann ungerührt um die Ohren. Und sie suggeriert, dass die Tochter womöglich einen anderen Erzeuger hat, sein Machtanspruch sowieso auf einer Illusion beruht.
Die Chose ist eine Steilvorlage, um feministische Manifeste und Positionen hineinzuspicken wie aus Valerie Solanas «Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer» (1969) oder Judith Butlers «Das Unbehagen der Geschlechter» (1991). Überhaupt öffnet Stemann weit die Schleusen für die Diskursströme von Feminismus bis Gender-Freiheit, selten auch allzu weit. Dass dies freilich grösstenteils viel Spass macht, obwohl es um seit Jahren hoch- und runterdeklinierte Fragen geht, ist ein Verdienst seines beherzten Zugriffs – und seines hervorragenden Ensembles, das Komik und Kaspereien nicht scheut.

Daniel Lommatzsch, Julia Riedler und, im Finale, Lena Schwarz – alle drei schlicht grandios – wechseln sich ab in den Hauptrollen von Rittmeister und Frau: Gender-Befreiung mitten in der Geschlechterschlacht. Drum ist der Unisex-Sportdress angesagt (Kostüme: Marysol del Castillo). Zeynep Bozbay tritt, vornehmlich, als Tochter Bertha mit Schleifchenröckchen auf, die hier jedoch, anders als bei Strindberg, eine widerständige eigene Stimme bekommt. Und das Musiker- und Performerduo Thomas Kürstner und Sebastian Vogel begleiten die Vorstellung mit Theremin und Geige im Look von Strindberg himself (Kürstner) und seiner ersten Frau Siri am Bügelbrett.
Die Liebe ist in der Versorgungsgemeinschaft der Rittmeisters längst flöten gegangen. Wie der Machtkampf «auf Leben und Tod» (Laura) eskaliert, zeigt die Inszenierung in ihren ironischen Repetitionen der immer gleichen, immer wieder anders durchgeführten Dialoge, besser: Gefechte. Und damit das nicht zu trocken gerät, grätscht mal ein interaktives Intermezzo mit dem Publikum dazwischen, mal trällert ein Testosteron-überschwemmter Holzfäller-Chor live von der Fahrt «in den Puff nach Barcelona». Dann wieder schwingt Laura im Fond eine riesige Kastrationsschere. Bis im Schmerz, auf den Vorhang projiziert, Männer- und Frauengesicht ineinanderfliessen.
Bekanntlich triumphiert am Ende Laura. Sie hat in einer asymmetrischen Gesellschaftsstruktur die psychologische Kriegsführung und das Gaslighting als tödliche Waffe entdeckt; der Rittmeister tut, in eine Zwangsjacke gepackt, seinen letzten Atemzug. Verlierer sind trotzdem alle: Davon erzählt nicht nur Strindbergs schillerndes Drama, sondern auch Stemanns sehr heutige Inszenierung, Lena Schwarz’ kaputter Mann, kaputte Frau. «Ich bin mit meiner Kunst am Ende, wer mehr weiss, der rede», heisst es nicht ohne selbstironischen Schuss am Schluss – worauf, genau, die Macho-Männer ihr sonores «Amen» intonieren. Wir unseren Beifall.
Bis 20. Mai.
Alexandra Kedves arbeitet als Kulturredaktorin im Ressort Leben. Sie schreibt schwerpunktmässig über Theater sowie über gesellschafts- und bildungspolitische Themen. Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie in Konstanz, Oxford und Freiburg i Br.
Mehr InfosFehler gefunden?Jetzt melden.