Ein Mann gegen zwei Frauen
Als Nachfolger von Gewerkschaftspräsident Paul Rechsteiner wünschen sich viele eine Frau. Wenn da bloss nicht Pierre-Yves Maillard wäre.

Schnauz, Mittelscheitel, sonores Timbre, staubtrockene Rhetorik: Der St. Galler Anwalt Paul Rechsteiner ist in den 20 Jahren an der Spitze des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) zu einer Marke geworden. Mit dem Boykott der Verhandlungen für ein Rahmenabkommen mit der EU hat er kurz vor seinem Karriereende als SGB-Präsident nochmals seine Muskeln spielen lassen. Es war vielleicht sein letzter Paukenschlag: Am SGB-Kongress Ende November tritt Rechsteiner definitiv ab.

Die Kandidatensuche für seine Nachfolge läuft auf Hochtouren – und sie ist kompliziert. Dem SGB gehören 16 Einzelgewerkschaften mit total 380'000 Mitgliedern an. Der oder die neue Vorsitzende muss all diese Interessen bündeln – und sollte überdies ein Rezept haben gegen das Hauptproblem aller Gewerkschaften: den Mitgliederschwund. Zu diesem Zweck hat der SGB eine Findungskommission eingesetzt mit Giorgio Tuti, dem Präsidenten der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV), und mit Vania Alleva, der Präsidentin der Unia. Diese markieren gegen aussen Gelassenheit: Man wolle sich mit der Kandidatensuche Zeit lassen, wenn nötig bis kurz vor Beginn des Kongresses am 30. November, sagt Tuti.
Pardini verzichtet
Doch hinter den Kulissen sind dieser Tage Vorentscheide gefallen: Der Berner SP-Nationalrat und führende Unia-Gewerkschafter Corrado Pardini nimmt sich selber aus dem Rennen. In einem Schreiben an den SGB, das dieser Zeitung vorliegt, argumentiert Pardini: «Politische Wirksamkeit für unsere Anliegen und gesellschaftlichen Fortschritt entfalte ich im Parlament und seinen Kommissionen, wie die beiden vergangenen Legislaturen belegen.» Besonders wirksam sei seine Arbeit dort, wo sie «in der direkten Konfrontation mit den Arbeitgebern» stattfinde. Darum sei er «nicht Kandidat für das SGB-Präsidium». Was Pardini nicht schreibt: Gegen ihn gab es Widerstände. Selbst in Gewerkschaftskreisen hat er wegen seiner konfrontativen Art nicht nur Freunde. Und Pardini dürfte auch gespürt haben, dass er intern einem anderen prominenten Unia-Vertreter unterliegen könnte: Pierre-Yves Maillard.
Der Waadtländer SP-Regierungsrat gibt sich auf Anfrage zwar noch bedeckt. Im Moment gebe es nicht viel zu sagen, teilt Maillard knapp mit. Sein Bewerbungsschreiben für das SGB-Präsidium hat er im letzten Jahr aber öffentlich eingereicht. In einem Interviewband sagte der 50-Jährige damals auf die Frage, ob er an die Nachfolge von Paul Rechsteiner denke: «Ich habe vor der Zeit als Politiker unterrichtet und war gewerkschaftlich aktiv. Es hat mir Spass gemacht.» Die Vorliebe für die Gewerkschaftsarbeit habe er nicht verloren. «Es ist eine raue Welt, wo Kräfteverhältnisse sichtbar werden, aber für einen Linken spielt sich da Entscheidendes ab, im Herzen der Verteidigung der Arbeitswelt.»
Die ideale Kandidatur wäre eine Frau aus der lateinischen Schweiz.
Jetzt, da Rechsteiner tatsächlich Platz macht, sei Maillard «sehr interessiert», heisst es in seinem Umfeld. Für Maillard spricht, dass er eine der strategisch und rhetorisch stärksten Figuren ist, welche die Schweizer Linke seit dem Kalten Krieg hervorgebracht hat. Er war in jungen Jahren Gewerkschaftssekretär und Nationalrat, ist Unia-Mitglied und nun seit 14 Jahren Regierungsrat; 2011 kandidierte er gegen Alain Berset für den Bundesrat. Sollte Maillard Präsident werden, würde er als Regierungsrat demissionieren und im Oktober 2019 aller Voraussicht nach erneut für den Nationalrat kandidieren. Dass er gewählt würde, ist so gut wie sicher.
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Darf es auch ein Mann sein?
Maillard hat jedoch das falsche Geschlecht. Das Kandidatenprofil scheint zwar nicht klar fixiert. «Wir suchen nach einer Persönlichkeit mit politischem Gewicht, die fest in die Gewerkschaftsbewegung integriert ist. Ein Sitz in National- oder Ständerat ist sicherlich kein Nachteil», so Tuti. Es gibt bei den Gewerkschaften aber Erwartungen, dass Frauenkandidaturen in Erwägung gezogen werden.
Katharina Prelicz-Huber, die Präsidentin des VPOD, wird deutlich: «Wenn es eine valable Kandidatin gibt, wäre es Zeit für eine Frau.» Hinter den Kulissen heisst es: Die ideale Kandidatur wäre eine Frau aus der lateinischen Schweiz. Die erste und bisher einzige Frau an der SGB-Spitze war die Genferin Christiane Brunner, die das Präsidium von 1994 bis 1998 mit Vasco Pedrina teilte.
Zwar keine Lateinerin, aber als Kandidatin im Gespräch ist Regula Rytz, frühere SGB-Zentralsekretärin und jetzt Parteichefin der Grünen. Doch auf Anfrage sagt jetzt auch Rytz ab. «Es war ein schwieriger Entscheid», so Rytz, aber sie wolle die erfolgreiche Parteiarbeit in den nächsten zwei Jahren weiterführen.

Im Rennen hält sich dafür Barbara Gysi – und wie Maillard hält sie sich bedeckt. Sie sei «noch in der Entscheidphase», es gebe noch «ein paar offene Fragen». Die 54-jährige St. Galler SP-Nationalrätin ist gleich dreifach gewerkschaftlich verankert: Schon früh wurde sie VPOD-Mitglied; heute präsidiert sie den Gewerkschaftsbund des Kantons St. Gallen sowie den Bundespersonalverband. Ihr Handicap: Sie kommt aus dem gleichen Kanton wie Rechsteiner.
Die Überraschungsfrau
Während Gysi schon kurz nach Rechsteiners Rücktrittsankündigung ins Spiel kam, blieb eine weitere mögliche Kandidatin bisher unter dem Radar: Marina Carobbio. Als Mitglied des VPOD, als Lateinerin und als Nationalrätin erfüllt die 52-jährige Tessiner Ärztin das informelle Anforderungsprofil beinahe perfekt. Und sie scheint beim SGB mächtige Fürsprecher zu haben. Denn Carobbio hat sich nicht selber ins Spiel gebracht. «Ich wurde kontaktiert», sagt sie auf Anfrage. Auf die Frage, ob sie denn interessiert sei, sagt Carobbio, das werde sich «in den nächsten Wochen klären». Carobbio hat jedoch ein Luxusproblem: Eigentlich soll sie am 26. November zur Nationalratspräsidentin gewählt werden – just vier Tage vor der Präsidiumswahl im SGB.

Kontaktiert wurde auch der SP-Nationalrat Mathias Reynard (VS). Der erst 30-jährige Präsident des Walliser Gewerkschaftsbunds bestätigt: «Ich bin interessiert.» Auf den Einwand, sein Alter könnte gegen ihn sprechen, antwortet er: «Ich bin seit sieben Jahren in Bern und komme aus einem Kanton, in dem man als Gewerkschafter sehr kämpferisch sein, aber auch Kompromisse suchen muss.»
Trotzdem dürfte Reynard höchstens Aussenseiterchancen haben – und sich so vielleicht als übernächster SGB-Präsident empfehlen: als Nachfolger von Barbara Gysi, Marina Carobbio oder Pierre-Yves Maillard also.
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