Ein Ministerpräsident auf der Flucht
Mit seiner Ausreise hat Puigdemont seine politischen Gegenspieler in Madrid zum dritten Mal genarrt: Wie sich Carles Puigdemont und seine Regierung nach Brüssel abgesetzt haben.
Am Montag schrieb der berühmte katalanische Sänger und Schriftsteller Lluís Llach wohl seinen meistbeachteten Text. Llach, Unabhängigkeitskämpfer der ersten Stunde und nebenbei Abgeordneter des Bündnisses «Junts pel Sí», postete, dass der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont und fünf seiner Minister in Brüssel seien. Dabei wähnte man sie in ihren Büros, wo ihnen die neue Verwaltung unter der Führung Madrids am Montag Zeit zum Packen ihrer Unterlagen gab.

Vor dem Regierungsgebäude in Barcelona standen einsatzbereite Fahrzeuge der lokalen Polizei Mossos d'Esquadra, auch sie neuerdings von Madrid aus geleitet.
Bürofoto auf Instagram
Puigdemont hatte bloss ein Foto seines Büros auf Instagram gestellt und darunter «Bon dia» gewünscht. Er selber war inzwischen woanders. Zusammen mit dem am Freitag ebenfalls abgesetzten Innenminister, der Arbeitsministerin, dem Gesundheitsminister, der Landwirtschaftsministerin und der Kanzleichefin war er in einer Delegation nach Brüssel unterwegs: Drei aus der gemässigt-bürgerlichen PDeCat, drei aus der linksnationalen Partei ERC – eine letzte Erinnerung an das von Madrid abgesetzte Regierungsbündnis. Laut Llach sollen die sechs in Brüssel eine provisorische Regierung im Exil bilden, das wird Belgien nicht zulassen.
Am Tag zuvor hatte Theo Francken, der belgische Staatssekretär für Migration, den katalanischen Politikern immerhin Asyl angeboten. Francken hat als Mitglied der flämischen Nationalistenpartei N-VA Sympathie für regionale Sezession. Zwar widersprach ihm später Regierungschef Charles Michel, aber Belgien wird in Katalonien längst als Asylort für verfolgte Politiker diskutiert. Schliesslich war Michel der einzige Ministerpräsident, der am jüngsten EU-Gipfel Verständnis für die katalanische Seite gezeigt hatte.
Bilder: Der katalanische Ministerpräsident Puigdemont
Mit seiner Ausreise hat Puigdemont seine politischen Gegenspieler in Madrid zum dritten Mal genarrt. Und vielleicht zum ersten Mal mit Erfolg: Zuvor hatte weder die mit List durchgeführte illegale Abstimmung vom 1. Oktober noch die nur symbolisch erklärte Unabhängigkeitserklärung Wirkung gezeigt. Spanien geriet international nicht unter Druck, die EU hütete sich vor einer Einmischung.
Nach der dritten List Puigdemonts wird das schwierig. Wenn sich bestätigen sollte, dass er, die vier Minister und die Kanzleichefin in Brüssel Asyl beantragen werden, dann wird Brüssel im doppelten Sinn nicht um eine Entscheidung herumkommen: Belgiens Regierung wird in einem Asylverfahren abklären müssen, ob Puigdemont und seinen Mitstreitern Asyl zusteht. Der spanische Staatsanwalt José Manuel Maza gab gestern in Madrid die Eröffnung der Strafuntersuchung gegen Regierung und führende Parlamentsmitglieder bekannt: Den obersten Verantwortlichen für die verfassungswidrige Abstimmung vom 1. Oktober droht eine Anklage wegen Rebellion, Aufstand und Veruntreuung öffentlicher Gelder.
Bilder: Umstrittenes Votum
Die spanische Zentralregierung wird Mühe haben, diese Delikte als unpolitische Akte darzustellen und darauf setzen, dass Spanien als «safe country» gilt. Für den Moment ist sie aber nicht unglücklich, dass Puigdemont und einige seiner Mitstreiter nun ausser Landes sind. Andere sind geblieben, unter ihnen der abgesetzte Vizepräsident Oriol Junqueras, Nummer 2 der katalanischen Regierung. Ihm droht ebenfalls eine Anklage. Die ERC wird sich wie die bürgerlich-nationale Partei PDeCat und wohl auch die Anti-Kapitalisten von der CUP an den Wahlen vom 21. Dezember beteiligen, obwohl sie unter der Kuratel Madrids stehen. Damit würden die Parteien den «Bundeszwang» nach Artikel 155 der spanischen Verfassung anerkennen.
Die List der Gegner
Bis dann wird auch die Europäische Union Stellung nehmen müssen, für wie politisch sie den Konflikt Kataloniens mit Spanien hält. Die EU wird sich mit Belgien auf eine gemeinsame Linie einigen müssen, denn es ist damit zu rechnen, dass weitere katalanische Politiker Spanien verlassen werden, etwa über die Grenze nach Frankreich. Jedem und jeder der 70 Ja-Stimmenden an der Parlamentssitzung vom Freitag droht eine Anklage wegen «aufrührerischen Verhaltens». Zwar war diese Abstimmung geheim. Aber die Mehrheit der Gegner hatte den Parlamentssaal bewusst vor der Abstimmung verlassen, einzelne verbliebene Gegner der Unabhängigkeit hielten ihre Nein-Zettel demonstrativ in die Kamera. Sie werden nicht ausreisen müssen.
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