«Ein paar Befehlszeilen herumschieben, das reicht nicht»
Martin Lehmann bildet Informatiklehrer aus. Der Professor sagt, wie an den Gymnasien in Zukunft unterrichtet werden sollte.

Die Entwicklung läuft schnell. Kann Informatik so unterrichtet werden, dass den Schülern das Gelernte auch in zehn Jahren noch etwas bringt?
Das ist die grosse Aufgabe. Kein anderes Fach ist so stark mit einem derartigen Dilemma zwischen kurzfristiger Aktualität und langfristigem Nutzen konfrontiert. Aus meiner Sicht ist klar, dass der Unterricht auf den zweiten Punkt ausgerichtet werden muss. Es macht zum Beispiel keinen Sinn, dass wir den Schülern zeigen, wie man Facebook bedient, nur weil das gerade aktuell ist. Aber es gibt gewisse Strukturen, die allen Netzwerken oder Datenbanken zugrunde liegen, die sich seit Jahrzehnten nicht geändert haben. Die muss man erklären.
Und so wird an einem typischen Gymnasium Informatik unterricht?
Die meisten Kantone bieten heute leider nur eine kleine Anwenderschulung an. Da wird erklärt, wie man Word und Powerpoint braucht oder wie man ins Netzwerk der Schule kommt. Damit hat es sich. Eigentliche Informatik gibt es typischerweise nur als Spezialisierung für Interessierte im Ergänzungsfach. Das ist ein unbefriedigender Zustand. Eine Informatik-Grundbildung brauchen alle.
Aus Anwendern sollen also Programmierer werden?
Nein, wir wollen nicht Programmierer ausbilden. Es ist aber klar, dass es einen Paradigmenwechsel braucht. Wir müssen damit aufhören, reine Anwender auszubilden. Wir müssen Wissen vermitteln, das es den Schülern später im Leben erlaubt, sich möglichst schnell mit Neuem vertraut zu machen. Wenn die Schüler zum Beispiel verstehen, was mit Datenbanken möglich ist und wie mächtig solche Instrumente werden können, dann steigt auch ihr Verständnis für die Probleme des Datenschutzes.
Und was ist mit Programmieren?
Klar, Programmieren soll ein Thema sein. Aber auch hier gilt: Ein paar Befehlszeilen herumschieben, ist nicht das, was wir wollen. Das wäre wieder der anwendungsorientierte Ansatz. Es soll darum gehen, dass die Schüler verstehen, was mit Programmieren möglich ist, wie das im Grundsatz funktioniert, wie man Lösungen findet.
Wie viel Unterricht ist nötig, um zu erreichen, was Sie gerade beschrieben haben?
Es braucht vier sogenannte Jahreswochenlektionen. Das wären zum Beispiel während zwei Jahren je zwei Lektionen pro Woche. Vorteilhaft finde ich zudem, wenn der Unterricht schon in den ersten Jahren am Gymnasium stattfindet. So würde das Gelernte später in anderen Fächern zur Verfügung stehen.
Wer unterrichtet heute Informatik?
Wir an der Pädagogischen Hochschule Bern bilden Leute aus, die vorher ein Informatikstudium als Haupt- oder Nebenfach abgeschlossen haben. So kann eine Mathematiklehrerin, die im Nebenfach Informatik studiert hat, diese mit der fachdidaktischen Zusatzausbildung auch unterrichten. Diese Leute wären in der Lage, die Stützen eines neuen Grundlagenfachs Informatik zu bilden.
Es sind aber viel zu wenige. Können innert weniger Jahre genug neue Lehrer ausgebildet werden?
Sobald der Entscheid für das neue Fach definitiv ist, muss ein Spezialausbildungsprogramm gestartet werden. Wir haben Erfahrung damit: Im kleineren Rahmen musste ähnlich reagiert werden, als vor einigen Jahren das Ergänzungsfach Informatik eingeführt wurde. Natürlich müsste man in einer Übergangsphase auf interessierte Physik- oder Mathematiklehrer zurückgreifen. Aber auch die müssen geschult werden. Es darf nicht sein, dass Personen ohne entsprechende Ausbildung auf die Schüler losgelassen werden.
Wie viele zusätzliche Leute braucht es für vier Jahreswochenlektionen?
Zahlen kann ich nicht nennen. Ich weiss nicht genau, wie viele Lehrer bereits die Ausbildung für das Ergänzungsfach Informatik gemacht haben. An allen Gymnasien gibt es aber schon Informatiklehrer, und die meisten haben nur ein Teilpensum. Hier ist also Potenzial vorhanden. Wir brauchen aber zusätzlich doppelt so viele Lehrer. Das wird nicht einfach. Aber nur darum darauf zu verzichten, das Fach zu verbessern, wäre falsch.
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