Film-Highlights der WocheEin Schweizer Paar gerät in die Fänge der Taliban
Michael Steiner hat einen Fall verfilmt, der die Schweizer Öffentlichkeit bewegte. Dazu empfehlen wir eine Doku über Missbrauch und einen Mysteryfilm.

Und morgen seid ihr tot
Thriller von Michael Steiner, CH/D 2021, 115 Min.
«Die Schweiz hat die dümmsten Geiseln der Welt», titelte der «Blick». Und der «Tages-Anzeiger»: «Sorry, wir haben kein Bedauern.» Die ehemaligen Polizisten Daniela Widmer und David Och reisten 2011 mit dem Kleinbus durch Pakistan, als sie von einer kriminellen Bande entführt und an die Taliban verkauft wurden. Monatelang blieben die beiden in Gefangenschaft, während die Schweiz über die Freilassung verhandelte. Im März 2021 gelang dem Duo die Flucht. Daheim jedoch wurde ihre Version der Geschichte angezweifelt, die Rückkehrenden ernteten Spott und Kritik. Wer nach Pakistan fährt, ist selbst schuld, so das Urteil der Öffentlichkeit.
Regisseur Michael Steiner kämpft mit seinem Film gegen diese Sicht, setzt seine eigene Version dagegen – ähnlich wie bei seinem früheren Film «Grounding: Die letzten Tage der Swissair». «Und morgen seid ihr tot» rückt einige Details gerade, erklärt zum Beispiel, dass Widmer und Och weitab des Taliban-Gebiets unterwegs waren, als sie entführt wurden.
Davon abgesehen ist der Film einfach ein packender Thriller, und die Dynamik des Paares ist sorgfältig herausgearbeitet: Unter dem Stress leidet die Beziehung der beiden, trotzdem sind sie aufeinander angewiesen. Morgan Ferru und Sven Schelker in den Hauptrollen spielen das sehr glaubwürdig. Nur die Szenen in der Schweiz, wo die Eltern bangen und die Schweizer Beamten verhandeln, haben öfter eine unfreiwillige Komik. (ggs)
Arena, Arthouse Alba, Capitol, Kosmos
Burning Memories
Dokumentarfilm von Alice Schmid, CH 2021, 80 Min.
Mit sechzehn Jahren wurde Alice Schmid von ihrem Schwimmlehrer in einem Lager vergewaltigt. Sie hat das lange Zeit vergessen, aber als sie fünfzig Jahre später das Gemälde «Pubertät» von Edvard Munch sieht, bahnt sich die schmerzliche Erinnerung zurück in ihr Gedächtnis.
Die Regisseurin («Die Kinder vom Napf») reist daraufhin nach Südafrika in die Wüste. Wir beobachten sie dabei, wie sie malt, schreibt, musiziert und wandert. Diese Bilder wirken etwas trivial, aber die poetischen Reflexionen von Schmid aus dem Off machen den Film gewaltig und persönlich. «Burning Memories» kommt ohne Wut aus. Schmid erhebt keine Anklage, sondern geht der Frage nach, warum sie geschwiegen und verdrängt hat. Und wie kommt es, dass sie in all ihren Filmen Themen wie Missbrauch und Gewalt nachging, ohne an ihr eigenes Erlebnis zu denken?
Die Filmemacherin steht zum ersten Mal selbst vor der Kamera und erzählt von ihrer Kindheit, von der Mutter, die sie täglich schlug, vom Vater, der nichts dazu sagte, und eben von jener Nacht im Lager. Die Botschaft ist deutlich: Es ist nie zu spät, das eigene Schweigen zu brechen. (lab)
Riffraff
Lamb
Mystery von Valdimar Jóhannsson, Isl/Sd/Pol 2021, 106 Min.
Island und seine Schafe sind schon fast ein eigenes Filmgenre. Es gab unter anderem den wunderbaren «Rams» (isländisch für Widder), jetzt kommt das «Lamm». Im Erstling von Valdimar Jóhannsson rackert sich ein Bauernpaar im gottvergessenen Hinterland ab. Der Film ist karg und doch wunderschön wie die Landschaft, in der er spielt. Es ist ein Sozialdrama, ein Horrorfilm, aber vor allem eine Liebesgeschichte. Und ja, es gibt viele Schafe.
In der Hauptrolle brilliert Noomi Rapace, die als Lisbeth Salander in den schwedischen Krimiverfilmungen bekannt wurde und dann Hollywoodkarriere machte. Hier besinnt sie sich auf ihre isländischen Wurzeln. (ml)
Riffraff
Die Ibiza-Affäre
Miniserie von Christopher Schier, A 2021, 4 Folgen
Zu wahr, um erfunden zu sein. Diesen Claim stellt Sky zu seiner Serie «Die Ibiza-Affäre» und trifft damit ins Schwarze. Der Politskandal mit dem auf der Baleareninsel mit versteckter Kamera aufgenommen Video war ja schon verrückt genug und führte 2019 zum Rücktritt des Rechts-aussen-Politikers Heinz-Christian Strache als österreichischer Vizekanzler. Die Spielfilm-Serie bringt jetzt Hintergründe, aber nicht etwa chronologisch, sondern in einem wilden Mix aus Zeitsprüngen, Erklärungsvideos (einmal mit einem Kasperli!) und Wiener Schmäh. Das ist nicht immer sofort nachvollziehbar, aber oft lustig, manchmal traurig und stets entlarvend. Nicholas Ofczarek brilliert darin als eine Figur, die man in der Realität offensichtlich übersah: ein schmierig-nervöser Privatdetektiv und Drahtzieher mit nicht immer hehren Motiven. (ml)
Auf Sky
8 Hours of Horror – Vol. 2
Halloween ist ja eigentlich erst am Sonntag, der Horrorfilmmarathon im Riffraff startet aber schon in der Samstagnacht. Bis in die frühen Morgenstunden laufen vier Überraschungsfilme. Damit man das auch durchsteht, ohne einzuschlafen, gibts die ganze Nacht lang Gratiskaffee. Eine Zusammenarbeit des Vereins Never Watch Alone mit dem NIFFF (Neuchâtel International Fantastic Film Festival). (ggs)
Sa 30.10., 22.30 Uhr, Riffraff
Orient-Express-Filmtage
Dieses Filmfestival will den kulturellen Austausch zwischen Orient und Okzident unterstützen. Es fand letztes Jahr erstmals in Bern statt; dieses Mal gibts einen Ableger in Zürich. Im Programm läuft zum Beispiel «Sidik and the Panther», eine Doku über einen alten Kurden, der in den Bergen des Nordirak nach Schneeleoparden sucht. Im Liebesdrama «Love, Spells and All That» kehrt eine Frau auf eine türkische Insel nahe Istanbul zurück, wo sie in ihrer Jugend eine andere junge Frau liebte. (ggs)
Mi, 3., bis So, 7.11., Rote Fabrik, oeff.org
Yossi & Jagger
Drama von Eytan Fox, Isr 2002, 65 Min.
Das schwul-lesbische Filmfestival Pink Apple verleiht dem israelischen Regisseur Eytan Fox den Festival Award. Zur Verleihung wird «Yossi & Jagger» gezeigt, ein Drama um zwei homosexuelle Männer in der israelischen Armee. Da sie Offiziere im selben Zug sind, müssen sie ihre Beziehung geheim halten. (ggs)
Sa, 30.10., 18 Uhr, Filmpodium

Babylon
Drama von Franco Rosso, I/GB 1980, 94 min.
Die Reihe «Meta Hiphop» fragt nach den filmischen Bausteinen der Musikrichtung. «Babylon» etwa spielt im London von 1980. Hintergrund ist die Subkultur des Reggae, der sich gegen den Rassismus der britischen Gesellschaft stemmt; erzählt wird die Geschichte eines jungen Schwarzen, der versucht, als Musiker durchzustarten. Ein faszinierendes Zeitdokument mit einem fantastischen Soundtrack. (ggs)
Mi, 3., bis Fr, 5.11.; Mo, 29.11., bis Mi, 1.12., Xenix
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