Ein teuflischer Spass
Am Theater Neumarkt wirft Peter Kastenmüller Michail Bulgakows satirischen Roman «Meister und Margarita» auf die Bühne wie bunte Konfetti.

Hols der Teufel! – wird hier oft gesagt. Und zu Recht: Denn dann kommt Stimmung auf. Der Teufel ist nämlich ein wendig-windiger Typ in einem schwarzen Jackett mit weissen Schmetterlingen. Seine Zunge fliegt lässig von Akzent zu Akzent, vom englischen über den französischen bis zum hochdeutschen; und sein Geist federleicht vom Gottesbeweis Immanuel Kants zum Atheismus in Stalins Moskau. Er mischt die verlogene, verbogene Intelligenzija der russischen Kapitale auf – die sich zwischendurch auch mal in die Limmatmetropole verwandelt.
Und: Er beherrscht die Bühne des Neumarkt-Theaters, dreieinhalb Stunden lang. Vor diesem Fürsten der Finsternis verneigen wir uns alle gern. Jan Bluthardt, als Ex-Mitglied des Zürcher Schauspielhaus-Ensembles in bester Erinnerung, unterwirft seinem Spock-artigen Spukgeschöpf nicht bloss die ferne stalinistische Literatenszene, sondern auch das hiesige spätkapitalistische Publikum.
Wieso also hat Neumarkt-Chef Peter Kastenmüller sie in seinen gegenwärtigen Circus Maximus gehoben, die 600-seitige, höllische Satire von Michail Bulgakow (1891–1940), die posthum veröffentlicht und seither gefeiert, verfilmt, auf Opern- und Theaterbühnen gestemmt wurde? Die Antwort: weil ers kann. Kastenmüller zieht aus dem schillernden Bollwerk wider staatliche Unterdrückung, wider von oben verordnete Wahrheiten und von innen verderbende Feigheiten jene Bausteine heraus, aus denen sich eine flockige Theatersoiree mit kabarettistischem Pfiff und feuilletonistischem Andeutungsfuror bauen lässt. Leonard Cohen raspelt aus dem Off sein düsteres «You Want It Darker», derweil es auf der Bühne heller und fetziger wird.
Das Ensemble hext mit Lust
Der gescheiterte Dichter Iwan – ein verstrubbelter Miro Maurer in Unterwäsche –, der in der Psychiatrie gelandet ist, weil er vor dem Teufel warnen will, an den keiner glaubt, diskutiert mit dem gleichfalls internierten Romancier, dem «Meister», über unsere «Ära der Mittelmässigen». Simon Brusis gibt das verzweifelte Alter Ego Bulgakows mit einer Präsenz, als hätte er nicht noch zwei weitere Rollen zu bewältigen. Überhaupt hat die Lust, mit der das sechsköpfige Ensemble seine 14 Figuren herbeihext, etwas Verzauberndes. Mit einer ins Flapsige lappenden Nonchalance rechnen die beiden Patienten mit der gängigen «Yolo»-Philosophie («You only live once») ab, nehmen die Romantik aufs Korn, und ab geht der Film.
Auf der in Streifen geschnittenen Leinwand hat die Jeschua-Gestalt aus des Meisters «Pilatus»-Roman ihren grossen Auftritt: Sarah Sandeh als fiktionaler Jeschua ist von schier unglaublicher Sanftheit, wenn sie Pilatus das Ende aller Politik prophezeit. Später saust Sandehs Margarita – die Geliebte des verwirrten Meisters, die mit dem Teufel einen Pakt schliesst – magisch beflügelt in der Moskauer Nacht über die Moskwa. Ein wilder, witziger Ritt.
Dass zur Videocollage auch Vampirfilmpersiflagen, Katzenvideoclips und ein Konvolut an Filmzitatschnipseln gehören, ist klar bei einem, der sich so gut aufs kulinarische Mediensampling auf der Bühne versteht, wie Peter Kastenmüller (Video: Heta Multanen). Der Regisseur wagt auch beim – heutig übersetzten – Text freche Überschreibungen. So stellt der bürokratische Schriftstellerverein Wort für Wort den «Literaturclub» nach, wenn er über den «Pilatus»-Roman des Meisters streitet. Hanna Eichel ist unschwer als Elke Heidenreich zu erkennen, wie sie 2016 über Michelle Steinbecks Debüt herzog: «grauenhaft, ein Albtraum, ein Buch voller Ekel . . .». Auch Brusis Interventionen à la Thomas Strässle und Bluthardts Alain Sulzer mit seinem «Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom» sind sichere Lacher.
Interaktive Kartenspieltricks
Kurz: Kastenmüller treibt nicht nur Spässe mit den verschiedenen Realitätsebenen des Romans, inklusive interaktiven Kartenspieltricks, sondern er wirft übers Ganze noch einen Beutel voll aktueller Referenzen aus wie Konfetti. Das passt famos zum Buch, lässt die Chose allerdings derart irrlichtern, dass man ein wenig irre daran werden kann. Mancher Zuschauer strebte in der Pause dem Ausgang zu, weil er dachte, das Stück sei zu Ende; und das wäre tatsächlich möglich gewesen. Es ging dann aber doch weiter bis zu Pilatus' Freispruch und dem glücklichen Liebestod des Meisters und seiner Margarita. «Dein Schlaf ist in meiner Obhut», sagt sie – und wer früher schlafen ging, hat viel verpasst.
Bis 30. November.
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