Eine Brücke, die aus Büchern gebaut ist
Die Bibliothek Globlivres in Lausanne leiht seit 20 Jahren Bücher in 270 Sprachen aus. Für Einwanderer ist sie eine Verbindung zwischen Herkunfts- und Gastland.
Renens im Westen Lausannes ist ein Schmelztiegel der Kulturen. Angehörige von mehr als 100 Nationen leben in der ehemaligen Industriestadt. 10'000 ihrer 19'000 Einwohner besitzen keinen Schweizer Pass, obschon viele von ihnen in der Schweiz geboren sind.
Der Migrosmarkt im Stadtzentrum kennt die Vorlieben der multikulturellen Kundschaft; in seiner Lebensmittelabteilung sind mehr Zutaten für exotische Gerichte zu finden als anderswo. Nahezu universell ist das kulinarische Angebot in Renens jeweils am Samstagmorgen, wenn Verkaufsstände und Imbissbuden viel Volk auf die Place du Marché neben der Migros locken.
In der wenige Schritte entfernten Bibliothek Globlivres finden Kundinnen und Kunden ein Angebot an geistiger Nahrung vor, das noch reichhaltiger ist. 27'000 Werke in 270 Sprachen umfasst der gegenwärtige Bestand der ersten interkulturellen Bibliothek der Schweiz.
Vor zwanzig Jahren hatten eine Lehrerin und zwei Mütter aus Einwandererfamilien bescheiden angefangen, als sie in einer Wohnung eine Sammlung von Kinderbüchern in verschiedenen Sprachen anlegten. Die Gründerinnen wollten fremdsprachigen Kindern helfen, die Kenntnisse in Französisch und in ihrer Muttersprache zu verbessern.
Modell für 16 Bibliotheken
Der Trägerverein Livres Sans Frontières unterschätzte zu Beginn, wie gross in den zahlreichen Ausländergemeinden in Lausanne und Umgebung das Bedürfnis nach Büchern aus den Herkunftsländern, nach Lernhilfen fürs Französische und Wörterbüchern war. Bereits nach zwei Jahren lieh die Bibliothek auch Bücher für Erwachsene aus. Globlivres entwickelte sich zum Modell für die Gründung weiterer interkultureller Bibliotheken in der Schweiz. Der Verein Bücher ohne Grenzen Schweiz zählt inzwischen 16 solche gemeinnützige Institutionen.
Im Globlivres von Renens weisen Täfelchen an den Büchergestellen auf Sprachen hin, die man in einer herkömmlichen schweizerischen Bibliothek vergeblich sucht: «Albanisch», «Kurdisch», «Persisch», «Urdu», «Somali», «Tamilisch» oder «Tigrigna».
Aydin Durmaz ist Stammkunde, seit er 1990 als Asylbewerber nach Lausanne kam. Der in der Türkei aufgewachsene Kurde nutzte fast alles, was diese Bibliothek Familien von Immigranten zu bieten hat. «Ich habe Bücher und Kassetten ausgeliehen, um Französisch zu lernen», erinnert sich Durmaz an die Anfänge. Zudem habe er seine Kurdischkenntnisse stark verbessert. Seine Muttersprache war eben in der Türkei geächtet, als er noch dort lebte.
«Das hilft bei der Integration»
Der Angestellte der Lausanner Verkehrsbetriebe nahm später die beiden Töchter von klein auf mit in die Bibliothek. «Wenn Kinder durch die Bücherreihen spazieren, weckt das ihre Neugier. Kinderbücher bereiten sie gut auf die Schule vor», ist Durmaz überzeugt. Stolz fügt der Familienvater hinzu: «Die Ältere hat alle Bücher gelesen, die es hier auf Türkisch und Kurdisch gibt.» Er schätzt die Bibliothek aber auch als Ort der Begegnung verschiedenster Kulturen. «Das hilft bei der Integration», sagt der im Waadtland eingebürgerte und verwurzelte Kurde.
Ursula Utz, die seit 15 Jahren im Globlivres mitarbeitet und dessen Trägerverein bis vor kurzem präsidierte, bestätigt diese Erfahrung. «Die Leute kommen nicht nur, um ein Buch auszuleihen. Sie wollen auch mit uns und anderen Lesern über ihre Erlebnisse und Sorgen sprechen. Wir fördern diesen Austausch und die Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Welten», sagt sie. Die Bibliothek setzte sich zum Ziel, «eine Fussgängerbrücke zwischen den Herkunftsländern und dem Gastland zu bauen». Mit mehr als 4000 Kundinnen und Kunden sowie 24'000 ausgeliehenen Titeln pro Jahr wird diese kulturelle Brücke in Renens rege benutzt.
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