Eine bunte Mischung aus Konsum, Kitsch und Kunst
Mit ausgestellten Einkaufstüten von Chanel und Prada machte sie zuerst von sich reden. Nun widmet das Mamco Genf Sylvie Fleury eine grosse Retrospektive.
Wenn Sylvie Fleury ruft, dann strömen sie herbei: Presseleute, vorwiegend Frauen, aber auch coole Jungs, scharen sich um die 47-jährige Genferin, die mit Haarschnitt im Stil der Sechzigerjahre, schwarzen Jeans und Kapuzenpullover ihrem Image als luxuriöses Fashion-Victim kaum noch zu entsprechen scheint. Ein Ereignis bleibt sie allemal. Aufsehenerregende Einzelausstellungen der Installationskünstlerin waren schon früher zu sehen, etwa 1996 im Genfer Mamco (Musée d`art moderne et contemporain) selbst, 1998 im Migros-Museum Zürich oder 2001 im Museum für neue Kunst/ZKM in Karlsruhe.
So prominent wie dieses Jahr in Genf wurde ihr `uvre aber noch nie aufgezogen. Zu ihrer grossen Retrospektive mit rund 200 Arbeiten auf über 3000 Quadratmetern meint die Künstlerin: «Enfin, c`est pas une rétrospective. Je mélange tout.» Eigentlich sei diese auf vier Stockwerke verteilte Schau keine Retrospektive. Sie mische alles, spiele mit den Elementen. So gäbe es Arbeiten und Themen, die sie immer wieder aufgreife und neu kombiniere. Nebst zahlreichen Kunstzitaten von Donald Judd über Daniel Buren bis Jackson Pollock – es heisst, Sylvie Fleury konsumiere Kunstzeitschriften wie teure Modehefte – bedient sie sich vorzugsweise der Männerbastion Auto: Chevrolets, Lowriders, Amischlitten.
Mode, Motoren und Auratisches
Sylvie Fleury steht mitten in der Rauminstallation «She-Devils on Wheels», der weiblichen Version einer Autowerkstatt, wie sie an Un-Orten in der Agglomeration («comme par exemple à Dübendorf») anzutreffen ist: kopflose Schaufensterpuppen in Motorradanzügen, volle Aschenbecher auf dem überladenen Bürotisch, unpersönliche Aluschränke, die grauslige Wanduhr einer Motorenölfirma, synthetische Sitzfelle und wie zufällig hingelegt, eine grün-weisse Tafel. «Race in progress» steht darauf. Das Lebensmotto passionierter Autofreaks – bei Sylvie Fleury ein real existierender weiblicher Autoverein – scheint nicht nur den Wettkampf auf der Strasse und im Leben zu parodieren. Es erinnert auch an das kunsttheoretische Prinzip des «Work in progress», das die Avantgarde seit den frühen 70er-Jahren verinnerlicht hat und das auch auf die Genfer Vertreterin der Pop- und Appropriation-Art zutrifft.
Die etwas umständlich betitelte Schau «Paillettes et dépendances ou La fascination du néant» (wörtlich: Pailletten und Abhängigkeiten oder Die Faszination des Nichts) weist drei thematische Konstanten auf: Mode, Maschinen und extraterrestrische Phänomene. Und genauso wie Kurator Christian Bernard die unbezähmbare Fülle von Material weder chronologisch noch thematisch ordnen mag, so unbekümmert darf man sich im stilisierten Warenkorb der Künstlerin bedienen. Autowracks in Nagellackfarben, Highheels auf fellüberzogenen Sockeln, monochrome Bilder im Swarovski-Glanz, Raketen in Lippenstiftfarben, knallig beleuchtete Grotten und goldene Autoreifen bilden eine bunte Mischung aus Konsum, Kitsch und Kunst. High und Low werden respektlos durcheinandergewirbelt.
Man schreitet über perlmuttern schimmernde Catwalks, bricht aus dem goldenen Käfig aus, streicht heimlich über die mit weissem Kunstfell überzogenen Raketen und staunt über den monatlichen Output von Glanzheften mit Tipps zu Taille, Teint und Sex-Secrets. Verschnaufpause. Die im Treppenhaus hängenden zentnerschweren Wunschpendel, witzig kombiniert mit Aufforderungen aus der Kosmetikwelt wie «purify» oder «hydrate», zielen auf den Besucher, der in all dem Konsumrausch auf sein geistiges Ich zurückgeführt werden soll.
Genderstudies oder Werbespots?
Eine von Mercedes-Benz in Auftrag gegebene Videoreihe stellt die Geschlechterrolle im Allgemeinen und jene an Autosalons im Speziellen in Frage. Frauen in dunklen Anzügen und Stöckelschuhen sitzen gelangweilt in einer Autowerkstatt und picken Kuchenhäppchen aus einem Raddeckel. Gleichzeitig massiert und poliert eine Automechanikerin in klinisch weissem Übergewand hingebungsvoll die Kühlerhaube eines Cabriolets. Parodierte Männerfantasien, witzig formulierte Genderfragen oder purer Werbespot?
Und in einem vom Modehaus Chanel georderten, packenden Roadmovie steigen drei Amazonen in Lederkombis von ihren Motorrädern, ballern mit Gewehr und Pistole auf Handtaschen der Pariser Edelmarke. Aus den Magazinen, welche die Frauen mit cooler Geste leeren, purzeln in Zeitlupentempo Kosmetikstifte wie Patronenhülsen. Absage an femininen Luxus oder Unterwanderung der Edelmarke?
Keine Berührungsängste
Zu den Widersprüchen in Sylvie Fleurys Warenwelt gehört, dass sie keine Berührungsängste zu Luxus, Werbelogos und Labels kennt, diese gleichzeitig aber auch in Frage stellt. Die Autodidaktin, die ursprünglich als Fotografin für den Konzeptkünstler John Armleder arbeitende Genferin verfügt über eine unbändige Lust am Kitsch, über einen bekennenden Hang zu Luxus und über eine gute Portion Witz. Ihr deswegen eine «kritische» Haltung abzusprechen, wäre ungerechtfertigt, aber auch nicht ganz von der Hand zu weisen. So kippen die zahlreichen Kunststoffpilze oder ihr Selbstporträt als pilotierende Biene Maja, eine ganz neue Arbeit, gefährlich ins Belanglose oder Dekorative.
Ob sich die Sehnsüchte der Menschen, die im Besitz von Luxusgütern oder in den Heilslehren der Esoterik ihr Glück suchen, sich in den Objekten selbst manifestieren, bleibe dahingestellt. Dass sie, gerade weil sie der Konsum- und Modewelt entspringen, ein Verfalldatum haben wie die berühmten Shopping Bags, gleichzeitig aber auch dauerhaft Gültiges über den Zustand einer Gesellschaft aussagen, ist bemerkenswert, einer Gesellschaft notabene der höchsten Preisklasse. Sylvie Fleury freilich sieht das nicht so eng. «C`est la vie» steht irgendwo auf einer Wand im Mamco geschrieben. Es ist die Erkenntnis eines Parfümherstellers.
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