Eine Expertin für künftige Krisen
Gita Gopinath wird mit 46 Jahren die erste Chefökonomin des Internationalen Währungsfonds. Wer ist die Inderin und welche Herausforderungen erwarten sie?

Erstmals in seiner Geschichte hat der Internationale Währungsfonds (IWF) eine Frau zur Chefökonomin ernannt. Ab Jahresbeginn 2019 wird das die 46-jährige indisch-amerikanische Doppelbürgerin Gita Gopinath sein. Sie löst den Amerikaner Maurice Obstfeld ab, der dieses Amt seit Herbst 2015 innehat.
Eine Frau steht mit der Französin Christine Lagarde auch an der Spitze des Währungsfonds. Als Lagarde die neue Chefökonomin am Montag präsentiert hat, lobte sie Gopinath in den höchsten Tönen: «Gita ist eine der herausragendsten Ökonominnen weltweit», erklärte sie.
Expertin ist Gita Gopinath genau in jenen Gebieten, die für den Währungsfonds aktuell eine besonders grosse Bedeutung haben: Im Vordergrund stehen die internationalen Handelsbeziehungen und dabei vor allem die Rolle von Zöllen und Währungen. Neben der Sorge vor einem weiter eskalierenden Handelskrieg beschäftigt den IWF aber auch die Angst vor einer erneuten Währungskrise gleich in einer Reihe von Schwellenländern. Der jüngste Währungszerfall in Argentinien und der Türkei könnte der Vorbote dafür sein.
Die passenden Kompetenzen
Gopinath hat sich besonders intensiv mit Währungskrisen in Schwellenländern befasst, aber auch mit der Rolle des Dollars als internationale Leitwährung, mit Finanzkrisen und mit der Funktionsweise einer Währungsunion. Keine andere Krise hat im laufenden Jahrzehnt den Währungsfonds mehr beschäftigt als jene der Eurozone.
Die neue IWF-Chefökonomin wurde am 8. Dezember 1971 in Mysuru, im südindischen Bundesstaat Karnataka, in ein Elternhaus geboren, das dem Kommunismus nahe stand. Sie studierte zuerst in der Hauptstadt Delhi Wirtschaftswissenschaften und führte dann in den USA ihre Studien fort. Ihr Doktorat (PhD) erlangte sie schliesslich an der Eliteuniversität Princeton. Einer ihrer Doktorväter war Kenneth Rogoff – einst selbst Chefökonom des Währungsfonds. Ein anderer Doktorvater war Ben Bernanke, der durch seine Rolle als Chef der US-Notenbank während der Finanzkrise bekannt geworden ist. Über Gita Gopinath sagte Bernanke, sie sei «mit Sicherheit eine der stärksten und vielversprechendsten Studentinnen gewesen, mit der ich je zusammengearbeitet habe.»
Für die Politik des IWF spielen die Ökonomen nicht die Hauptrolle. Dennoch haben sie einen grossen Einfluss auf die wirtschaftlichen Dogmen nicht nur beim Fonds. In den 2000er-Jahren war ihre Forschung mitverantwortlich dafür, dass die zuvor hochgehaltene Doktrin, gemäss der offene Kapitalmärkte immer für alle das Beste sind, infrage gestellt wurde. Rhaguram Rajan, ebenfalls Inder mit Universitätskarriere in den USA und Chefökonom des Fonds von 2003 bis 2007, war einer der frühesten und prominentesten Warner vor den Übertreibungen bei den Banken, was ihm damals von führenden Politikern übel genommen wurde. Später wurde er Chef der indischen Notenbank.
Den grössten bisherigen Einfluss hatte dann der Franzose Olivier Blanchard, der von September 2008 bis September 2015 unüblich lange als Chefökonom amtierte. Wenige andere Ökonomen hatten mehr Anteil daran, lange hochgehaltene Dogmen der Zunft über Bord zu werfen und neue Fragen zu stellen. Berühmtheit und grösste Aufmerksamkeit haben unter seiner Führung vor allem die analytischen Kapitel der halbjährlichen IWF-Berichte erhalten.
Inderin sein reicht nicht
So haben die IWF-Ökonomen schon früh mit ihrer Forschung gezeigt, dass die Politik des harten Sparens in der Eurozone die Krise nicht löst, sondern noch weiter verschärft. Das stand im Widerspruch zur Politik des Fonds, der die so kritisierte Politik selbst verfolgt hat. Dafür erntete der IWF später massive Kritik von der eigenen unabhängigen Aufsicht. Es waren auch die Ökonomen des Fonds, die auf die negativen ökonomischen Folgen einer wachsenden Ungleichheit aufmerksam gemacht haben.
Die neue Chefökonomin dürfte diese Tradition der Chefökonomen fortsetzen. Dass sie aus Indien stammt, besänftigt vielleicht auch die internen Kritiker beim IWF. Sie monieren seit Jahren, dass die Schwellenländer ein zu geringes Gewicht im Fonds einnehmen. Dominiert wird er nach wie vor von den USA. Kommt dazu, dass deren aktueller Präsident Donald Trump nicht gerade als Förderer von internationalen Organisationen wie dem Fonds gilt. Die Wahl von Gita Gopinath allerdings reicht nicht aus, um dieses strukturelle Problem des IWF zu lösen.
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