«Eine Frau ist für euch nur gut, wenn sie eurem Bild entspricht»
Die Linke fördert Frauen, die Rechte verhindert sie: Stimmt das wirklich? Ein Streitgespräch über Rollenbilder – mit unerwarteten Bekenntnissen.
Frau Keller-Sutter, Ihre politische Karriere könnte schon bald mit einem Sitz im Bundesrat gekrönt werden. Haben Sie sich je anders behandelt gefühlt, weil Sie eine Frau sind?
Karin Keller-Sutter: Ja, sicher. Frauen werden in der Politik genauer beobachtet. Ich wurde mit 36 Jahren Regierungsrätin. Hätte ich meine Leistung nicht erbracht, wäre das von der Öffentlichkeit nicht akzeptiert worden. Wenn eine Frau in einer Spitzenposition Fehler macht, dauert es nicht lange, bis an ihrem Sitz gerüttelt wird. Von meinen Regierungsratskollegen und Departementsmitarbeitern habe ich mich aber als Frau nie anders behandelt gefühlt.
Und Sie, Frau Rytz?
Regula Rytz: Ich kann das bestätigen. Frauen werden stärker beobachtet, sie müssen sich härter durchsetzen als Männer. Allerdings politisiere ich bei den Grünen in einem ganz anderen Klima als Frau Keller-Sutter. Wir sind Pionierinnen, wenn es um die Gleichstellung von Mann und Frau geht. So hatten wir zum Beispiel als erste Partei eine Präsidentin, und fast alle Parteiämter werden geschlechterparitätisch besetzt. Rund die Hälfte unserer Vertreter in Regierungen und Parlamenten sind Frauen.
Frau Keller-Sutter, Sie haben 2010 für den Bundesrat kandidiert. Hat es nicht geklappt, weil Sie eine Frau sind?
Keller-Sutter: Nein. Jede Bundesratswahl hat ihr Narrativ, ihr Drehbuch. Und entweder ist man als Hauptdarstellerin dafür geeignet oder nicht. Bei der Bundesratswahl 2010 wollte man einen Unternehmer, deshalb wurde Johann Schneider-Ammann gewählt. 2015 sollte die SVP einen zweiten Sitz erhalten, diesmal ging es um den Tessiner Anspruch.

«Der Begriff Frauenförderung stört mich extrem, denn er ist defizitorientiert – als würden es Frauen aus eigener Kraft nicht schaffen.»
Sie wären aber die fünfte Frau im Bundesrat gewesen – eine historische Premiere. Hatte das keinen Einfluss auf Ihre Chancen?
Keller-Sutter: Das wäre nur vorübergehend gewesen, man wusste ja bereits, dass Micheline Calmy-Rey bald zurücktreten würde.Rytz: Stimmt, die Frauenmehrheit war nach wenigen Monaten Geschichte. Frauen haben in der Schweiz ja einen enormen Rückstand. Wir waren die letzte moderne Demokratie, die das Stimm- und Wahlrecht für Frauen eingeführt hat. Bis 1988 das neue Eherecht in Kraft trat, war der Mann per Gesetz Oberhaupt der Familie und Frauen für den Haushalt zuständig. Sie mussten die Erlaubnis ihres Mannes einholen, wenn sie einen Kühlschrank kaufen wollten. Diese Prägung spürt man bis heute, auch in der starken Untervertretung der Frauen in Politik und Wirtschaft. Unsere Gesellschaft hat das noch nicht überwunden.
Warum sind die Ansprüche an Politikerinnen höher als an Politiker?
Cédric Wermuth: Das ist ein Symptom unserer patriarchalen, sexistischen Gesellschaft. Nehmen wir zum Beispiel die Bürgerzuschriften meiner SP-Kolleginnen: Was die sich alles an sexualisierter Gewalt anhören müssen! Das geht weit über das hinaus, was ich je an Drohungen erhalten habe. Bei den aktuellen Bundesratswahlen wurde ständig Isabelle Morets Privatleben thematisiert. Als Alleinerziehende könne sie nicht Bundesrätin werden. Das hätte man bei einem Mann nicht gesagt. Schon den Mädchen wird eingetrichtert, dass sie einen Makel hätten, weniger gut seien als Männer und überdurchschnittliche Leistungen erbringen müssten. Kein Wunder, wirkt sich das bis zur Nomination von Bundesratskandidatinnen aus. An diesen Geschlechterbildern müssen wir arbeiten.Albert Rösti: Als Generalsekretär bei der damaligen Berner Regierungsrätin Elisabeth Zölch habe ich selbst erlebt, dass Politikerinnen teilweise anders behandelt werden. Als sie eine Aktion zur Dezimierung von Krähen lancierte, erhielt sie Zuschriften mit üblen Beschimpfungen, die auf sie als Frau abzielten. Ein Mann hätte nicht solche Post erhalten. Aber in der Partei behandeln wir Frauen nicht anders als Männer. Wir fördern sie genauso.
«Jede Bundesratswahl hat ihr Narrativ, ihr Drehbuch. Und entweder ist man als Hauptdarstellerin dafür geeignet oder nicht.»
Trotzdem sind Frauen in der SVP-Fraktion im Bundeshaus eine Minderheit von 17 Prozent.
Rösti: Frauenförderung muss an der Basis beginnen. Das ist für uns als Partei in einem konservativen Milieu herausfordernd; viele Frauen sind anders geprägt. In unserem politischen System ist die Ochsentour üblich. Man engagiert sich auf Gemeindeebene und wird später vielleicht ins eidgenössische Parlament gewählt. Deshalb müssen wir schauen, dass Frauen in den Gemeindeämtern vertreten sind – eine anspruchsvolle Aufgabe.Rytz: Aber genau die SVP ist doch verantwortlich dafür, dass die Schweiz immer noch so konservativ und patriarchal ist. Sie hat das moderne Eherecht bekämpft, weil sie keine gleichberechtigten Partnerschaften wollte. Die Parteien müssten besorgt darum sein, 50 Prozent der Listenplätze bei Wahlen an Frauen zu vergeben. Doch das ist schwierig, weil Frauen strukturell bedingt oft gar nicht in die Politik gehen wollen. Sie sind in Familie und Beruf doppelt belastet und leisten den Grossteil der unbezahlten Familienarbeit. Solange diese Arbeit nicht besser verteilt wird, kann ihr Rückstand in der Politik kaum aufgeholt werden.Rösti: Diesen Vorwurf gebe ich zurück! Eine Frau ist für euch nur dann gut, wenn sie eurem Bild entspricht. Wenn sie arbeitet und die Kinder fremdbetreuen lässt. Deshalb habt ihr 2013 auch die SVP-Familieninitiative nicht unterstützt, die innerfamiliäre Kinderbetreuung steuerlich abzugsfähig gemacht hätte. Ich stamme aus einer traditionellen Bauernfamilie, bei uns zu Hause war die Mutter der Chef, der Vater führte den Betrieb. Mit Ihren Aussagen werten Sie Familien ab, die ein konservatives Modell leben – und von denen gibt es in der Schweiz viele. Diese Frauen sind genauso wertvoll für die Gesellschaft.Wermuth: Ich bewege mich nicht in Ihren finanziellen Sphären, Herr Rösti, Menschen mit normalen Einkommen, auch meiner Familie, bringen Steuerabzüge nichts. Genau das Gegenteil ist doch der Fall: Heute wird das konservative Familienmodell bevorteilt. Partner, die sich Erwerbs- und Familienarbeit teilen wollen, haben es viel schwieriger. Keller-Sutter: Die gesellschaftliche Entwicklung soll für die Gleichstellung sorgen, nicht der Gesetzgeber. So war etwa das neue Eherecht nur ein Nachvollzug der bereits gelebten Realität. Man hat der Gesellschaft nicht ein Gesetz übergestülpt, sondern der Mann war im Alltag bereits nicht mehr das Familienoberhaupt. Ich bin in einer Gewerblerfamilie aufgewachsen; ohne meine Mutter hätte der Betrieb nicht funktioniert. Sie war das Rückgrat. Ich wehre mich gegen die Bewertung von Lebensentwürfen. Es ist nicht besser oder schlechter, wenn eine Familie sich dafür entscheidet, dass die Frau zu Hause bleibt.

«Frauenförderung muss an der Basis beginnen. Das ist für uns als Partei in einem konservativen Milieu herausfordernd.»
Herr Rösti, schafft die SVP das politische Klima, das den Frauen eine Karriere erschwert, wie es Ihnen die Linke vorwirft?
Rösti: Nein. Wir haben bereits vor 17 Jahren Rita Fuhrer als Bundesrätin portiert. Sie ist eine der ausgewiesensten Politikerinnen des Landes und eine moderne Frau. Doch die Linken wollten sie nicht. Bei der Kandidatur von Isabelle Moret war die Frauenfrage wochenlang ein Thema – dabei war ja eine Frau auf dem Ticket! In unserer Fraktion haben sie einige gewählt. Aber die SP hat Moret wie eine heisse Kartoffel fallen lassen. Es ist nicht das erste Mal, dass diese Partei bestens qualifizierte bürgerliche Kandidatinnen nicht gewählt hat. Es ist also verlogen, wenn die Linke uns Frauenfeindlichkeit vorwirft.
Die SP hat bereits mehrere bürgerliche Frauen nicht gewählt. Ihre Partei ist genauso eine Frauenverhinderin, Herr Wermuth.
Wermuth: Im Gegenteil: Dass wir in der Schweiz in Parlamenten und Regierungen überhaupt einen namhaften Frauenanteil haben, ist ausschliesslich der Linken zu verdanken. Wir haben eine paritätische Vertretung in Bundesrat und Fraktion, 13 von 28 SP-Regierungsräten sind Frauen. Bei der FDP sind nur 8 von 40 Regierungsräten weiblich. Die bürgerlichen Parteien haben seit dem Frauenstimmrecht nichts dafür getan, diese Quote zu erhöhen. Es stimmt aber: Auch bei der SP mussten die Frauen um ihren Platz kämpfen – und das müssen sie auch heute noch oft.
«Die Linke, die so viele bürgerliche Frauen verhindert hat, fordert jetzt scheinheilig eine Quote.»
Wenn die SP die Gleichstellung so ernst nimmt, warum wählt sie dann Frauen wie Isabelle Moret nicht?
Wermuth: Moret wurde tatsächlich fallen gelassen wie eine heisse Kartoffel – aber nicht von uns, sondern von der FDP. Bereits am Tag des Rücktritts von Didier Burkhalter hat die Präsidentin der FDP-Frauen eine Frauenkandidatur öffentlich abgeschossen. Doris Fiala sagte, es sei jetzt nicht die Zeit dafür. Danach wurde Moret systematisch mit Indiskretionen aus ihrer Fraktion diskreditiert und als «Bäbi» abgewertet. Die FDP-Führung hat sich die Frechheit erlaubt, kein einziges Mal einzugreifen in diese sexistische Schlammschlacht. Ich stehe dazu, dass ich wie ein Grossteil der Fraktion Pierre Maudet gewählt habe. Er ist ein saubererer Etatist.Rösti: Damit liefern Sie den Beweis gleich selbst: Die SP will keine bürgerlichen Frauen! Wenigstens sind Sie jetzt ehrlich.Wermuth: Das stimmt nicht. Es ist eure Sache, einen eurer zwei Sitze mit einer Frau zu besetzen. Dafür braucht es reine Frauentickets bei Vakanzen, das zeigt die Erfahrung. Was ihr jetzt macht, ist scheinheilig.
Warum braucht es zwei Frauen auf dem Ticket, damit eine gewählt wird?
Wermuth: Ich will entscheiden können, wer kompetenter ist und mir politisch näher steht. Ich will nicht auswählen müssen zwischen Mann und Frau. Die FDP benutzte Moret nur als Alibi, um die Wahl von Ignazio Cassis zu sichern. Ein kluger Schachzug, denn die Linke wurde dadurch gespalten – ausgerechnet von den Bürgerlichen, die Jahrzehnte nichts für die Frauenfrage getan haben! Die einzige SVPlerin, die das Parlament je gewählt hat, Eveline Widmer-Schlumpf, habt ihr, Albert Rösti, aus der Partei ausgeschlossen, weil sie einen alten Patriarchen ersetzte.
Eine linkere Gesinnung ist für die SP also wichtiger als die Frauenfrage?
Keller-Sutter: Ich habe den Eindruck, bürgerlich zu sein, ist für gewisse linke Kreise nicht nachvollziehbar. Und eine Frau rechts der Mitte ist erst recht ein Störfall!Wermuth: Die FDP hat ein massives Frauenproblem – und daran sollen die Linken schuld sein?Keller-Sutter: Schon rechts stehende Männer haben es schwer. Steuern senken, weniger Staat: Für Linke ist das schlimm. Aber eine Frau mit bürgerlicher Einstellung – das ist doppelt suspekt! Ihr unterstützt damit indirekt das Rollenbild, das ihr kritisiert: Eine Frau hat empathisch, sensibel und sozial zu sein. Wir müssen akzeptieren, dass Frauen ebenso unterschiedliche Werthaltungen, Begabungen und Charakterzüge haben wie Männer. Wenn wir das schaffen, haben wir Chancengleichheit. Und darum geht es doch: Zumindest am Start müssen alle gleich behandelt werden – auch wenn nicht alle das Ziel erreichen.Rytz:Es stimmt nicht, dass die bürgerlichen Frauen ein Störfall sind – im Gegenteil. Vielfalt ist der Kern der Demokratie. Historisch gesehen haben linke und bürgerliche Frauen immer eng zusammengearbeitet und für Verbesserungen wie die Mutterschaftsversicherung gekämpft. Ich wünschte mir, dass diese Bündnisse wieder funktionieren.

«Es geht nicht um irgendeine Minderheit, sondern um die Hälfte der Bevölkerung.»
Ein neues Frauenbündnis wie damals beim Mutterschutz: Wie könnte es das Frauenproblem in politischen Gremien lösen?
Rytz:Eine Lösung sehe ich im Vorschlag, den die grüne Nationalrätin Maya Graf macht: Sie fordert keine fixe Quote für den Bundesrat, sondern eine angemessene Vertretung der Geschlechter. Dies soll in der Bundesverfassung ergänzt werden. Es geht nicht um irgendeine Minderheit, sondern um die Hälfte der Bevölkerung. Rösti:Ich bin gegen eine Verfassungsänderung. Eine angemessene Frauenvertretung im Bundesrat ist selbstverständlich … Rytz:(lacht)Rösti: Du lachst jetzt, Regula. Aber ich schlage als Bundesratskandidatin Magdalena Martullo-Blocher vor. Und bin doch von linker Seite tatsächlich gefragt worden, ob ich das ernst meine! Das ist doch der Beweis, dass die Linken keine bürgerlichen Frauen im Bundesrat wollen. Es gibt kaum eine ausgewiesenere Unternehmerin in diesem Land. Es gibt heute weniger Bundesrätinnen, weil es auch weniger Frauen im Parlament gibt. Das wird sich in den nächsten Jahren ändern.
Das Ziel lässt sich also auch ohne Massnahmen erreichen?
Rösti: Mit einer Quote schaffen wir uns ein Korsett: Wir müssten auch Frauen portieren, selbst wenn keine verfügbar oder willens wären. Die SP, die so viele bürgerliche Frauen verhindert hat, fordert jetzt scheinheilig eine Quote. Die Partei hat ein echtes Problem mit diesem Thema. Einer der Gründe, warum bei diesem Gespräch Kollege Wermuth dabei ist, sind die Absagen der Parteispitze: Präsident Christian Levrat und Fraktionschef Roger Nordmann wollten sich der Diskussion nicht stellen. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt für die SP, anderen Vorwürfe zu machen ...Wermuth: Die SP hat 50 Prozent Frauenanteil in der Fraktion, die SVP 17. Wir sind eine der wenigen Parteien, in denen die klassischen politischen Männerdomänen wie Wirtschaft und Finanzen fest in Frauenhand sind. Mit Susanne Leutenegger Oberholzer und Margret Kiener Nellen präsidieren zwei SP-Frauen die Wirtschafts- und die Finanzkommission.Rösti: Aber die SP verhindert reihenweise Bundesrätinnen …Wermuth: Die Geschlechterfrage ist nur dann überwunden, wenn man sie nicht zum Auswahlkriterium macht. Ich hätte mir deshalb eine Frauen-Doppelkandidatur gewünscht, wie es die SP seit 25 Jahren macht. Und deshalb braucht es eine Quote oder einen Zusatz in der Bundesverfassung. Dann erwarte ich, dass in nächster Zeit nur noch Frauen auf die Tickets kommen. Rösti: Damit bestätigst du deinen eigenen Vorwurf an die FDP. Du sagst, Moret sei weniger gut gewesen als ihre männlichen Mitbewerber.Wermuth: Ich habe zweimal Maudet gewählt, weil er mich am meisten überzeugt hat. Unsere Fraktion war gespalten, die einen wählten ihn, die anderen Moret, einige Cassis. Ich hätte gern Laura Sadis gehabt. Die FDP wusste, dass sie durchkommen würde, und hat sie deshalb verhindert.Rösti: Du hättest Sadis gewählt, weil sie linker ist, nicht besser, oder?Wermuth: Beides.
«In der Berner Regierung ist ein Sitz für einen Jurassier reserviert. Niemand bezeichnet diesen Mann als Quotenmann.»
Die Frauendachorganisation Alliance F will, dass die Parteien mit zwei Bundesratssitzen einen immer an eine Frau vergeben. Was halten Sie davon?
Keller-Sutter: Das ist ein falscher Ansatz. Genauso wie der Begriff Frauenförderung. Er stört mich extrem, denn er ist defizitorientiert – als würden es Frauen aus eigener Kraft nicht schaffen. Ich spreche lieber von Chancengleichheit. Ich bin auch gegen eine Verfassungsbestimmung zur Frauenfrage. Der Gesetzgeber, oder auch das Volk, soll nur bei einer länger dauernden Fehlentwicklung oder einem Missstand eingreifen. Wir haben jetzt zwei Bundesrätinnen, mit Widmer-Schlumpf hatten wir drei. Es ist absehbar, dass es bis zur nächsten Legislatur Veränderungen geben wird. Da sind jetzt die Parteien und die Bundesversammlung gefordert.Rytz:Sicher gibt es einen Missstand! Unser Vorschlag ist vernünftig, weil er typisch schweizerisch ist: Wir haben Quoten in Bezug auf Sprachen und Regionen im Bundesrat und auch andernorts. In der Berner Regierung ist ein Sitz für einen Jurassier reserviert. Niemand bezeichnet diesen Mann als Quotenmann. Nur bei den Frauen ist das ein Thema. Typisch.Keller-Sutter: Die Geschlechtervertretung ist für mich aus staatspolitischen Gründen nicht vergleichbar mit der Vertretung der Sprachen und Regionen. Unsere Willensnation halten die Institutionen zusammen, der Föderalismus, das gemeinsame Staatsverständnis. Unser Ziel war Freiheit; wir kamen zusammen, weil wir frei sein wollten. Es gibt gute Gründe, weshalb die Sprachen und Regionen, aber nicht die Geschlechter genannt werden. Wermuth: Als wir 1848 im Bundesstaat zusammenkamen, weil wir frei sein wollten, waren Sie als Frau aber explizit nicht gemeint. Keller-Sutter:Ich war damals noch gar nicht auf der Welt. (lacht) Trotzdem sollten Frauen angemessen im Bundesrat vertreten sein. Sie tragen viel Verantwortung in Politik, Familie und Wirtschaft. Deshalb muss auch die Macht geteilt werden. Ich fordere das ein und habe mich immer für Aufgaben zur Verfügung gestellt.

«Dass wir überhaupt einen namhaften Frauenanteil haben, ist ausschliesslich der Linken zu verdanken.»
Und wie kann die Macht gerechter zwischen den Geschlechtern geteilt werden?
Keller-Sutter: Indem sich möglichst viele Frauen zur Verfügung stellen. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Man muss diese Frage partnerschaftlich klären, aber es braucht auch gewisse Rahmenbedingungen. Wenn es da Lösungen gibt, werden viel mehr Frauen in Positionen vorstossen, die Voraussetzung sind für noch höhere Stufen auf der Karriereleiter – in Politik wie Wirtschaft.
Nur: Die Rahmenbedingungen fehlen noch – und deshalb fehlen auch die Frauen in Toppositionen.
Keller-Sutter: Klar, das spielt eine Rolle. Zudem erschweren Männernetzwerke vielen Frauen den Aufstieg. Das ist keine böse Absicht, aber häufig kennen sie gar keine geeigneten Kandidatinnen. Doch Frauen können es auch alleine schaffen. Ich bin zum Beispiel Verwaltungsrätin in einer börsenkotierten Gesellschaft. Gefragt war meine Führungserfahrung als ehemalige Regierungsrätin. Frauen haben dann eine Chance auf Verwaltungsratsmandate, wenn sie sich spezialisieren oder Führungserfahrung sammeln. Dafür muss man sie zuerst ins mittlere Kader aufsteigen lassen.
«Die Geschlechterfrage ist nur dann überwunden, wenn man sie nicht zum Auswahlkriterium macht.»
Der Bundesrat will eine Frauenquote für die Wirtschaft. Wäre das ein möglicher Weg?
Rytz: Viele Institutionen wie etwa Hochschulen kennen solche Regelungen. Sie haben sich bewährt. Mit Blackrock sagt selbst der grösste Vermögensverwalter der Welt, dass es nirgends sonst so wenige Frauen in Führungsgremien hat wie in der Schweiz. Wir brauchen einen Modernisierungsschub in der Familien- und Sozialpolitik, damit Frauen angemessener vertreten sind. Wenn wir auf Freiwilligkeit setzen, werden wir nicht schnell genug vorwärtskommen.Rösti: So muss es doch laufen: Blackrock erkennt das Problem und handelt. Für eine bessere Diversität in den Firmen muss nicht die Politik sorgen. Zum Teil braucht es noch Sensibilisierung – in Wirtschaft wie Politik. Wir ermuntern jetzt bei den Wahlen in den Kantonen Frauen aktiv zu Kandidaturen. Wermuth: Frauen werden politisch und ökonomisch zur Minderheit gemacht. Das kann nur durchbrochen werden, wenn Gesetzgeber und Wirtschaft sich als Teil der Gesellschaft verstehen und diese auch positiv verändern wollen.Keller-Sutter:Während meiner zwölf Regierungsjahre habe ich mich bei meinem Mann praktisch abgemeldet. Eine Führungsfunktion bedeutet auch private Entbehrung. Umso wichtiger ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ich glaube aber an die Macht des Faktischen: 50 Prozent der Studierenden sind heute Frauen. Und demografiebedingt werden wir künftig mehr Fachkräfte brauchen. Spätestens dann werden Frauen gefragt sein.
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