Eine Kreuzfahrt wider alle Vorurteile
Die MS Hanseatic steuert Ufer jenseits der Touristenpfade an. Zwischen den Inselreichen Melanesiens suchen wir auf dem kleinen Passagierschiff nach dem Luxus im Abenteuer.

Die Befangenheit war gross. Eine mehrwöchige Kreuzfahrt durch die Südsee ist öde, glaubten wir zu wissen. Spiessig und dekadent dazu. Nach 23 Tagen auf der MS Hanseatic, dem weltweit einzigen Expeditionsschiff mit fünf Sternen, haben wir die Vorurteile über Bord geworfen. Fast alle.
Am anderen Ende der Welt, im Südwesten des Pazifiks, schiffen wir nach 24 Stunden Flugreise in der neukaledonischen Hauptstadt Nouméa ein. In den kommenden Wochen nimmt die Hanseatic Kurs auf die melanesischen Inselreiche von Vanuatu über die Salomonen nach Papua Neuguinea. Auf dem indonesischen Bali schliesslich werden wir ausschiffen. Im Reiseprospekt steht über diese Route: «Manche Ziele bleiben für viele unerreicht.» Nicht aber für die rund 120 deutschsprachigen Passagiere, die sich am Pier im Hafen von Nouméa bei Champagner herzhaft begrüssen. Kreuzfahrtdirektorin Ingrid Schwarz spricht von «Familie Hanseatic». Zwei Drittel der eingecheckten Gäste sind Repeater. Nach drei Reisen auf diesem Kreuzer werden Gäste mit einer Nadel beschenkt. Auf unserer Route übergibt die Reederei zum 5000sten Mal eine solche Auszeichnung.
Hier, um zu entdecken
Kaum sind der Anker im Hafen von Nouméa gelichtet und das letzte Tau eingerollt, hallt ein Marsch aus den Lautsprechern durch die holzbraunen Gänge des Passagierschiffs. «Hanseatic, Hanseatic», singt es bis in unsere Aussenkabine. «Lass uns auf die Reise gehn». Hotelmanagerin Doris Adler in weisser Uniform schnippt mit ihren Fingern im Takt. Das Abenteuer mit Familie Hanseatic kann losgehen. Wir packen schwere Bücher aus unseren Koffern. Schiffskoller – schliesslich misst das schwimmende Hotel bloss 122,8 auf 18 Meter – soll gar nicht erst aufkommen. Doch bereits am ersten Tag auf See erlangt uns die erste und wichtigste Erkenntnis: Diese Kreuzfahrtgäste sind nicht gekommen, um sich tagein tagaus auf dem Sonnendeck zu bräunen. Sie sind gekommen, um zu entdecken – wenn auch auf weitaus komfortablere Weise als die Seefahrer James Cook oder Alvaro de Mendaña, die seinerzeit durch diese Gegend segelten. Welche Passagiere wir auch fragen, alle geben sie uns dieselbe Antwort: «Eine normale Kreuzfahrt mit 3000 Gästen an Bord wäre für uns das Grauen. Wir suchen hier das Familiäre. Und das Abenteuer.»
Lektoren ersetzen Lektüre
Dafür sorgen unter anderem die so genannten Lektoren. Sie sind bei jeder Kreuzfahrt mit der Hanseatic an Bord. Fünf Wissenschafter reisen mit uns nach Bali. Während das Schiff die Südsee teilt, teilen sie mit den Passagieren ihr Wissen: So erfahren die Gäste bei Vorträgen etwa, welche Entdeckungen unter dem Kreuz des Südens gemacht wurden oder wie Erdbeben entstehen. Die Referate der Experten werden auch über den Bordcomputer live in die Kabine übermittelt. Regelmässig versammeln sich Interessierte und Wissenschafter ausserdem zum sogenannten Recap: Dabei liefern die Lektoren Hintergrundinformationen zu den Reisezielen. An einem Abend steht gar Mikroskopieren auf dem Programm, wo Passagiere unter Anweisung der Biologen Termiten und Planktone untersuchen.
Den wahren Reiz der Hanseatic machen aber die Expeditionen mit den 14 motorisierten Schlauchbooten, den Zodiacs, aus. Insgesamt booten wir in den 23 Tagen 17 Mal damit aus. Dabei tragen wir ein weiteres Vorurteil zu Grabe, das des schwimmenden Altersheims. Die meisten Passagiere verpassen keinen Ausflug. Tag für Tag wird die Stimmung lockerer und ähnelt bald einem Schullager: Man trifft sich schliesslich während Tagen nicht nur in Abendgarderobe, sondern auch in Schnorchelausrüstung.
Kaum je Touristen
Machen wir mit dem Zodiac Halt auf einer Insel, sichert erst ein Scout-Boot einen geeigneten Landeplatz. In Gruppen reihen sich die Passagiere vor dem Sidegate auf, Rettungswesten und Rucksack umgeschnallt. So besuchen wir Eiland um Eiland, die – der Reisekatalog hat nicht gelogen – «vollkommen abgeschieden im Pazifik» liegen. Meist müssen die Expeditionsleiter bei den Inselobersten erst um Erlaubnis bitten, ihr Dorf besuchen zu dürfen. Auf der kleinen Insel Loh in Vanuatu zum Beispiel, wo wir am Anfang unserer Reise anlanden, stranden kaum je Touristen. Die Begrüssung durch den Häuptling und die anschliessenden Willkommenstänze der Bewohner wirken denn auch weniger wie eine Show eigens für knipsende Europäer. Sie werden mit viel Stolz und Herzblut aufgeführt. Auf der Insel Tuam nimmt sich der Schiffsarzt Zeit, um erkrankte Insulaner zu betreuen: Einen Doktor gibts hier keinen, und warum die Krankenschwester das Eiland vor einiger Zeit verliess, weiss niemand so recht.
In Papua Neuguinea wiederum, dem drittgrössten Inselstaat der Welt, erleben wir die Mündung des Sepik. In einem Nebenarm paddeln die Passagiere in den Schlauchbooten durch den tropischen Regenwald – für einmal ohne Motor. Papuas kreuzen uns in ihren Einbäumen, winken einerseits freundlich und grinsen anderseits ob den Ruderkünsten der schweissnassen Weissen in roten Sicherheitswesten.
Baden im offenem Meer
Auch die Tage auf See gestalten sich keineswegs als eintönig. Das offenbart ein kurzer Überraschungsstopp im offenen Meer – hier vor Papua Neuguinea, Position 7°17'S/152°54'O, liegt der Grund tiefer, als der Eiger im Berner Oberland in die Höhe ragt. Der Wellengang gleicht dem eines Ententeichs. Der zartblaue Himmel vereinigt sich mit dem Tiefblau der uferlosen Wassermasse des Südpazifiks. Kapitän Thilo Natke, der für das Fahrtgebiet schwärmt, lässt die Hanseatic driften. Wer will, darf mit dem Schlauchboot ein Stück weit hinausfahren und im grössten Ozeans unseres Planeten planschen. Die Temperatur des Wassers ähnelt der einer Badewanne. Mit einem «Ach, wie ist das einmalig» versuchen nicht wenige Gäste den Moment zu begreifen. Ab und zu fällt ein schlechter Witz vom weissen Hai. Die Hanseatic treibt derweil neben uns und wirkt wie eine Mutter, die über ihre ungezogenen Kinder wacht. Als wäre alles nur ein Traum unter der windstillen Tropenhitze gewesen, gleitet sie Stunden später wieder fast lautlos durch die Südsee. Am Horizont verschwindet Landschaft um Landschaft, Wolken türmen sich aus dem Nichts auf, als wechsle jemand mittels Winde die Bühnenkulisse aus. Tagelang ziehen am Panoramafenster unserer Kabine alle Facetten der Farbe Blau vorbei, oft durchzogen von regenwaldgrünen Streifen der zahllosen Eilande. Kein Wunder, desertierte in der Südsee so manch ein Matrose von den einstigen Seefahrtsschiffen, anstatt in kalte Gefilde weiterzusegeln.
Südseetraum wird Realität
«Es gibt einen riesigen Unterschied zwischen Südsee-Wirklichkeit und Südsee-Traum», sagt der Ethnologe in einem der «Recaps». Dass das Leben zwischen Fidschi und Indonesien nicht nur aus duftenden Frangipani-Blüten besteht, wird im Zusammentreffen mit den Bewohnern der Inseln schnell klar. Es ist hingegen die Crew der Hanseatic, die dafür sorgt, dass der Südsee-Traum Wirklichkeit wird: So funkeln die fünf Sterne des Passagierschiffes nicht nur bei den Abenddinners auf, sondern auch tagsüber. Auf den salomonischen Shortland Islands etwa stellt das Personal kurzerhand ein Barbecue auf einer nur wenige Quadratmeter grossen Insel auf die Beine. Die Szenerie ist perfekt: Der Strand strahlt weiss, gesäumt von Kokospalmen. Unter ihnen spielt die Schiffsband, während die Gäste ihre Grilladen an Tischen mit weissen Tischtüchern essen und sich mit salomonischem Bier zuprosten. Auf einem Holzstrunk im türkisklaren Wasser geben die Kellnerinnen Eiskugeln aus.
Treffender hätte es die lokale Zeitung von Honiara nicht beschreiben können: Nach einer Overnight in der Hauptstadt der Salomonen-Inseln bildet die Gazette «Island Sun» zwei Passagiere auf der Titelseite ab und schreibt auf Englisch: «Es ist ein kleines Kreuzfahrtschiff, das den Passagieren ein Gefühl von zwei Welten vermittelt – der luxuriösen und der abenteuerlichen.»
An diesem Nachmittag auf den Shortland Islands hat eindeutig die erstere der beiden Welten regiert. Sie herrscht auch, wenn beim reichhaltigen Frühstücksbuffet jemand meckert, wenn mal Matjes oder Mangos fehlen. Ja, das wirkt so dekadent wie unser Vorurteil es beim Einschiffen war.
Ein Wal und die Sehnsucht
Die zweite, die abenteuerlustige, obsiegt immer dann, wenn die Schlauchboote startklar am Sidegate warten, um zu Ufern aufzubrechen, die abseits touristischer Rennstrecken liegen. Abenteuerlich wird es aber auch dann, wenn die Hanseatic abrupt ihren Kurs ändert, weil die Brücke den Blas eines Wales gesichtet hat.
Und wie es einst die Seefahrer immer wieder auf die Meere zog, beschleicht auch uns wieder daheim in der Heimat die Sehnsucht nach der Familie Hanseatic. Die interessanteste Reise mit diesem Schiff, so bestätigte uns jeder Repeater an Bord, läge sowieso noch vor uns. Die Antarktisroute mit Halt bei den Königspinguinen auf Süd-Georgien. Sparen!
Diese Reportage kam auf Einladung der Reederei Hapag-Lloyd Kreuzfahrten zu Stande.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch