Eine Mauer versetzen für Zürcher Velofahrer
Filippo Leutenegger ist über die Bücher gegangen und schlägt eine neue Lösung vor, um an der Rämistrasse Platz für Radwege zu schaffen. Sogar der VCS applaudiert.

Müsste man Filippo Leuteneggers Wort des Jahres 2017 küren, der «Velobalkon» wäre ein heisser Kandidat. Es steht für jenen Radweg hoch oben auf der Mauer entlang der Rämistrasse, den der FDP-Tiefbauvorsteher vor einem Jahr als Lösungsansatz für dieses viel diskutierte Nadelöhr präsentierte. Er fand die Idee damals bestechend, viele spotteten aber darüber. Es sei unmöglich, mit einem normalen Velo die steile Rampe zum Balkon hochzufahren, hiess es. Oder: typische Idee eines E-Bike-Fahrers.
Gestern hat Leutenegger nun seine überarbeitete «Balkon»-Idee präsentiert, und es scheint, er habe das Gespött ernst genommen. Das ausgereifte Projekt sieht beidseits der Rämistrasse einen durchgehenden Velostreifen auf Strassenniveau vor, vom Bellevue bis zum Heimplatz. Um dafür Platz zu schaffen, wird auf Seite der Mauer das Trottoir aufgehoben. Fussgänger sollen künftig über den Balkon geleitet werden, auch jene, die ins Parkhaus wollen. Die Rampe wird zudem im oberen Drittel etwas abgeflacht.
Schieben Sie den Regler nach links, um die ursprüngliche Velobalkon-Idee von Filippo Leutenegger zu sehen.
Damit all dies möglich wird, ist laut Leutenegger ein grosser baulicher Eingriff nötig: Man müsse die bestehende Stützmauer um bis zu eineinhalb Meter verschmälern und ihre Höhe um drei bis vier Meter reduzieren. Noch ist offen, ob die Mauer das überhaupt aushält. Ansonsten würde das Tiefbauamt eine neue, schmale Stützmauer erstellen.
Autos und Tram müssen Fahrbahn teilen
Eine «knifflige Angelegenheit» würde laut Leutenegger auch der Umbau im untersten Teil der Rämistrasse, wo diese ins Bellevue mündet. Weil hier die Platzverhältnisse besonders knapp sind, müssten sich Autos und Tram ab der Höhe des Kartoffelmarkts für gut hundert Meter die Fahrbahn teilen. Nur so bleibt auf beiden Seiten Platz für Radstreifen. Ob der Kanton damit einverstanden wäre, ist noch offen.
Die Tramschienen an der Rämistrasse müssen spätestens im Jahr 2024 ersetzt werden, bis dahin müsste das Projekt also baureif sein, damit keine unnötigen Zusatzkosten entstehen. Teuer würde der Umbau ohnehin: Leutenegger rechnet mit einer Grössenordnung von circa 50 Millionen Franken, wovon etwa 20 Millionen auf die Tramgleise entfallen. Um jetzt zu untersuchen, ob die Umsetzung baulich und verkehrstechnisch überhaupt möglich ist, hat der Stadtrat gestern den Kredit für die Planung auf 2,8 Millionen Franken erhöht.
Zuspruch mit Vorbehalten
Vom grünen Verkehrsclub VCS, sonst ein zuverlässiger Kritiker von Leuteneggers Velopolitik, gab es gestern für einmal Applaus. Das nicht zuletzt, weil das überarbeitete Projekt grosse Ähnlichkeit mit einem Vorschlag aufweist, den der VCS vor kurzem selbst ins Spiel brachte. Im Tiefbaudepartement habe man offenbar eingesehen, dass aufgrund des grossen Gefälles für die Velofahrer nur ein Weg auf Strassenniveau wirklich attraktiv sei.
Der SP-Gemeinderat und Bauingenieur Hans-Jörg Käppeli, der den VCS-Vorschlag verantwortete, meldet allerdings auch Bedenken an, vor allem wegen der Kosten: 50 Millionen Franken seien im Parlament kaum mehrheitsfähig. Ihn irritiere, dass Leuteneggers Lösung den gewaltigen Eingriff an der bestehenden Stützmauer vorsehe und wohl frühestens in sechs Jahren realisiert würde. Der Vorschlag des VCS sehe einen deutlich sanfteren Umbau vor, der schneller zu realisieren sei. Unlogisch sei zudem, dass das Tiefbauamt für 2019 den Umbau des Kartoffelmarkts plane, statt bis zum Umbau der Strasse zu warten.
Langstrasse bleibt ein blinder Fleck
Leutenegger informierte gestern an seiner Jahresmedienkonferenz noch über den Stand anderer Veloprojekte, unter anderem über einen neuen Tunnel für Radfahrer unter dem bellevueseitigen Ende der Quaibrücke, der die geplante Veloroute um den See mit dem Limmatquai verbinden soll. In Gesprächen mit dem Kanton habe sich gezeigt, dass das zwar nicht ohne Schwierigkeiten, aber grundsätzlich möglich sei. Das löse zwar den oberirdischen Verkehrsknoten nicht, sei aber eine «rechte Befreiung». Zu Kosten von 15 Millionen Franken.
Während der Tiefbauvorsteher für diese neue Unterführung warb, hatte er über die bestehende an der Langstrasse nichts zu berichten – obwohl diese unter Zürichs Velofahrern deutlich mehr zu reden gibt. Um dort den verhassten Mischverkehr mit Fussgängern aufzuheben, wäre laut Stadtingenieur Vilmar Krähenbühl eine Verbreiterung nötig. Dadurch liesse sich Platz gewinnen für einen Velostreifen, der gegenüber dem Fussweg tiefergelegt und so abgegrenzt wäre. Die Kosten dafür: geschätzte 10 Millionen Franken. Krähenbühl rechnet bis Ende Jahr mit einer Machbarkeitsstudie.
Die SP interpretierte Leuteneggers Auftritt gestern als reinen Wahlkampf und reagierte in einer langen Medienmitteilung entsprechend ungnädig darauf. Sie macht den FDP-Stadtrat verantwortlich für den «Stillstand» an der Langstrasse und hält ihm vor, dass er auch den Velotunnel unter dem Hauptbahnhof verzögere, indem er dort nun auch Roller fahren lassen wolle. Seine «Luxuslösung» für die Rämistrasse sei «nicht annähernd finanzierbar».
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