Eine Million Pfund vom Staat, dann sprengte er sich in die Luft
Für seine Guantánamo-Haft wurde ein Brite fürstlich entschädigt. Nun verübte er ein Selbstmordattentat auf irakische Soldaten. Grossbritannien ist bestürzt.

Bestürzung und Empörung hat in Grossbritannien die Nachricht ausgelöst, dass ein am Montag dieser Woche bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommener IS-Kämpfer offenbar ein früherer Guantánamo-Häftling war, den die britische Regierung angeblich mit 1 Million Pfund für die Guantánamo-Zeit entschädigte.
Der 50-jährige Jamal al-Harith soll der IS-Aktivist gewesen sein, der nahe der Stadt Mosul einen mit Explosivstoff bepackten Wagen in eine Gruppe irakischer Soldaten steuerte. Al-Harith stammte aus Manchester, wo er unter dem Namen Ronald Fiddler aufwuchs.
Er war britischer Nationalität, und seine Familie war jamaikanischen Ursprungs. Familienangehörige bestätigten seine Identität, nachdem IS das Bild eines lachenden Kämpfers veröffentlicht hatte, der die Bombenaktion ausgeführt haben soll.
Keine Beweise gegen al-Harith
Aufregung verursachte am Mittwoch vor allem, dass Jamal al-Harith zwei Jahre lang – von 2002 bis 2004 – im US-Gefangenenlager Guantánamo Bay auf Kuba festgehalten wurde und dass er nach seiner Entlassung daheim in Grossbritannien gerichtlich eine Entschädigung einforderte.
Diese Entschädigung wurde ihm zuerkannt, weil der britische Staat von seiner Inhaftierung wusste und nichts gegen sie unternahm, obwohl es keine Beweise gegen al-Harith gab und ihm kein Prozess gemacht wurde. Auch von Misshandlungen soll der britische Staat damals gewusst haben.
Mit der Vereinbarung einer Entschädigungssumme für al-Harith vermieden die britischen Behörden ein ausführlicheres Gerichtsverfahren, bei dem sie möglicherweise Geheimakten hätten offenlegen müssen. Al-Harith verpflichtete sich seinerseits, nicht weiter über die erlittene Behandlung zu sprechen.
«Skandalös»
Stellvertretend für viele andere Politiker nannte der konservative Unterhaus-Abgeordnete Tim Loughton die entstandene Situation am Mittwoch jedoch «skandalös». Sein liberaldemokratischer Kollege John Pugh meinte, es sei «ein Schlag ins Gesicht», dass man al-Harith «ein Vermögen an Steuergeldern überreichte, als er behauptete, unschuldig zu sein» – nur um ihn in der Folge beim IS wiederzufinden.
In der Tat hatte sich im Jahr 2004 der damalige Labour-Innenminister David Blunkett für die Entlassung britischer Guantánamo-Häftlinge, darunter für die Freilassung al-Hariths, eingesetzt. Blunkett hatte 2004 versichert, dass keiner der freigelassenen Häftlinge «eine Gefahr für die Sicherheit der britischen Bevölkerung» darstelle.
Häftling der Taliban
Al-Harith war von US-Streitkräften 2001 in einem Taliban-Gefängnis entdeckt worden, in dem er gelandet war, weil die Taliban ihn für einen britischen Spion hielten. Die US-Administration verdächtigte ihn aber ihrerseits, an «einem Terroranschlag gegen die USA» beteiligt gewesen zu sein, und verfrachtete ihn 2002 nach Guantánamo.
Verhört wurde der Brite zu diesen Vorwürfen allerdings nie, und die Guantánamo-Kommandantur schloss eine Verbindung zu Taliban-Führern oder al-Qaida schon früh aus. Nach seiner Entlassung 2004 klagte al-Harith vergebens gegen den damaligen Pentagon-Chef Donald Rumsfeld. Erfolgreicher war er daheim in England mit seiner Klage um finanzielle Entschädigung.
Christliche Eltern, eine Frau, fünf Kinder
Zehn Jahre lang lebte er danach offenbar ein unauffälliges Leben mit Frau und fünf Kindern in Grossbritannien. Im Jahr 2014 reiste er aber über die Türkei nach Syrien und schloss sich dem IS an.
Seine Frau versuchte vergebens, ihn zurück ins Vereinigte Königreich zu holen. Kritik wurde jetzt auch an der konservativen Regierung laut, die ihn so einfach hatte ausreisen lassen. Insgesamt haben sich in den letzten Jahren etwa 850 Briten nach Syrien abgesetzt. Die Hälfte davon ist irgendwann zurück nach Grossbritannien gekommen. Rund hundert sollen als IS-Kämpfer ums Leben gekommen sein.
Arbeitete auch im Sudan
Über den Werdegang Jamal al-Hariths suchte man sich am Mittwoch in London noch Klarheit zu verschaffen. In seinen Zwanzigern soll der Sohn betont christlicher Eltern nach der Lektüre einer Biografie von Malcolm X zum Islam übergetreten sein und sich umbenannt haben. Er wurde als «stiller Mensch» charakterisiert, der wenig über religiöse Dinge sprach.
Der Menschenrechtsorganisation Cage zufolge lernte er vier Jahre lang Arabisch und unterrichtete eine Weile an der Khartoum-Universität im Sudan Englisch. Später machte er eine Lehre in Krankenpflege. Er arbeitete auch als Computerspezialist und in der Verwaltung einer moslemischen Schule in Manchester. Niemand scheint in ihm einen potenziellen IS-Kämpfer gesehen zu haben.
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