Eine Rebellion tarnt sich als buntes Festival
3000 Aktivisten von Extinction Rebellion, unter ihnen 40 Schweizer, haben in Berlin zwei Verkehrsknoten besetzt.

Es war noch Nacht, als die Klimaaktivisten den Grossen Stern im Tiergarten enterten. Unter der Siegessäule mit der goldenen Viktoria setzten sie sich an die Eingänge des sechsspurigen Verkehrskreisels, die Polizei erledigte den Rest: Sie sperrte das Gelände weiträumig ab.
Als die Sonne aufging, hatte sich der Kreisel längst in einen Platz verwandelt, auf dem Festivalstimmung herrschte. Junge Menschen mit bunten und ältere mit grauen Haaren sangen miteinander gegen die «Klimakatastrophe» an, liessen ihre Banner flattern, spielten Karten. Neben Deutsch sprach man Dänisch, Norwegisch, Schwedisch, Englisch oder Polnisch. Eine pink bemalte Arche aus Holz warnte vor dem Artensterben.
Rackete als Stargast
Carola Rackete, die deutsche Kapitänin, die als Seenotretterin im Mittelmeer zur Ikone geworden war, hielt eine Rede: «Die Zerstörung unserer Ökosysteme stellt für uns Menschen eine existenzielle Krise dar.» Sie kritisierte die Klimapolitik von Angela Merkel und kündigte unter Jubel an, dass man Berlin die ganze Woche blockieren wolle, «Tag und Nacht», um eine angemessene Reaktion zu erzwingen.
Gegen Mittag verlagerte sich der bunte Aufruhr quer durch den Tiergarten an den Potsdamer Platz. Gegen 2000 Aktivisten stellten auf der von der Polizei bereits zuvor geräumten Kreuzung Sofas, Betten und Pflanzen auf und riefen den Platz zu ihrem Wohnzimmer aus. Wieder gab es Musik, Reden, Aufrufe. Wieder sah die «Rebellion gegen das Aussterben» friedlich, ja geradezu harmlos aus.
Dabei gilt die in England gegründete Extinction Rebellion (XR) als eine der radikalsten Gruppen, die sich gewaltfrei, aber mit Mitteln des zivilen Ungehorsams für eine Klimawende einsetzen. XR sei eine esoterische Weltuntergangssekte, schimpfte etwa die ehemalige grüne Politikerin Jutta Ditfurth. Selbst der zuletzt auffällig ergrünte Berliner «Tagesspiegel» warnte am Montag in einem Leitartikel davor, dass die «Radikalen» den Schülern von Fridays for Future in den Rücken fallen und ein legitimes Anliegen diskreditieren würden.
Vielleicht auch deswegen bemühten sich die «Rebellen» am Montag um ein betont friedliches und gewinnendes Auftreten. «Wir wollen keine Gräben aufreissen», erklärt die Schweizer Aktivistin Alexandra Gavilano. Die 30-jährige Umweltwissenschaftlerin protestiert in Berlin zusammen mit ihrem Mann, dem 35-jährigen Bauer Hannes Blaser, und dem 27-jährigen Medienaktivisten Kim. Die drei gehören zu den drei Dutzend Schweizer Aktivisten vor Ort.
Räumung verläuft friedlich
Gavilano hat bereits 15 Jahre Erfahrung als Naturschützerin, auch mit Strassenblockaden kennt sie sich aus. Am Grossen Stern sitzt sie mit ihren Leuten in der vordersten Reihe. Die Blockaden sind für sie Mittel, um aufzurütteln. «Wir stören den alltäglichen Betriebsablauf», erklären die «Rebellen», «weil er unsere Lebensgrundlagen zerstört.» Mit ihren Aktionen wollen sie das Krisenbewusstsein schärfen, den Sinn für die Dringlichkeit wecken, wie Gavilano sagt. «Die Leute sollen sich fragen, ob sie sich uns nicht anschliessen wollen.» Die Stimmung am Grossen Stern gefällt ihr, sie findet aber, dass noch mehr Berliner dazustossen könnten.
Der Klimastreik der Schüler mobilisierte in Berlin vor zwei Wochen 200'000 Menschen, insofern fiel der Protest der «Rebellen» tatsächlich bescheiden aus. Freilich verstehen sich die Aktivisten als radikale Vorhut, der Demonstrieren allein nicht mehr genügt. Auf dem Potsdamer Platz gab diesem Ansatz nun ausgerechnet Luisa Neubauer recht, das bekannteste deutsche Gesicht der Freitagsdemos.
«Was hat sich in der Klimapolitik denn geändert nach zehn Monaten Klimastreik? Absolut gar nichts!», rief Neubauer den «Rebellen» zu und versicherte sie ihrer Unterstützung. Ob sie nun – wie die Schüler – eine CO2-Bilanz «netto null» bis 2030 forderten oder schon 2025 wie XR – am Ende würden sie für das gleiche Anliegen kämpfen.
Nicht nur die «Rebellen», auch die Berliner Polizei hielt sich zunächst auffallend zurück. Sie liess die Aktivisten gewähren, im Unterschied zu anderen Ländern nahm sie vorerst niemanden fest. Erst gegen Abend wurde der Potsdamer Platz geräumt, aber auch da ging es ausgesprochen friedlich zu. Die meisten Aktivisten liessen sich ohne Widerstand wegtragen; einige wenige hatten sich allerdings angekettet.
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