Eine Show wie ein welker Salat
Die Schweiz hat ihre Popmusiker wieder mit Pflastersteinen belohnt. Wozu nur?
Am Schluss regnet es güldene Konfetti von der Decke des Luzerner KKL. Das Schweizer Jugend Sinfonie Orchester vertont dazu zusammen mit dem Glitzerlederjacken-Latino Loco Escrito den zum Schweizer Hit des Jahres erkorenen Sommer-Schlager «Adiós».
Das Schlussbouquet der Swiss Music Awards soll in mannigfacher Hinsicht symbolisch sein: Der Flirt mit der Hochkultur soll des Veranstalters Ehrgeiz unterstreichen, die SMA als «gewichtigen Kulturanlass» zu positionieren, und das Jugendorchester steht für die im Vorfeld oft kommunizierte Idee, dem Anlass einen nachwuchsfördernden Charakter zu verpassen. Erstaunlich, dass sich der Siegersong trotz der Last dieser schwer zu vereinenden Metaphern, seine Leichtfüssigkeit bewahrt.
Zuvor war an den SMA einiges zu beobachten, was eher nicht in die Kategorie des Leichtfüssigen fällt. Gotthard gaben ein auffallend munteres Rock-'n'-Roll-1.0-Ständchen, zu dem man auch ganz rassig hätte Rock 'n' Roll tanzen können. Doch die Band-Mitglieder verlagerten bloss ihre Oberkörper vom einen aufs andere Raucherbeinchen. Bastian Baker spielte mit interessantem Herrenhut ein sehr uninteressantes Retorten-Pop-Lied, Anna Rossinelli packte sowohl die Pathos- wie auch die Pop-Brechstange aus, und Bligg wurde zum besten männlichen Künstler des Landes ausgerufen und soll darüber hinaus das erspriesslichste Album des Jahres veröffentlicht haben.
Ein bisschen viel der Ehre für das blosse Repetieren eines bewährten Konzepts. Dem Moderator Stefan Büsser gefiel es, mit heruntergelassenem Beinkleid einen Gaudi-Rap zu vollführen, und Lo & Leduc sind nun offiziell die beste Gruppe der Schweiz.
Möglichst nicht stören
Regelrecht feierlich wurde es, als Sina der Award fürs Lebenswerk ausgehändigt wurde, wobei es in der Laudatio der Ex-Politikerin Pascale Bruderer einige heikle Momente zu überstehen galt. Ihr imponiere an Sina, dass sie beim Ausüben ihrer Tätigkeit niemanden störe und nicht aufsässig rüberkomme, lobredete Frau Bruderer etwas ungeschickt. Kamera-Nahaufnahme auf Sina: Sie schaute ein bisschen betrübt in die Feierstätte. Doch es passt ganz gut ins Bild der SMA, dass hier eben grossmehrheitlich jene Musik zu Ehren kommt, die möglichst wenig Störpotenzial aufweist. Sinnbildlich dafür steht die Mami-Band Härz, die sich im Hitmill-Studio ein Pop-Album so harmlos wie ein Zierbrunnen hat zurechtzimmern lassen und dafür mit dem Preis für den Best Breaking Act belohnt wird.
Die Swiss Music Awards sind das Fest für die Modellathleten des Schweizer Pop. Und deshalb ist diese Steinvergabe seit ihrer Erfindung im Jahr 2008 ein kontrovers diskutierter Anlass. Langweilig und überflüssig sei das Ganze, weil hier ausgezeichnet werde, was ohnehin schon Erfolg habe, mäkeln die einen. Die anderen führen ins Feld, dass die Schweizer Unterhaltungsindustrie doch etwas Schnittigeres verdient habe, als der Trio-Eugster-artig verzopfte Prix Walo, der zuvor das Einzige war, was man als Musiker in diesem Land absahnen konnte. Und so werden also seit Jahren die immer gleichen Hitparadekünstler mit den Pflasterstein-Trophäen überhäuft, sodass irgendwann das Interesse an den SMA welkte wie ein übernächtigter Salat.
Erfolgreiche Ziehkinder
Die 12. Austragung sollte nun eine Zäsur darstellen. Vom Prost-Anlass der Industrie zu einem Kulturereignis mit Talentfördergedanke, sollten die SMA avancieren. Um Letzteres zu unterstreichen startete man das Programm «Mentor und Protegé»: Sina, Büne Huber und Stress sollten sich ein popmusikalisches Ziehkind ausgucken. Es gehe um eine Wissens- und Erfahrungsvermittlung von verdienten Musikern zu Handen der nächsten Generation, erzählten die Organisatoren. Die Wahl fiel auf Pamela Mendez (Sina), Abu (Büne Huber) und Comme1Flacon (Stress), die dann entweder ein Medley darbringen durften oder ein bisschen Fernsehzeit zugeteilt bekamen.
Amüsant daran ist, dass der Jungrapper Comme1Flacon mit seinen zwei bisher veröffentlichten (vollkommen ungeniessbaren) Auto-Tune-Latin-Trap-Liedern schon weit mehr Streams generiert hat als Mentor Stress mit seiner letzten Single. Und das Stück «Beautiful Waste» von Büne Hubers schutzbefohlenen Abu wurde auf Spotify mit über 4 Millionen Streams öfter angehört als «W. Nuss vo Bümpliz», «Scharlachrot» und «Bälpmoos» zusammen. Vielleicht müsste man das Format umkonzipieren: Der Nachwuchs erklärt den Alten wie heute das Business läuft und wie man auf die hippen Spotify-Listen kommt.
Doch es wurde an den SMA 2019 dann doch auch Musik mit Relevanz ausgezeichnet: Der Artist Award ging an die unbedingt entdeckungswürdige Gruppe Black Sea Dahu. Und die Westschweiz kürte die ebenso wunderbare Emilie Zoé zum Lieblings-Act. Nur so: Sie gewannen in Kategorien, in denen es nicht um Hitparadenplätze oder Publikums-Votings ging.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch