Einkaufstourismus: Schweizer Grenzstädte schliessen Allianz
Der Kampf gegen den Einkauf im Ausland wird verschärft. Wer dahintersteckt und was geplant ist.
Andreas Netzle (58) befindet sich eigentlich mitten in der «Lame duck»-Phase. Nach zehn Jahren als Stadtpräsident von Kreuzlingen hängt er Ende Juli seinen Job an den Nagel. So kurz vor dem Abtritt würden viele Politiker kaum mehr Grossprojekte anreissen. Netzle ist in dieser Hinsicht ungewöhnlich. «Diese Sache wollte ich unbedingt noch lancieren», sagt er.
Diese Sache, das ist eine Allianz der Grenzstädte gegen den Einkaufstourismus. Schon seit Monaten weibelt Netzle hinter den Kulissen für die Idee. Letzte Woche fand in Bern beim Schweizerischen Gemeindeverband ein erstes Treffen des Netzwerks Grenzgemeinden, wie sich das Bündnis nennt, statt. Nach den Sommerferien ist eine Vollversammlung mit Vertretern von Nordschweizer Grenzgemeinden geplant. Auch für die Westschweiz und das Tessin sollen Plattformen geschaffen werden. Anschliessend will die Grenzstädte-Allianz in Bern als eigenständige Lobbygruppe auftreten und für eine Korrektur der gesetzlichen Rahmenbedingungen rund um den Einkaufstourismus kämpfen.
Eine Allianz der Betroffenen? Der Kreuzlinger Stadtpräsident macht daraus keinen Hehl. In Kreuzlingen habe sich das Problem des Einkaufstourismus zwar stabilisiert. Dies aber nur, weil Konstanz mit dem Andrang endgültig an seine Grenzen gestossen sei. «Überall Stau, rappelvolle Läden, lange Schlangen an den Kassen: Das ist für viele Schweizer Kunden nicht das Shopping-erlebnis, von dem sie träumen.» Die Auswirkungen seien für Kreuzlingen aber immer noch gravierend. «Jedes Wochenende haben wir hier den Wahnsinn auf den Strassen. Stau, Abgas, Verkehr, aber keine Wertschöpfung. Das können wir nicht länger einfach so hinnehmen», sagt Netzle.
Ins Visier nehmen will das Netzwerk Grenzgemeinden vorab Steuer- und Zollbestimmungen, die den Einkaufstourismus begünstigen. «Es gibt verschiedene Fehlanreize, die beseitigt werden müssen», sagt Netzle. So sei etwa ungerecht, dass Konsumenten auf Einfuhren bis zu einem Wert von 300 Franken keine Mehrwertsteuer bezahlen müssten, weder in Deutschland noch in der Schweiz. Dadurch würden Personen, die im Inland ihre Einkäufe erledigen, übervorteilt. «Diese Steuerumgehung muss beseitigt werden», sagt Netzle.
Schirmherr des Netzwerks Grenzgemeinden ist Hannes Germann, Ständerat (SVP, SH) und Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbands. Er hat in den letzten Jahren durchaus nochmals eine Akzentuierung der Einkaufstourismus-Problematik festgestellt: «Der Leidensdruck ist eindeutig nochmals gestiegen, die Hilferufe aus den Gemeinden nehmen zu.» Viele Gemeinden fühlten sich nur noch als Parkplatz für die Shopper. «Die Jobs verschwinden, und die Dorflädeli sterben.»
Video – wenn Schweizer ihre Ware zwischenlagern:
Geht es nach Germann, so soll sich die Allianz der Grenzgemeinden allerdings nicht nur in Bundesbern engagieren: Heute kämpfe jede Gemeinde mit eigenen Mitteln und Konzepten gegen die Folgen des Einkaufstourismus. «Wir wollen die Betroffenen vernetzen und Beispiele für Massnahmen aufzeigen, die besonders wirksam sind.» Germann hofft auf das Verständnis der Einkauftouristen. Grundsätzlich sei es legitim, jenseits der Grenze einzukaufen. «Ich will niemandem sein Schnäppchen wegnehmen.» Doch mit der gegenwärtigen Gesetzeslage bei Mehrwertsteuer und Zöllen würden das inländische Gewerbe und die Konsumenten bestraft. «Das kann doch nicht sein», so Germann.
Bei Vertretern von Grenzstädten stösst das neue Bündnis auf Sympathie. Peter Neukomm, Stadtpräsident Schaffhausens, etwa signalisiert Interesse: Es gebe viele lokale und regionale Initiativen, um den Einkaufstourismus einzudämmen. «Ich würde es aber sicher begrüssen, wenn die Grenzstädte und Grenzkantone ihre gemeinsamen Interessen auch in Bern mit einer Stimme einbringen würden.»
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