Einmal blitzte sogar echtes Schicksal auf
US-Kandidat Mitt Romney will sich in der Nacht auf morgen in einer grossen Rede neu verkaufen. Das wird jetzt doppelt schwierig – weil ihm seine Frau Ann gestern Nacht die Show gestohlen hat.
Sie erinnern ein bisschen an anstrengende Hochzeitsfeiern, die amerikanischen Parteitage. Weniger zu essen, dafür mehr Reden. Und immer diese nagende Furcht im Publikum, dass eine Ansprache peinlich werden könnte. Schliesslich gehört man zusammen, Verwandte und Bekannte, Familie und Freunde. Das soll ein Fest werden. Keiner soll sich blamieren. Vor allem wenn, anders als bei einer Hochzeit, die ganze Nation übers Fernsehen zuschaut.
Das grösste Risiko, sollte man meinen, sind die Ehefrauen der Kandidaten. Sie müssen ans Rednerpult, obwohl sie in der Regel keine gewählten Politikerinnen sind. Keine Berufsrednerinnen.
Warmherziger als der hölzerne Mitt
Doch die Männer, die in den vergangenen Wahlen antraten, hatten alle Glück mit ihren Frauen. Mitt Romney ist da keine Ausnahme. Im Gegenteil, schon befürchten manche bei den Republikanern, dass Ann Romney ihrem Gatten gestern Nacht die Show gestohlen hat. Sie war etwas nervös, aber echt. Sie vermittelte jene Warmherzigkeit, die dem hölzernen Mitt abgeht. Sie konnte glaubwürdig einen Redetext vermitteln, der ziemlich dick auftrug.
«Heute Abend möchte ich nicht über Politik sprechen», begann sie. «Heute möchte ich aus meinem Herzen zu eurem Herzen reden. Nicht darüber, was uns trennt, sondern darüber, was uns als amerikanische Familie zusammenhält. Die eine, grosse Sache, die uns in guten Zeiten die grösste Freude bringt und in dunklen Stunden den meisten Trost. Heute Abend möchte ich zu euch über die Liebe sprechen.»
Die Liebe, das Leben, die Hoffnung, die Zukunft. Amerikanische Parteitage sind vielleicht arm an Substanz, dafür reich an Pathos. Natürlich meint Ann Romney eine ziemlich konkrete Liebe: «Die tiefe, beständige Liebe, die ich empfinde für einen Mann, den ich vor vielen Jahren an einem Tanzfest traf.» Minuten später nennt sie ihn: «Sein Name ist Mitt Romney, und ihr solltet ihn wirklich mal kennenlernen.»
Romney so unbeliebt wie noch keiner
Tatsächlich, das sollen die Amerikaner. Bis jetzt, so befürchten die Republikaner, kennen sie nämlich bloss eine Karikatur: jene eines steinreichen Investors, einer Börsen-Heuschrecke, eines eiskalten Sanierers, der gerne Mitarbeiter rausschmeisst, der in der Highschool schwule Schüler mobbte, der seinen Hund bei Ferienreisen als Gepäckstück aufs Autodach schnallte und der als Politiker bei allen Themen ständig die Meinung wechselt.
Kein Kandidat der modernen US-Politgeschichte hatte zu diesem Zeitpunkt der Kampagne ein negativeres Image als Mitt Romney. Seit Jahresanfang attestieren ihm sämtliche grossen Umfrageinstitute fast durchgehend eine negative Beliebtheit: mehr Abneigung als Sympathie bei den Befragten.
Das war Ann Romneys Hauptaufgabe: ihrem geliebten Mann aus diesem Imageloch herauszuhelfen. Sie strengte sich an. «Was ich damals an ihm so liebte: Er war gross, er war nervös, er war nett zu meinen Eltern – aber auch richtig froh, wenn sie nicht da waren. Vor allem aber brachte er mich zum Lachen.» Womit, das bleibt auch sie ihren Zuhörern schuldig. Mit Komik fiel Mitt Romney bisher auch nicht wirklich auf.
Pasta, Thunfisch und reiche Eltern
Und dann folgt ein bisschen Lebensgeschichte – und sofort ist wieder klar, was das Hauptproblem der Romneys ist: Da ist kein Schicksal zu erzählen. Abgesehen von der Tatsache, dass das junge Paar in seinen ersten Jahren in einer Wohnung leben musste (keinem Haus!) «und viel Pasta und Thunfisch ass», wie Ann sich erinnerte. «Das ist jetzt 42 Jahre her, und ich habe überlebt.»
Zwei Sprösslinge aus wohlhabenden Familien gründen eine Grossfamilie mit fünf Kindern und sind nach 40 Jahren 250 Millionen Dollar reich. Ob «überleben» hier das richtige Wort ist? Aber Ann Romney kann ja kaum erzählen, dass das junge Paar die ersten Jahre «überlebte», weil es von Mitt Romneys Vater ein Investmentpaket geschenkt bekam, das Stück für Stück verkauft werden konnte.
Nur einmal blitzt echtes Schicksal auf, als Ann Romney ihre eigenen Erkrankungen erwähnt: Multiple Sklerose und Brustkrebs. Aber es bleibt beim Erwähnen. Sie sagt erstaunlicherweise kein weiteres Wort darüber, dass sie diese Krankheiten besiegte. Vielleicht deshalb, weil Mitt ihr dazu die teuersten Therapien ermöglichte, die es für Geld zu kaufen gibt. Aber über Geld wollten die Republikaner an diesem Abend nicht sprechen.
«Mitt betrachtet Helfen als Privileg»
Das Thema ist vielmehr Bescheidenheit. «Ich möchte, dass ihr mir genau zuhört», sagt Ann, mit erhobenem Zeigefinger, «Mitt redet nicht gern darüber, wie er anderen hilft. Weil er es als ein Privileg betrachtet.» Dieser unermüdliche Mann habe in seiner mormonischen Kirche viel geholfen, er habe bei den Olympischen Spielen von Salt Lake City 2000 geholfen, er habe dem Staat Massachusetts als Gouverneur geholfen. «Dieser Mann wird nicht scheitern.» Das ist ihr zentrales Versprechen. Ann Romney blickt fast streng in die Kamera, als sie am Ende sagt: «Gebt ihm diese Chance. Gebt Amerika diese Chance.»
Die Republikaner jubeln minutenlang. Mitt Romney selber kommt auf die Bühne, gibt seiner Frau ein scheues Küsschen und blickt fast ängstlich in die Runde. Dazu hat er allen Grund. Seine Frau hat ihm gezeigt, wie es geht. Und ihm für heute Nacht eine anspruchsvolle Vorlage geliefert. «Der steht ja da wie eine Statue», schimpfte der TV-Kommentator Chris Matthews prompt: «Seine Frau ist eine echte Person, aber sie hat heute Werbung machen müssen für einen Mister Minit.»
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