Elisabeth-Musical: Viele inbrünstige Emotionen, wenige Nuancen
Psychologisch und bombastisch: Im Theater 11 in Oerlikon läuft jetzt das Musical «Elisabeth – Die wahre Geschichte der Sissi».

Es gab am Freitagabend draussen in Oerlikon wie immer und überall einen roten Teppich und viele liebe Gesichter aus dem Schweizer Showbiz. Darunter Joel Basman mit Liebster, Beni Thurnheer mit niemandem, Claudia Lässer mit Handtasche. Es gab zum Schluss eine hingerissene Standing Ovation, die überraschenderweise von ein paar älteren Herren in Anzügen initiiert wurde. Und das, wo man sich doch drei Stunden lang fragte, ob die Männer im Publikum sich nicht von Herzen mit dem italienischen Anarchisten Luigi Lucheni identifizierten, der die 61-jährige Kaiserin am 10. September 1898 in Genf mit einer Feile erstach. Am Anfang und am Ende des Abends war jedenfalls auch das Fernsehen da und filmte garantiert enthusiastische Prominente. Dazwischen lag die angeblich «wahre Geschichte der Sissi».
Eine Egoistin vor dem Herrn
Das mittlerweile 16-jährige Musical von Michael Kunze (Libretto) und Sylvester Levay (Musik), das auf der Basis der Wiener Originalproduktion bis vor wenigen Wochen in Berlin gastierte – «Elisabeth verlässt Berlin» war da auf Plakaten quer durch Berlin zu lesen, ein wahrer Staatsakt – und jetzt bis Januar in Zürich spielt, ist zweifellos näher am Leben der schönen Kaiserin dran als die Filme mit Romy Schneider. Die Sissi im Musical ist recht düster, melancholisch, depressiv, magersüchtig (in Wirklichkeit wog sie 45 Kilo bei 172 cm), todessehnsüchtig und eine Egoistin vor dem Herrn.
Es ist eine ähnliche Elisabeth, wie sie Luchino Visconti 1972 in seinem fantastischen «Ludwig»-Film entworfen und erneut mit Romy Schneider besetzt hatte. Als leicht sadistische Femme fatale. Es war Romy Schneiders geniale Dekonstruktion der Zuckerpuppen-Rolle aus ihren Mädchenjahren einer Schauspielerin.
In dieser Tradition darf man sich das Musical vorstellen, und das macht es auch interessant. Allerdings auch verzwickt: Denn so dermassen antisüss ist diese Elisabeth, so sehr wird ihre Figur von aussen analysiert und psychologisiert, dass man sie drei Stunden lang wirklich nicht sympathisch finden kann. Schön ja (die Hauptbesetzung Annemieke van Dam war bei der Premiere hoch bezaubernd), monumental ja, liebenswürdig kein bisschen. «Elisabeth» ist eben ein Meta-Musical.
Irgendwann verliert man auch schlicht die Geduld mit dieser Frau. Himmel noch mal, sie heiratet einen Kaiser! Einen Kaiser, der ihr im Laufe ihrer Ehe immer mehr Privilegien und Freiheiten einräumt und sie offensichtlich sehr liebt. Und dann beschwert sie sich ein ganzes Musical lang darüber! Singt andauernd: «Ich gehör nur mir!» Unterstützt wird sie in ihren Freiheitsbestrebungen vom Tod (Felix Martin, ein schöner Mann mit einer unmöglichen Frisur), zu dem Elisabeth seit ihrer Pubertät eine innige Beziehung hat (Eros und Thanatos winken wie verrückt mit ihren Zaunpfählen) und der sie zum Schluss auch von ihrem Leben im Hofkorsett mit einem langen Kuss erlöst.
Musikalisch ist das trotz gesanglicher Turbopower (sehr laut, sehr hoch, sehr dramatisch) und routiniertem Tournee-Orchester unter der Leitung von Daniel Behrens nicht sonderlich spannend. Es ist eben der Brei der ganz grossen, schlagerartigen Emotionen, immer so inbrünstig vorgetragen, dass die Nuancen zwischen den einzelnen Motiven schnell verwischen und sich auch keine rechte Hymne einstellen will.
Zynische Intellektuelle
Hängen bleiben vor allem die wahnwitzigen, historisch detailgetreuen Kostüme, der gefährliche, riesige, golden glimmende Doppeladler, der die geschickt mit Spiegeln und surrealen Projektionen von Wien oder dramatischen Landschaften gestaltete Bühne (Hans Schavernoch) in seinen Fängen hält, das an Heintje erinnernde Wehklagen des kleinen Kronprinzen Rudolf, der von seiner Mutter nur als Schachfigur im Kampf gegen die übermächtige Schwiegermutter eingesetzt wird. Am intelligentesten ist das Musical auf den Nebenschauplätzen, bei den zynischen Kaffeehausintellektuellen, die gähnend auf die Apokalypse warten, oder bei den pompösen k.k. Zombies, die ihren Untergang bereits vor Augen haben: «Wir sind die letzten einer Welt, die stets an ihren Selbstmord denkt», singt da der Chor.
Inszeniert hat die Chose übrigens kein Unbekannter, sondern Harry Kupfer, der in der DDR einst zu den ganz Grossen gehörte und auch mehrfach in Bayreuth Regie führte. Er hat mit «Elisabeth» zweifellos einen glänzenden Bombast auf die Bühne gestemmt. Aber etwas gerührter wäre man halt trotzdem gerne.
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